Eine Forschungsarbeit als Deckmantel für politische Einflussnahme?
Verfolgt man, was letztlich aus Jochums Buchprojekt geworden ist, liegt die Annahme nahe, dass es der Stiftung primär um den Zugang zur Politik und nicht um die Studie ging. Weder Staudacher noch Weidenfeld waren wirklich glücklich mit dem Ergebnis, wie sich Staudacher erinnert. »Weidenfeld musste das ja verantworten. Immerhin hatte er einen Mitarbeiter vier Jahre lang bezahlt.« Wie viel, das kann Staudacher nicht sagen und die Stiftung lehnt es ab, eine entsprechende Anfrage zu beantworten. Staudacher hatte mit dem Buchprojekt Jochums auf eine große Würdigung Herzogs gehofft. Doch Jochum schwankte in seinem Konzept. Sollte er eine Habilitationsschrift erarbeiten oder eine marktgängige Biografie? Am Ende brachte er keines von beidem zuwege. Statt eines Buches lieferte er nur eine Zusammenfassung, die intern als Broschüre bezeichnet wurde. »Das war nicht ganz das, was wir uns vorgestellt haben«, sagt Staudacher.
Jochum veröffentlichte seine Arbeit im Jahr 2000 und betitelte sie Worte statt Taten. Der Bundespräsident im demokratischen Prozess der Bundesrepublik Deutschland. Sie umfasst 88 DIN-A4-Seiten. »Politiker misst man nicht an Worten, sondern an Taten«, fasst Jochum zusammen. »Eine Ausnahme ist der Bundespräsident: Da ihn das Grundgesetz zur ›Tatenlosigkeit‹ verurteilt, ist er der einzige deutsche Politiker, bei dem man akzeptiert, dass sich seine Taten auf Worte beschränken. So kann er durch die Praxis nicht widerlegt werden.«14
Verglichen und gemessen an Baring ist Jochum gescheitert. Dabei hätte auch er einen Machtwechsel beschreiben können – den Machtwechsel von Helmut Kohl zu Gerhard Schröder, von der Union zu Rot-Grün. Die Vorboten des Wechsels finden sich in der Ruck-Rede von Herzog. Doch Jochums Studie ist kein besonders aufregendes Werk. Sie lotet weder das ganze geschichtliche Potenzial des Amtes und seiner Herkunft aus noch berichtet sie viel aus der Amtszeit von Herzog. Dabei müsste es doch für einen Wissenschaftler, der einem Politiker und seinem Apparat derart nahe kommt, gelingen, etwas Bleibendes zu schaffen – vor allem, weil er die Politik und ihre Abläufe mit einem distanzierten Blick betrachten konnte. Wieso ist das Jochum nicht gelungen? Die Antwort könnte lauten: Das war nie Absicht des Forschungsprojekts. Stattdessen ging es offenbar darum, Zugang zum Bundespräsidenten und seinen Beratern, allen voran zu seinem Staatssekretär Wilhelm Staudacher, zu erhalten.
Es gab keine Besprechungen, keine Zeitung nahm von der Studie Notiz. Jochum selbst hatte vor der Veröffentlichung der Studie lediglich in der FAZ einige Ergebnisse dargelegt und wurde im Laufe der Jahre als Experte zu seinen Einschätzungen befragt.15 Vermutlich war es der Stiftung im Nachhinein ganz recht, dass die Arbeit nicht sonderlich wahrgenommen wurde. Immerhin wurde sie dadurch nie Gegenstand der Kritik. Niemand fragte, wieso und wie viel die Allgemeinheit vier Jahre dafür gezahlt hat, dass der Berater einer Unternehmensstiftung den Bundespräsidenten begleitet hat. Der Allgemeinheit hat Jochums Arbeit nicht viel gebracht, aber für die Bertelsmann Stiftung hat sie ihren Zweck erfüllt. Sie hat ihre Stellung im Bundespräsidialamt gefestigt. So wie Roman Herzog die Festrede zum 75. Geburtstag von Reinhard Mohn gehalten hatte, so würde Herzogs Nachfolger Johannes Rau die Festrede zum 25-jährigen Bestehen der Bertelsmann Stiftung halten.
Es liegt nahe, dass die Unterrichtung der Öffentlichkeit nie im Mittelpunkt der Forschung stand. Tatsächlich galt es, Einblick zu erhalten und Herzog im Sinne der Arbeit der Stiftung zu beeinflussen. Nicht, dass Herzog für plumpe Manipulationen empfänglich gewesen wäre, versichert sein Staatssekretär Staudacher. Doch es ist unvermeidlich, dass jemand, der über einen so langen Zeitraum Einsicht und Einfluss auf die maßgeblichen Leute hat, seine Interessen (oder die seines Auftraggebers) einbringen kann. Hat die Bertelsmann Stiftung den höchsten deutschen Politiker gekauft? Nein, aber die Bertelsmann Stiftung hat etwas anderes geschafft: Sie hat sich Zugang erkauft (und zwar auch mit Steuergeldern, die ihr erlassen werden). Sie kaufte sich Glaubwürdigkeit, Vertrauen und den Anschein der Überparteilichkeit und Unabhängigkeit.