4. Eine Medienreform im Dienste der Allgemeinheit – Oder des Unternehmens?

Wir schreiben das Jahr 1999, es ist ein Montagabend im Frühsommer. Um halb sieben klopft Mark Wössner zum Auftakt einer Medienkonferenz mit dem Kugelschreiber gegen sein Weinglas und sagt mit einigem Understatement, er spiele ja »nur den Grußonkel« hier beim Empfang der Bertelsmann Stiftung im Garten des feinen Gütersloher Parkhotels. Bevor er sein Glas zum Toast hebt, erlaubt er sich aber doch einige Bemerkungen, die ahnen lassen, dass er natürlich alles andere als »nur der Grußonkel« ist. Bei den Angriffen »gegen uns« habe er »den Aufschrei« der privaten Fernsehanbieter vermisst, sagt er beispielsweise. Das ist eine seltsame Bemerkung, denn der größte private Fernsehanbieter in Deutschland und Europa ist ja RTL und damit die Bertelsmann AG, die wiederum der Stiftung gehört. Ist Wössner als Aufsichtsratschef von Bertelsmann nicht der oberste Chef von RTL? Eigentlich ja. Wozu dann seine Bemerkung? Spricht er für die Stiftung? Oder für das Unternehmen?

Bevor man seine Worte zu entschlüsseln versucht, sollte man wissen, dass dies keine alltägliche Medienkonferenz ist, zu der die Stiftung für zwei Tage im Mai/Juni 1999 namhafte Politiker wie die Ministerpräsidenten Sachsens und Nordrhein-Westfalens, Kurt Biedenkopf (CDU) und Wolfgang Clement (SPD), Intendanten wie Dieter Stolte (ZDF) und Peter Voß (ARD), Vertreter privater TV-Unternehmen wie Kirch und RTL sowie die Direktoren der Medienaufsichtsbehörden und einige Akademiker und Journalisten nach Gütersloh geladen hat.

Nach zweijährigen Vorbereitungen sollte nicht nur geredet, sondern Politik gemacht werden. Alle zusammen, so die Stiftung, sollten die Grundlagen für eine neue Medienordnung in Deutschland schaffen, die den Anforderungen eines globalen Marktes genügen. Mehrere Studien und Gutachten wurden vorgetragen, deren Ergebnisse nur einen Schluss zuließen: Der deutsche Medienmarkt ist heillos überreguliert.

Rundfunk ist Ländersache und in den neunziger Jahren betrieben die Staatskanzleien der Länder vor allem Standort- und Ansiedlungspolitik. Bayern hatte Kirch und Nordrhein-Westfalen Bertelsmann. In beiden Bundesländern war man interessiert, dass die Medienunternehmen möglichst viele Sender starteten. Die Landesmedienanstalten, die die Sender genehmigen mussten, »waren da reine Agenturen der Staatskanzleien«, sagt der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister. Eine ihrer Hauptaufgaben war allerdings auch, zu großen Medieneinfluss zu verhindern, und dadurch ergab sich ein Interessenkonflikt. Statt Kontrolle auszuüben und Missbrauch offensiv zu bekämpfen, hielten die Aufsichtsbehörden ihre schützende Hand über »ihre« Sender. Der Rundfunkstaatsvertrag schrieb vor, dass ein Unternehmen an einem Sender mit Schwerpunkt Information nur mit höchstens 49,9 Prozent beteiligt sein konnte. Wer eine solche Beteiligung hielt, durfte nur an zwei weiteren Sendern und dann nur mit weniger als 25 Prozent beteiligt sein. Diese Regelung sollte den Einfluss Einzelner eindämmen und Meinungsvielfalt garantieren. Aber sie erschwerte auch die unternehmerische Führung eines Senders.

Deshalb war es eine Konferenz, die dem Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, Mark Wössner, am Herzen lag. Oder dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens und jetzigen Aufsichtsratsvorsitzenden? Während sich Wössner entschuldigte, weil er noch zu einer anderen Veranstaltung müsse, hatte man Gelegenheit, über die Frage nachzudenken, wie jemand eigentlich eine Debatte als unabhängiger Vertreter einer Stiftung leiten will, wenn er zugleich als Aufsichtsrat und oberster Kopf des Unternehmens doch auch dessen Interessen im Blick haben muss? Denn diese Interessen bedeuten nun mal: Märkte erobern mit dem Privatsender RTL und somit den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF Marktanteile abnehmen, wo es nur geht.

Es war eine schizophrene Situation, die sich ins Verrückte steigerte, je mehr Wössner und seine Mitarbeiter versicherten, sie seien völlig unabhängig und zum Wohl der Allgemeinheit tätig. Schließlich agiere die Stiftung ja stets unabhängig und gemeinnützig und sei schon lange und mit hohem Ansehen unter Fachleuten in diesem Themenbereich engagiert. Weder in der Stiftung noch im Unternehmen war jemand zu finden, der die offenkundig gegensätzliche Interessenslage problematisch fand. Die Stiftung gab vor, eine offene und völlig transparente Debatte führen zu wollen, obwohl die Rollen, Funktionen und Interessen der Beteiligten das nicht zuließen. Dass die Stiftung glaubte, sich das erlauben zu können, ist Zeichen ihres Ehrgeizes und ihres Einflusses. Man könnte auch sagen: ihrer Unverfrorenheit.

Als Wössner sich entschuldigte und die Veranstaltung verließ, erweckte er damit den Eindruck, dass seine Anwesenheit hier nicht wirklich notwendig wäre, weil die Stiftung die Debatte ohnehin im Griff hatte. Aber dann lief doch etwas schief. Vielleicht musste das so kommen. Vielleicht war es einfach zu ambitioniert, zu frech oder naiv von der Stiftung, zu glauben, sie könne die Politik in eine neue Rundfunkordnung zwingen. Natürlich muss die Stiftung geahnt haben, welch heikles Thema sie sich da vornimmt und welch gefährlich korrupten Eindruck nach außen es machen muss, wenn der Eigentümer von RTL, des größten privaten Rundfunkveranstalters in Europa, auf neue Regeln für die Kontrolle und Aufsicht des privaten Rundfunks drängt. Schließlich hat sie eine Diskussion angestoßen und fachlich begleitet, die mit Hilfe von Vorschlägen und Studien der Stiftung die Aufgaben und den Einfluss der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender begrenzen sollten – also der größten Konkurrenten von RTL, sprich Bertelsmann.

Wann immer man Mitarbeiter der Stiftung und des Unternehmens auf diesen Interessenkonflikt ansprach, kam wie einstudiert der Hinweis, die Stiftung entscheide nichts, das sei Sache der Politik. Man bringe lediglich die Fachleute und Politiker an einen Tisch. Im Übrigen geschehe das alles öffentlich. Tatsächlich hat die Stiftung Journalisten geladen, die Konferenz zu beobachten und darüber zu berichten. Die Konferenz, ja, die ganze Debatte hat eine lange Vorgeschichte, die zeigt, wie die Stiftung über viele Jahre immer wieder versucht hat, auf die Rundfunkordnung Einfluss zu nehmen.

Bereits im November 1987 diskutierte die Stiftung das Thema »offene Rundfunkordnung«. Neben Wissenschaftlern wie Elisabeth Noelle-Neumann vom Allensbach-Institut und Hans Mathias Kepplinger von der Universität Mainz nahmen auch Martin Bullinger, Universität Freiburg, und Siegfried Klaus vom Bundeskartellamt teil. Es ging vor allem um rechtliche Probleme des Zugangs zum Rundfunkmarkt, wozu viele Juristen ihre Meinungen darlegten. Von Beginn an prägte das Unternehmen die Debatte und das bereits durch seine Präsenz: Die Teilnehmerliste verzeichnet neben zwei Vertretern der Stiftung (Geschäftsführer Hans-Dieter Weger und Peter Pawlowsky) immerhin vier leitende Mitarbeiter des Unternehmens: Manfred Harnischfeger, den PR-Sprecher des Konzerns, Manfred Lahnstein, im Vorstand der AG zuständig für elektronische Medien, Manfred Niewiarra, Chefjustitiar der AG, und Mark Wössner, Vorstandsvorsitzender der AG.

Bullinger referierte zum Problem der Gebührenfinanzierung. Der Professor für Staats- und Verwaltungsrecht schlug vor, ARD und ZDF sollten sich ausschließlich aus Gebühren finanzieren. Werbung solle allein privaten Veranstaltern wie Bertelsmann gehören. Zugleich müsse man ARD und ZDF klare Programmaufgaben zuweisen und sie damit begrenzen. Die Teilnehmer fragten sich damals, ob man nicht ARD oder ZDF privatisieren müsse, um die Trennung von Werbung durchzusetzen. Die Frage blieb ungelöst, aber mit Bullinger haben Stiftung und Unternehmen damals einen Kritiker der öffentlich-rechtlichen Sender gefunden, auf den man bei Bedarf zurückgreifen konnte. Wössner, Lahnstein und andere Manager konnten sich ein Bild machen, wer für die Stiftung in Zukunft Gutachten erstellen sollte. Es ist wohl kein Zufall, dass Bullinger viele Jahre später im Sinne der Bertelsmann AG eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einem Gutachten im Sinne der Auftraggeber flankierte.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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