Die Neubestimmung der deutschen Arbeits- und Beschäftigungspolitik
Gerhard Schröder hatte in seinem Wahlkampf für die Kanzlerkandidatur den Wählern Reformen versprochen. Vor allem wollte er die Arbeitslosigkeit verringern. Doch zunächst scheiterte der Kanzler mit einer Reform des Gesetzes zur Scheinselbstständigkeit an seiner Fraktion. Seinem Kanzleramtsminister Bobo Hombach ging es mit den Plänen für eine Steuerreform ähnlich. Der Spiegel bezeichnete beide als »verhinderte Reformer« und wähnte den Kanzler im Kampf mit der »Sozial-Mafia«. Schröder hatte den Erfolg seiner Regierung vom Abbau der Arbeitslosigkeit abhängig gemacht, aber die lag Anfang 1999 bei viereinhalb Millionen.
Schröder holte sich daraufhin Beistand aus der Wissenschaft. Die Professoren Rolf Heinze von der Universität Bochum und Wolfgang Streeck vom Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, die das Kanzleramt in der Expertengruppe »Bündnis für Arbeit« vertraten, sprangen Schröder mit einer Studie zur Seite, die sie im Mai 1999 im Spiegel veröffentlichten. Sie behaupteten darin, dass Millionen neuer Jobs in der Dienstleistungsbranche geschaffen werden könnten, allerdings nicht zu den Bedingungen der alten Industriegesellschaft. Die beiden Wissenschaftler forderten »eine grundlegende Neubestimmung auch der Ziele der deutschen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik«. Sie wollten die Schwarzarbeit, die bei 15 Prozent liege, legalisieren. Dabei orientierten sie sich am Vorbild der Niederlande. Vor allem der Dienstleistungssektor sei – verglichen mit anderen Ländern – unterentwickelt und biete große Chancen.
Was später unter »Fördern und Fordern« debattiert wird, ist in ersten Zügen erkennbar: »Aus Arbeit herausgenommen zu werden ist weder eine Wohltat noch gar ein Recht; (fast) jeder Arbeitsplatz ist besser als keiner … Auch neigen Menschen dazu, sich in Abhängigkeit und Randständigkeit einzurichten, wenn ihnen die Erfahrung vorenthalten wird, dass sie für sich selbst sorgen können. In unseren nordwesteuropäischen Nachbarländern weiß man längst, dass es zu den Solidaritätspflichten der Gemeinschaft gehört, ihre Mitglieder nicht vor Marktzwängen zu schützen, die sie dazu bewegen könnten, sich noch einmal aufzuraffen.«1
Heinze und Streeck schrieben von der »Dynamik des Marktes«, von privater Initiative und einer Senkung der Lohnnebenkosten, auch von einer Verbesserung der Vermittlung, aber noch nicht von einer Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Einen Umschwung werde es »nur durch Öffnung des Arbeitsmarkts und einen Beschäftigungsboom im tertiären Sektor nach Art der Niederlande, Dänemarks oder auch der USA« geben, waren sich Heinze und Streeck sicher.
In der Vorgehensweise der Studie, Vergleiche als Argumente zu verwenden, und in vielen inhaltlichen Forderungen ist der Geist von Reinhard Mohns Stiftung bereits erkennbar. Das mag freilich an der jahrelangen Arbeit der Stiftung in diesem Bereich liegen und daran, dass Streeck in leitender Position in Projekte der Stiftung eingebunden war, beispielsweise zur Reform der Mitbestimmung durch Arbeitnehmer.