Machterhalt per Satzungsänderung

Eine Stiftung gehört sich selbst, sie existiert bis in alle Ewigkeit und niemand kann sie beherrschen. Das ist die Legende vom Stiften. Die Wahrheit sieht anders aus: Wie kann es sein, dass die Bertelsmann Stiftung vom Gewinn nicht erhält, was ihr zusteht? Das hat mit einer ausgefeilten Verteilung von Macht, Ansprüchen und Rechten zu tun, bei der die Stiftung am Ende nicht erhält, was ihr zusteht, und auf den guten Willen von Liz Mohn angewiesen ist. Ihr räumt die Satzung alle Rechte auf ewig ein. Die Hierarchie ist klar geregelt: Die Familie steht an oberster Stelle, danach kommt ihr Unternehmen. Die Stiftung ist nur Diener von Familie und Unternehmen – ein Werkzeug, mehr nicht.

Die Satzung ist das Grundgesetz einer Stiftung. Sie ist kein Schmuckwerk, sondern legt die wesentlichen Dinge fest. Sie gibt Auskunft, wer die Macht hat in einer Stiftung, und sie entscheidet, wer nach welchen Kriterien Geld bekommt. Manchmal sind die wesentlichen Aussagen in komplizierten Querverweisen versteckt und manchmal erzählen die Satzungen und ihre Änderungen die Geschichte der Stiftung, des Stifters, seiner Familie und seines Unternehmens. So ist es bei der Satzung der Bertelsmann Stiftung. Reinhard Mohn hat sie alle paar Jahre geändert – nicht, weil sich die Grundbedingungen in der Welt geändert haben, sondern weil sich seine Welt und damit seine Interessen geändert haben. Das ist ein heikler Punkt, denn traditionell ist ein Stifterwille bindend für alle Zeiten. Es muss gute Gründe für eine Änderung geben.

In der Stiftungsurkunde, die der Gründungssatzung vom 8. Februar 1977 vorangestellt ist, hat Reinhard Mohn den Zweck seiner Stiftung so formuliert: »Die Stiftung soll nach dem Willen des Stifters vor allem die Selbständigkeit der Unternehmensgruppe Bertelsmann wahren und ihre Entwicklung fördern, damit die Stiftungszwecke nachhaltig erfüllt werden können.« Stiftungszweck waren damals unter anderem die Förderung und Erforschung von Kommunikationsmedien, von Unternehmensverfassungen sowie die Förderung von Institutionen des Sozial- und Gesundheitswesens (heute ist die Liste stark erweitert). Die heute gültige Fassung vom 11. Dezember 2007 hat eine Präambel, die den Zweck im gesellschaftlichen Engagement sieht. Der Errichtung liege »die Überzeugung ihres Stifters zugrunde, dass in unserem Lande die Konsequenzen des entstehenden globalen Systemwettbewerbs nicht hinreichend beachtet werden. Die Bertelsmann Stiftung sollte sich deshalb darauf konzentrieren, Problemlösungen für die verschiedensten Bereiche unserer Gesellschaft zu entwickeln und zugleich der Systemfortschreibung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu dienen. Die Einbeziehung ausländischer Erkenntnisse und ein ausgewogenes Verhältnis von wissenschaftlicher und praktischer Erfahrung sollten dabei beachtet werden.«

Einige der im Laufe der Jahre vorgenommenen Änderungen lassen sich damit begründen, dass das Vermögen und die Projekte der Stiftung von heute nicht mehr mit der Stiftung von 1977 zu vergleichen sind. Andere scheinen beliebig: Früher war der Aufsichtsratsvorsitzende der AG automatisch der Vorsitzende des Kuratoriums – heute ist er nur mehr einfaches Kuratoriumsmitglied. Auch hat Reinhard Mohn in der Satzung in den vergangenen zehn Jahren Dinge geändert, die sich nicht mit gesellschaftlichen Notwendigkeiten begründen lassen, sondern einzig und allein damit, wie er die Entwicklung seines Unternehmens und seiner Nachfolge sah.

Daran lässt sich erkennen, dass die Stiftung in erster Linie den Erfordernissen des Unternehmens folgt. Die Stiftung ist Diener des Unternehmens und der Familie. Das ist ihr eigentlicher Zweck. Je mehr Geld der Stiftung zufloss, desto ausgefeilter und detaillierter formulierte Mohn die Sicherungsrechte. Im Grunde folgen alle Änderungen dem Stiftungszweck aus der Gründungsurkunde: Das Unternehmen steht immer an erster Stelle. Die gesellschaftlichen Begründungen sind Beiwerk. 2007 sicherte Mohn seine Unternehmensnachfolge, darunter das Recht, alle seine Rechte an seine Frau und seine Familie abzugeben. In früheren Fassungen spielten weder Liz Mohn noch seine Kinder eine wesentliche Rolle. Die Stiftung hat sich also im Geiste in eine Art Familienstiftung verwandelt – obwohl sie natürlich weiter als gemeinnützig gilt und steuerbefreit ist. Familienstiftungen sind nicht gemein-, sondern privatnützig. Sie nutzen also einem kleinen Personenkreis und sind deshalb nicht steuerbefreit.

In der ersten Satzung lautete der entscheidende Satz: »Dem Stifter bleibt zu seinen Lebzeiten im Rahmen der Gemeinnützigkeit die Änderung der Satzung vorbehalten.« Aus diesem Satz entstanden im Laufe der Jahre umfängliche Stifterrechte, die heute in § 27 niedergelegt und mittlerweile auf Liz Mohn übergegangen sind. Die Stifterrechte ermöglichen praktisch jede Änderung. Während früher die Familie für die Nachfolge an der Spitze der Stiftung keine Rolle spielte, kommen heute als Nachfolger nur mehr der Ehegatte oder Abkömmlinge infrage. Das heißt, die Stiftung bleibt praktisch immer in der Kontrolle der Familie. Es ist eine gemeinnützige Stiftung, die der Familie Mohn bis in alle Ewigkeit gehört.

Der wahre Stiftungszweck ist in § 18 versteckt, der die Verfügung über Anteile an der Johannes Mohn GmbH regelt. Zur Erinnerung: Die BVG hält über die Johannes Mohn GmbH die entscheidenden Stimmanteile, denn das Kuratorium der Stiftung kann die Stimmrechte der Stiftung nicht ohne Zustimmung der BVG wahrnehmen. Das Kuratorium darf demnach Anteile an der AG nur mit Zustimmung der BVG verkaufen und nur, »wenn der Beschluss dem Geiste des Stifters und seinem Wunsch, dass Einheit und Selbstständigkeit des Unternehmens möglichst gewahrt und seine Entwicklung gefördert werden«, entspricht. Die Stiftung hat somit keinen eigenen, unabhängigen Willen. Das fällt jedoch in der Alltagsarbeit nicht weiter auf, weil die Personen an der Spitze der Stiftung weitgehend identisch sind mit den Personen, die in der BVG das Sagen haben.

Entscheidend ist immer die Stimme von Liz Mohn. Die Gesellschafterverträge und Satzungen besagen, dass sie sowohl in der BVG als auch im Aufsichtsrat jeweils die Interessen des Unternehmens zu verfolgen hat. Auch ihre Entscheidungen in der Stiftung sind demnach stets den Interessen des Unternehmens unterzuordnen und die BVG ist keinem gemeinnützigem Zweck, sondern auch nur den Interessen des Unternehmens verpflichtet. Die gemeinnützige Arbeit ist also stets von nachrangiger Bedeutung für die Stiftung. In erster Linie geht es um die Interessen des Unternehmens. Im Übrigen zählt nur der Wille von Liz Mohn.

Die Anteile der AG sind nicht in Stimm- oder Kapitalrechte aufgeteilt. Das bedeutet, dass die Bertelsmann Stiftung neben den Kapitalauch die Stimmrechte am Unternehmen besitzt. Deshalb brachte Mohn in der Gründungssatzung vorsorglich Bestimmungen für den Umgang mit diesen Rechten ein. Als er dann das Unternehmenskapital in die Stiftung einbrachte, schränkte er die Stimmrechte ein und übertrug sie der Vermögensverwaltung (heute BVG).

Der Vorstand der Stiftung benötigt somit für wichtige Entscheidungen die Zustimmung des Kuratoriums und das Kuratorium benötigt die Zustimmung der BVG. Die BVG benötigt die Zustimmung einer einzigen Person und die ist Liz Mohn. Dieses komplizierte, verschachtelte System mündet in einen einfachen Satz: Liz Mohn herrscht über allem und kann alles entscheiden.

Es ist etwas entstanden, das es eigentlich gar nicht geben dürfte: die gemeinnützige, steuerbegünstigte Familienstiftung. Dies ist ein Widerspruch in sich, denn es gibt eigentlich entweder gemeinnützige Stiftungen, die deshalb steuerbegünstigt sind, oder es gibt Familienstiftungen, die Einfluss und Vermögen einer Familie erhalten sollen und deshalb nicht steuerbegünstigt sind. Die Bertelsmann Stiftung ist gemeinnützig, aber sie wird von einer Familie beherrscht, die diesen Einfluss unter sich vererbt. Dabei hat gerade die Bertelsmann Stiftung viele Personen hervorgebracht, die in Gütersloh viel Erfahrung gesammelt haben und die die Stiftung nach den alten Grundsätzen von Reinhard Mohn führen könnten. Die Ehemaligen sind teilweise gegangen, weil sie die Änderungen nicht mittragen wollten. Liz und Brigitte Mohn haben Reinhard Mohn dazu gebracht, seine ursprüngliche Konstruktion zu korrigieren und die Herrschaft der Familie in der Stiftung durchzusetzen. Die Allgemeinheit finanziert der Familie Mohn Einfluss und Nähe zu den Mächtigen und sichert ihr bleibenden Einfluss in ihrem Unternehmen.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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