Von der Reform zum Reförmchen

Während Strachwitz darauf drängte, dass auch Vollmer und Rawert an den Kolloquien der Bertelsmann Stiftung teilnehmen, ging das Interesse der Stiftung offensichtlich nicht so weit, deren Position zu verbreiten. Jedenfalls findet sich in den Materialien der Stiftung kein ausführliches Skript über ihren Reformansatz. Stattdessen brachte die Stiftung mit dem Stuttgarter Anwalt Rainer Kögel die Kritiker des Entwurfs in Stellung: Kögel betonte 1999 bei einer Veranstaltung der Stiftung, der Entwurf und sein gefordertes Verbot der unternehmensverbundenen Stiftung sei dogmatisch und ideologisch motiviert. Rawert habe einfach aus seinem Stiftungskommentar einen Gesetzesentwurf gemacht. Kögel betonte ausdrücklich, dass bestehende Stiftungen – falls der Entwurf der Grünen umgesetzt würde – Bestandsschutz genießen sollten, und begrüßte entsprechende Pläne im Entwurf. Das sei verfassungsrechtlich geboten. Doch Kögel und vor allem die Stiftung in Gütersloh wussten natürlich, dass ein Verbot über kurz oder lang Folgen für die Bertelsmann Stiftung haben würde. Schließlich war diese wegen ihres operativen Beratungsgeschäftes auf ständige Legitimation von der Politik angewiesen. Was, wenn sie stattdessen als halb legales Auslaufmodell gelten würde und sich ständig rechtfertigen müsste? Das wäre das Ende des Beratergeschäfts der Stiftung.

Ein Jahr, nachdem sie ihren Entwurf 1997 vorgestellt hatte, kam Vollmers Partei 1998 an die Regierung und Vollmer schrieb die Reform des Stiftungswesens im Koalitionsvertrag fest. Es war nur ein Satz, aber immerhin. Die Idee des Stiftens und der Gemeinnützigkeit hatte plötzlich viele Freunde: Die Kassen waren knapp und fremde Geldquellen willkommen. Politiker anderer Parteien entdeckten ebenfalls das Thema, auch weil Lobbyverbände darauf aufmerksam machten und Verbündete gegen Details des Vollmer-Entwurfes suchten. Doch zunächst erhielt Vollmer unerwartet Verbündete. Die FDP näherte sich mit einem Gesetzesentwurf den Thesen von Vollmer an und die CDU/CSU ging gar so weit und legte im November 1999 ein Positionspapier vor, wonach Stiftungsneugründungen nur noch gemeinnützig sein dürfen. Eine revolutionäre Forderung, denn demnach würden privatnützige Familienstiftungen gar nicht mehr genehmigt werden.

Diese Regelung hätte das Ende oder zumindest einen großen Verlust an Legitimität für das Doppelstiftungsmodell, das Bertelsmann praktiziert, bedeutet. Denn dieses Modell benötigt eine privatnützige Stiftung, die die gemeinnützige Stiftung führt. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen stellte 1999 fest: »Die Debatte hat eine neue Dimension erreicht.«3 Die Reform der Praxis der unternehmensnahen Stiftungen schien nicht mehr aufzuhalten zu sein. Bedenkt man, dass die SPD traditionell alles andere als unternehmerfreundliche Stiftungspolitik betreibt, dann hätte damals alles auf die Umsetzung von Vollmers Reformideen hinauslaufen müssen.

Am 15. Dezember 1999 traf sich der Ausschuss für Kultur und Medien des Bundestags von 9 bis 13 Uhr im Reichstag, um über die Reform des Stiftungswesens zu beraten. Abgeordnete des Rechts- und des Finanzausschusses waren ebenfalls anwesend. Am Tag danach sollte der Gesetzesentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen in erster Lesung im Bundestag behandelt werden. Würde der Konflikt um das Modell der Bertelsmann Stiftung nun im Bundestag ausbrechen? Wie würden sich die Politiker verhalten? Würden sie das System Bertelsmann stützen?

Den Vorsitz der Anhörung führte die SPD-Abgeordnete Elke Leonhard. Neben Professor Annette Zimmer und Rupert Graf Strachwitz trat auch Professor Peter Rawert auf. Der Bundesverband der Stiftungen war durch zwei Personen vertreten, Christoph Mecking und Peter Lex. Die herausgehobene Stellung der Bertelsmann Stiftung wurde durch die Anwesenheit von Volker Then deutlich. Die Bertelsmann Stiftung war die einzige Stiftung, die den Abgeordneten als Sachverständige ihre Sicht der Dinge darlegen durfte. Tausende andere Stiftungen sind lediglich durch den Bundesverband und durch den Stifterverband repräsentiert. Diese herausragende Position verdankte die Bertelsmann Stiftung ihrer Arbeit zur Reform des Stiftungswesens. Dadurch war sie von Politikern als kompetente Kraft anerkannt, die speziellen Zugang erhielt und gehört wurde.

Der Einfluss der Bertelsmann Stiftung zeigte sich auch anhand des Papiers, das Then gemeinsam mit Annette Zimmer und Rupert Graf Strachwitz eingebracht hat. Darin plädierten sie dafür, nicht nur rein steuerliche Aspekte zu betrachten, sondern das Thema Stiftungen in den größeren Kontext der Reform einzubauen, also des Gemeinnützigkeitsrechts, wie Zimmer betonte. Sie halte das für wichtig, weil Deutschland im internationalen Vergleich den geringsten Anteil an Philanthropie aufweise. Das sei eine Situation, die es zu verändern gelte. Gleichzeitig gelte Deutschland als das Land mit dem höchsten Anteil an Finanzierungen über öffentliche Mittel. »Unser gemeinnütziger Sektor ist in hohem Maße staatslastig und kann natürlich dann insofern nicht diese Funktionen übernehmen, die ein gemeinnütziger Sektor oder ein Non-Profit-Sektor normalerweise in einem pluralistischen, demokratischen Staatswesen übernimmt, dass er auch mal hin und wieder Sand ins Getriebe streut und eine Gegenposition entwickelt.«

Rupert Graf Strachwitz sagte, dass der Staat sich zurückziehen und Dinge ermöglichen müsse. »Deregulierung ist ein Schlüsselwort, um das sich die Reform rankt. Das andere Schlüsselwort als wichtiger Komplementär dazu ist Transparenz. Wir sind aus grundsätzlichen Erwägungen ganz entschieden dafür, dass die Stiftungen zu mehr Transparenz verpflichtet werden, über ihre Tätigkeit und ihr Finanzgebaren öffentlich Auskunft zu geben.« Transparenz forderte auch Olaf Zimmermann als Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, des Dachverbandes deutscher kultureller Interessensverbände. »Es kann nicht nur sein, dass die Forderung an die Politik geht ›nun macht mal was für die Stiftungen‹, sondern auch die Stiftungen selbst müssen transparenter werden.«

Dann sprach Peter Rawert und erwähnte zwei Denkschulen. Die Vertreter der einen Denkschule – die er ablehnt – hielten es für legitim, eine Stiftung dazu zu verwenden, um mit Hilfe des Doppelstiftungsmodells unternehmens-, erbschaftsteuerliche und erbrechtliche Ziele zu verfolgen, die primär privatnützig motiviert seien. Rawert kam noch einmal auf den Gesetzesentwurf von 1997 zu sprechen, der das Modell der Bertelsmann Stiftung für eine Fehlentwicklung hält – freilich ohne das so deutlich zu sagen. Dem Entwurf liegt die andere Denkschule zugrunde. Sie »betrachtet die Stiftung als ein vornehmlich auf Gemeinwohlpflege angelegtes Rechtsinstitut«, wie Rawert den Abgeordneten erklärte. Stiftungen genössen nur deshalb das Privileg der Unsterblichkeit, weil mit ihnen das Gemeinwohl und nicht das Wohl des Einzelnen gefördert werden solle.

Peter Rawert machte in der Debatte deutlich, dass die Vorschläge der Regierungskoalition, die nur noch steuerrechtlicher Natur waren, lediglich unter dem Gesichtspunkt akzeptabel wären, dass man gemeinnützigen Stiftungen schnell bei ihrer Arbeit helfen wolle. Das sei sicherlich ein Wert an sich. »Wenn sie aber auf die Dauer ohne vernünftigen zivilrechtlichen Flankenschutz bleiben, dann können sie in Zukunft dazu führen, dass Stiftungen – sicherlich entgegen der eigentlichen Intention der Koalition – künftig geradezu in verstärktem Maße als Modell privater Vermögensverwaltung eingesetzt werden. Das hielte ich für eine fatale Folge.«

Der Leiter des Bereichs Stiftungswesens der Bertelsmann Stiftung, Volker Then, beklagte nochmals, dass die Bundesrepublik in der Finanzierung des Dritten Sektors eine Schieflage aufweise. Die gemeinnützigen Aktivitäten seien in einem sehr hohen Maße durch öffentliche Zuwendungen und in einem außerordentlich geringen Maße durch private Philanthropie, durch Spenden und Stiftungen finanziert. Es birgt eine unfreiwillige Komik, wenn der Vertreter einer Stiftung, die ihr Selbstverständnis darauf stützt, dass sie der Allgemeinheit nur einen Teil dessen gibt, was ihr eigentlich zusteht, die geringe Spendenbereitschaft beklagt.

Then aber sprach auch über Wettbewerb und Globalisierung und warnte, dass viele Unternehmer sich aussuchen könnten, in welchem Land sie ihre Stiftung gründeten. Mit anderen Worten: Man müsse den Unternehmern noch mehr entgegenkommen. Er sprach damit offen aus, was die Bertelsmann Stiftung dachte – ihr eigentliches Ziel. Sie wollte von der Debatte über den Missbrauch der Gemeinnützigkeit durch unternehmensverbundene Stiftungen ablenken.

Vielleicht war Then durch seine Arbeit ein bisschen über die mangelnde Transparenz im eigenen Haus ins Zweifeln gekommen. Oder er glaubte, dass die Bertelsmann Stiftung vorbildlich in Sachen Transparenz agiere. Beides ist möglich. Jedenfalls machte er einen Vorschlag, dessen Tragweite ihm vielleicht gar nicht bewusst war. Er riet zu »einer Veröffentlichungspflicht, und zwar verbunden notwendigerweise mit Bewertungsrichtlinien für Vermögen und Vermögensgegenstände, um deutlich zu machen, was Stiftungen aus welchen Vermögenserträgen leisten, und einschließlich eines Bezuges auf die Zwecke und auf die inhaltliche Arbeit der Stiftung.«

Then verwies auf die Standardformulare der Finanzbehörden in den USA, die sogenannten 990er Formulare. Dieser Vorschlag würde tatsächlich deutlich mehr Transparenz in alle Stiftungen bringen, weil allgemeine Bilanzen durch konkrete Geldflüsse deutlich würden. Die Bertelsmann Stiftung müsste dann offenlegen, wie viel sie ihren fünf bestbezahlten Mitarbeitern zahlt. Der eine oder andere Politiker an der Spitze der Stiftung käme womöglich in Bedrängnis. Diese Forderung Thens geht auf eines der Kolloquien der Stiftung zurück und stammte unter anderem von Michael Adams, Professor am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Hamburg, der im September 1999 bei einem dieser Seminare in Gütersloh fehlende »Transparenz und Kontrolle« im gemeinnützigen Sektor beklagt hatte.

Käme man seiner Forderung nach, wäre dies das Ende der Bertelsmann Stiftung in ihrer bisherigen Form. Eine wirkliche Diskussion habe es bei dem damaligen Kolloquium dazu nicht gegeben, erinnert sich Adams. Doch immerhin griff Then nun eine seiner Forderungen auf. Schon möglich, dass er insgeheim wusste, dass der Bundesverband Deutscher Stiftungen das nie zulassen werde. So gesehen war es ein ungefährliches Manöver.

Für das weitere gesetzgeberische Vorgehen empfahl Then, eine Kommission beim Bundespräsidenten einzurichten, die dem Parlament Empfehlungen zur Weiterentwicklung als auch bei der Formulierung schwieriger Einzelfälle liefern könnte. Das ist die Bertelsmann-Methode. Die Kommission beim Bundespräsidenten würde natürlich jemand benötigen, der sie finanziert. Und das wäre üblicherweise die Bertelsmann Stiftung, die damit federführend an den gesetzlichen Grundlagen für die Reform des Stiftungswesens mitschreiben würde. Der Vorschlag hatte diesmal aber keinen Erfolg. Die Vorsitzende war »ganz entschieden der Auffassung, dass wir das lieber selber machen als oberstes Verfassungsorgan«. Eine Abfuhr.

Der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss kam auf Missbrauchsfälle zu sprechen. Das Finanzministerium spreche von einer sehr komplexen Materie, von der das Parlament die Finger lassen sollte. »Wie sieht es aus mit diesen Missbrauchstatbeständen?« Und wie könne man verhindern, dass eine Reform Missbrauch ermögliche? Als Tauss sich ausdrücklich »bei Maecenata und Bertelsmann ganz herzlich bedankt« für die »sehr, sehr hilfreiche Veranstaltungsreihe«, wird ein Teil des Problems deutlich. Die Veranstaltungsreihe, sagte Tauss, beweise, »wie aus dem Stiftungswesen selbst Beiträge kommen können, um das Thema zu transportieren«. Transportieren ja, aber aufklären? Tauss hatte offenbar noch gar nicht verstanden, dass die Bertelsmann Stiftung beides ist: Sie praktiziert das Missbrauchsmodell und enthält der gemeinnützigen Stiftung Gewinne vor, zugleich aber stellt sie sich geschickt und subtil auf die Seite der Reformer und versucht, die Debatte mitzubestimmen.

Annette Zimmer, die als Politikprofessorin an der Universität Münster über Gemeinnützigkeit forscht, hat zwar eine Stellungnahme gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung erarbeitet. Aber die Anhörung scheint ihr an einem zentralen Punkt vorbeizulaufen: der Verquickung von Unternehmen und Stiftungen. Die Abgeordneten schienen nicht zu verstehen, von welchen Stiftungen die Rede ist und dass es keinesfalls nur um kriminellen Missbrauch der Hertie-Stiftung, sondern um grundsätzlichen, legalen Missbrauch beim Modell der unternehmensnahen Stiftung geht – also auch um die Bertelsmann Stiftung.

Irgendwann wollte die Expertin dazu nicht mehr schweigen und nannte Namen: »Wir sind eines der wenigen Länder, wo es möglich ist, dass Unternehmen und Stiftungen in der Weise verkoppelt sind, wie es zum Beispiel bei der Bosch Stiftung oder bei der Bertelsmann Stiftung der Fall ist. In den USA ist das verboten, und ich glaube, es gibt auch gute Gründe, dass man diese beiden Bereiche trennt. … Ich finde, Stiftungen sind eine Sache und Gemeinwohl und Firma sind etwas anderes.« Zimmer bewies Unabhängigkeit und schlug sich auf die Seite der echten Reformer.

Graf Strachwitz sagte, der Missbrauch sei gering, aber man könne sich trotzdem über die Frage unterhalten, ob es sinnvoll sei, dass die Stiftungen Alleineigentümer eines Unternehmens sein können. Ist der erlaubte Missbrauch also vielleicht doch nicht so klein? Strachwitz war offen und doch auch vorsichtig, schließlich war er zu diesem Zeitpunkt auf der Suche nach einem Finanzier und wollte mit Hilfe der Bertelsmann Stiftung ein Zentrum für das Stiftungswesen aufbauen. (Zwei Jahre später kam es tatsächlich zu Gesprächen darüber mit Reinhard Mohn, aber letztlich wurde die Idee nie umgesetzt.)

Auch Rawert ging auf die Problematik des Missbrauchs ein. Er ließ den Abgeordneten einen Artikel aus dem Spiegel kopieren, in dem es um die Hertie-Erben ging, die mit Hilfe einer Doppelstiftung ein Vermögen am Finanzamt vorbei in eine gemeinnützige Stiftung und wieder zurück in den Familienbesitz transferiert hatten. Der Fall liefere »ein Paradebeispiel dafür, wie leicht der gute Zweck als Vehikel zum Steuernsparen missbraucht werden kann«, schrieb der Spiegel. Sie kassierten unversteuert Millionen, während sie ihre gemeinnützige Stiftung mit 0,5 Prozent Rendite abgefunden haben. Damit der Transfer von der gemeinnützigen in die private Stiftung nicht anrüchig aussieht, sicherten die Hertie-Erben der gemeinnützigen Stiftung 37,5 Prozent der Gewinne zu. Doch die Dividende von jährlich über 40 Millionen Mark kam nie an, weil es offiziell kaum Gewinne gab. Stattdessen stellten die Erben der Stiftung Pkw- und Personalkosten in Rechnung und finanzierten Immobilien und einen Privatjet. Sie behaupteten: »Alles, was wir gemacht haben, ist vom Finanzministerium und der hessischen Stiftungsaufsicht als korrekt abgehakt worden.«

Die Realität bei Bertelsmann ist eine andere als im Fall der Hertie-Erben, aber das Prinzip und das Ergebnis sind ähnlich: Bei Bertelsmann kommen die Gewinne, die der Stiftung eigentlich zustehen, gar nicht erst in der Stiftung an, denn die Familie entscheidet in der BVG über die Dividende. So muss die Familie den Gewinn nicht heimlich zurücktransferieren. Die Gewinne bleiben einfach im Unternehmen, das ja die Familie kontrolliert.

Natürlich hatte die unternehmensverbundene Stiftung bei der Anhörung in Berlin auch Fürsprecher. Ambros Schindler, der Geschäftsführer des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft (des zweiten Dachverbandes, der zahlreiche Stiftungen vertritt), sagte: »Was im Rahmen der vom Gesetzgeber gesetzten Gesetze erlaubt ist, kann ich nicht plötzlich zum Missbrauch umdefinieren. Wir haben eine Reihe großer Unternehmensträgerstiftungen, die dazu da sind, einerseits die Unternehmensbeteiligung zu halten … und sie sollen sie möglichst auf Dauer halten, und sie haben mit ihren Erträgen einen gemeinnützigen Zweck zu erfüllen. Die Finanzverwaltung selbst überwacht, ob und wie weit Gewinne für gemeinnützige Zwecke ausgeschüttet werden oder wie weit sie ins Unternehmen wieder zurückfließen.«

Ihm sprang Rechtsanwalt Peter Lex aus München bei, der ebenfalls das Problem herunterspielte. Unerwähnt ließ er seine Rolle, die er im Fall der Hertie-Erben gespielt hat, schließlich hatte er sie juristisch beraten. Sein Anliegen bei dieser Anhörung war, die bestehende Konstruktion zu retten. Deshalb setzte er auch durch, dass der Bundesverband ausnahmsweise mit zwei Personen bei der Anhörung vertreten war. Sein Hinweis auf das System der Kontrolle täuschte allerdings über den Umstand hinweg, dass nicht die Aufsicht im Falle Hertie eingeschritten war, sondern ein ehemaliger Mitarbeiter Anzeige erstattet hatte.

Die Bertelsmann Stiftung selbst war in dieser Reform in mehrfacher Hinsicht nicht neutral. Sie propagierte ihr Modell der unternehmensverbundenen Doppelstiftung seit vielen Jahren in ihrer gemeinnützigen Projektarbeit als Lösung für viele mittelständische Unternehmen, die sich Gedanken über die Nachfolge machen. Sie lud zu Konferenzen und erläuterte – finanziert durch Steuer- und Stiftungsgelder – ihre Konstruktion. Sie nannte das »Stiften und Unternehmensnachfolge – eine integrierte Lösung«. Die Botschaft, die jeden dieser Vorträge umgab, lautete: Wir sind gemeinnützig und dienen der Allgemeinheit. Die Stiftung legitimierte sich also selbst. Sie wusste vermutlich nur zu gut, wie fragwürdig ihre Konstruktion als Sparbüchse des Unternehmens ist.

In der Anhörung wurde deutlich, wie man Missbrauch der Doppelstiftungen einschränken kann. Rawert machte dazu sogar einen Formulierungsvorschlag, den die Abgeordneten direkt übernehmen könnten. Sie taten es aber nicht. Dies blockierte ein Zusammenschluss aus Lobbyverbänden der Wirtschaftsprüfer und Steueranwälte, Bundesverband der Stiftungen, Finanzministerium und Bundesländern. Der Entwurf von 1997 wurde entschärft. Vollmer konnte sich damit nicht durchsetzen. Die Idee eines Stifterfrühlings blieb, aber das Verbot der Doppelstiftung verschwand. Es ging nur mehr um eine Steuerreform, um Klientelpolitik. Der zivilrechtliche Teil, in dem Offenlegung und Transparenz geregelt werden, sollte anschließend folgen. Doch die Forderung nach Transparenz wurde erst verschoben, dann vergessen. Die Öffentlichkeit wartet bis heute darauf. Dabei war sie eigentlich eine Bedingung für die Steuererleichterungen.

War die Reform von Beginn an aussichtslos? Natürlich hätte Bundeskanzler Schröder ein Machtwort sprechen können. Er tat es aber nicht. Und irgendwie ist das auch verständlich. Warum sollte er seine Berater verärgern? Längst war die Bertelsmann Stiftung in Berlin eine wichtige Institution geworden. Mecking geht heute davon aus, dass Vertreter der Stiftung oder des Unternehmens direkt mit Schröder über den Unsinn eines Verbots von Unternehmensstiftungen gesprochen haben. Genau weiß er es nicht, aber vieles sei außerhalb des Protokolls gelaufen. Jedenfalls habe die Politik in Berlin der Stiftung hoch angerechnet, dass sie sich für Bürgerstiftungen einsetzte. Dadurch sorge sie für mehr Demokratie im Stiftungswesen, wurde argumentiert. Ein geschickter Schachzug. Dass die Bertelsmann Stiftung sich im Gegenzug nicht selbst demokratisieren musste, war die unausgesprochene Gegenleistung. Politik und Gesellschaft verzichteten auf mehr Mitsprache in der Bertelsmann Stiftung.

Die Stiftungsreform ist ein schönes Beispiel, wie alle immer fordern und reden und insgeheim hoffen, dass sich nichts ändert. Die Stiftung hatte zu diesem Zeitpunkt bereits beste Kontakte ins Bundespräsidial- und Kanzleramt sowie Zugriff auf das gesamte Kabinett und konnte bei ihren Projekten auf die Unterstützung fast aller Minister hoffen. Bundespräsident Roman Herzog hatte die Reformarbeit der Bertelsmann Stiftung ein ums andere Mal als gemeinnützig geadelt. Er verlieh Reinhard und Liz Mohn das Bundesverdienstkreuz, hielt in Gütersloh die Rede zur Vergabe des Carl Bertelsmann-Preises. Der Kanzler saß im Publikum und holte die Stiftung in sein Bündnis für Arbeit. Das Bündnis scheiterte, aber für die Bertelsmann Stiftung war diese Arbeit von unschätzbarem Wert, denn sie verschaffte der Stiftung Zugang zur rot-grünen Regierung.

Mit Familienministerin Renate Schmidt ließ Liz Mohn ein Buch schreiben. Ihre Tochter Brigitte vergab zusammen mit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt einen Präventionspreis für Gesundheit; die Ministerin beschäftigte außerdem eine von der Stiftung bezahlte Mitarbeiterin der Stiftung als Beraterin. Innenminister Otto Schily war Hauptredner bei einer Initiative für die Reform der kommunalen Verwaltung. Bundesarbeitsminister Walter Riester bat die Stiftung um Rat bei der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

Kanzler Gerhard Schröder bediente sich der Hilfe der Stiftung bei der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe und später bei einer Initiative zum Bürokratieabbau. Superminister Wolfgang Clement war bereits als Journalist Mitarbeiter der Bertelsmann AG gewesen; als Staatskanzleichef und Medienminister von Nordrhein-Westfalen hatte er die Fernsehpläne der AG unterstützt und als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen kooperierte er eng mit der Stiftung; das blieb auch so während seiner Zeit als Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit. Außenminister Joschka Fischer griff dankbar auf die Hilfe und Unterstützung der Stiftung bei Konferenzen zurück und überließ der Stiftung das Backoffice des Auswärtigen Amtes.

Man könnte die Liste beliebig mit Projekten und Kooperationen mit Ministerpräsidenten und Landesministern fortführen. Entscheidend ist: Als Gerhard Schröder 1998 ins Kanzleramt zog, avancierte die Stiftung zu einem heimlichen Berater des Kabinetts. Sie erarbeitete sich Zugang zu vielen Ministerien und das auf allen Ebenen – der Ministerebene, aber auch der Referenten- und Arbeitsebene – und sie schaffte es, während der rot-grünen Koalition von Schröder und Fischer einen guten Draht zur damaligen Oppositionsführerin Angela Merkel herzustellen. Die Nähe war zu groß, als dass die SPD das Stiftungswesen reformieren und dabei ihre Berater verärgern mochte. Niemand zwang sie dazu. Und warum nicht das Positive sehen? Die Parteien einigten sich darauf, die Idee der Bürgerstiftung hervorzuheben und zu fördern. Bürgerschaftliches Engagement war ein Lieblingsthema von Politikern. Da kam es Reinhard Mohn zugute, dass er 1996 mit der Stadt Stiftung Gütersloh die erste Bürgerstiftung gegründet hatte und seine Stiftung diese Idee unterstützte (mehr dazu im folgenden Kapitel). Dass Bürgerstiftungen weniger demokratisch sind als Vereine, störte sie nicht.

Schröder musste nichts unternehmen, sondern nur zusehen, wie sein Finanzministerium, der Bundesverband der Stifter und die Bundesländer die Reform zerredeten und in ein Reförmchen verwandelten. Eine Reform wäre möglich gewesen, aber natürlich nicht gegen jene Stiftung, die gerade zum heimlichen Kanzlerberater geworden war. Für die Bertelsmann Stiftung wiederum hatte sich die Arbeit gelohnt. Eine Reform, die sie zur Ausschüttung zwingen oder ihre Anteile – wie in den USA – auf 20 Prozent begrenzen würde, hätte Familie Mohn Geld gekostet. Sie konnte sich in ihrem gemeinnützigen Engagement für die Doppelstiftung bestätigt fühlen – den Sparschweinfonds, wie er im Reichstag genannt wurde.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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