Die Stiftung prämiert anspruchsvolles Privatfernsehen

Im Herbst 1994 vergab die Stiftung den Carl Bertelsmann-Preis im Themenfeld Medien. Der Preis ist nach dem Gründer des Verlags benannt und mit 300 000 Mark dotiert. Das Thema Qualität im Fernsehen ließ die Stiftung nicht los. VOX war gescheitert, aber die Stiftung wollte zeigen, dass anspruchsvolles Privatfernsehen dennoch möglich ist. Reinhard Mohn prämierte zwei ausländische Sender. Es war eine glanzvolle Abendveranstaltung. Den Preis teilten sich der britische Channel 4 und der australische TVW 7 in Perth. Beide Sender hätten bewiesen, wie Reinhard Mohn bei der Preisvergabe erklärte, »dass ein gesellschaftsverträgliches Fernsehprogramm sehr wohl mit Publikumserfolg und wirtschaftlicher Effizienz einhergehen« könne, wenn das Rundfunksystem sachgerecht geregelt und die Gesellschaftsverträglichkeit als Unternehmensziel verankert sei.

Aus München war der Journalist Herbert Riehl-Heyse angereist, um der Verleihung beizuwohnen. Die Süddeutsche Zeitung druckte seine Beobachtungen unter dem Titel »Vor dem Sexfilm eine hehre Feier«. Reinhard Mohn war – wie seine Mitarbeiter erzählen – gar nicht erfreut über Riehl-Heyses Bericht. Falls er ein Lob erhofft oder gar erwartet hatte, wurde er gründlich enttäuscht. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Verleihung des Preises war für Riehl-Heyse einfach zu groß und er schrieb: »Auch an diesem Freitagabend hat RTL wieder sein bewährtes Wochenendprogramm gesendet: Explosiv natürlich, ›Zum Stanglwirt‹, später am Abend zwei Sexfilme. Mindestens zum ›Garten der Lüste‹ hätten die Führungsspitzen des Hauses Bertelsmann (dem RTL zu 37 Prozent gehört) rechtzeitig wieder vor den Bildschirmen sitzen können, obwohl sie am selben Freitagabend an einem Festakt in der Stadthalle zu Gütersloh teilzunehmen hatten. Bei dieser Veranstaltung wurden die Gewinner des Carl Bertelsmann-Preises geehrt, der in diesem Jahr dem Thema ›Gesellschaftliche Verantwortung im Fernsehen‹ gewidmet war.«2

Vorausgegangen war der Verleihung ein zweitägiges, hochkarätig besetztes Symposium unter dem Titel »Fernsehen bedarf der Verantwortung«. Reinhard Mohn sagte in seinem Vortrag, mit der Entwicklung des Fernsehens in Deutschland »sind wir nur begrenzt zufrieden: Zu oft werden falsche Vorbilder gezeigt, immer wieder sehen wir im Programm Verhaltensweisen, die im Sinne der Gemeinschaftstätigkeit nicht zu tolerieren sind. Schon heute gibt es eine vernehmliche Opposition in der Gesellschaft gegen die Entwicklung des Fernsehens.« Das Programm überschreite »regelmäßig die Grenzen der Gesellschaftsverträglichkeit«. Mohn schloss daraus: »Die Zeit drängt, um geeignete Lösungsmöglichkeiten zu finden.« Dann fügte er noch hinzu, er sei »besorgt über die zu hohe Regelungsdichte«, die einen freien Fernsehmarkt behindere. Mit einem Zuviel aus Reglementierung sei nichts gewonnen. Er hat mit diesen Worten den Bogen von der Moral zum Geschäft geschlagen.

Die Stiftung selbst begründete die Notwendigkeit und Aktualität des Symposiums mit den Worten: »Fachleute und Zuschauer« beurteilten »die Entwicklung des Fernsehens mit großer Sorge«, sie beklagten die »Oberflächlichkeit des Mediums«, den »Sensationalismus« der Nachrichtengebung und sorgten sich um »Gewalt und Sex im Programm«. Niemand wisse, wie die Koexistenz von privaten und öffentlichen Anbietern entwickelt werden könne, »ohne dass die gesellschaftliche Verantwortung dem Konkurrenzkampf geopfert wird«.

Zugleich betonten die deutschen, britischen, amerikanischen und australischen Fachleute, die für die Bertelsmann Stiftung in zehn Ländern zur Lage des Fernsehens recherchiert hatten, dass das »duale System aus öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern allen anderen Modellen überlegen« sei. Nun gut, die Überlegenheit der ARD und des ZDF wollte man in Gütersloh bei der Bertelsmann AG so wahrscheinlich nicht sehen. Der Presse- und PR-Chef des Konzerns verteidigte jedenfalls die »innovativen Leistungen« der Privaten.

Reinhard Mohn nutzte die Preisverleihung und machte Vorschläge, wie das deutsche Rundfunksystems zu reformieren sei. Nicht zufällig beruhten die Vorschläge auf den schlechten Erfahrungen mit VOX. Die föderalen Zuständigkeiten sollten gebündelt werden und durch eine gemeinsame Fernsehaufsicht für die Länder wahrgenommen werden, die dann für die Lizenzvergabe nach einheitlichen Kriterien zuständig sei. Die Konzentrationskontrolle könne wirksamer durch das Bundeskartellamt vorgenommen werden. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau schlug vor, die Lizenzvergabe zu erleichtern, indem künftig alleine die Marktanteile der einzelnen Veranstalter ausschlaggebend sein sollten. Dieser Vorschlag hätte auch von Mohn stammen können.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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