11. Angriff auf die Stiftung – Der Versuch einer Stiftungsreform

Am 1. Dezember 1997 veröffentlichte die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Antje Vollmer, eine Gesetzesvorlage für eine Reform des Stiftungsrechts. Konservative Politiker in Bonn reagierten überrascht, wie sie sich erinnert.1 Der damals zuständige CDU-Innenminister Manfred Kanther konnte mit dem Thema nicht viel anfangen. Lustlos habe er reagiert, erinnert sich Christoph Mecking, der damals als Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen die Beratung im Bundestag über Vollmers Gesetzesentwurf verfolgte. Bundeskanzler Helmut Kohl stand nicht auf der Rednerliste. Am Ende der Sitzung trat er dennoch ans Mikrofon und sagte sinngemäß, die Vorschläge Vollmers seien gut und er werde sie, wenn er wieder gewählt werde – wovon er ausgehe – umsetzen. Mecking zweifelt, dass ihm die Tragweite der Details klar war.2 Mit Bertelsmann verband Kohl keine große Liebe, und die Reformen hätten für alle unternehmensverbundenen Stiftungen gegolten. In der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh löste Vollmers Entwurf Unbehagen aus. Eigentlich begrüßte die Stiftung Reformen, auch im Stiftungswesen, aber diese Reformen konnte sie nicht gutheißen. In den 14 Seiten des Gesetzesentwurfs verbarg sich kaum verhüllt ein Angriff auf die Existenz der Bertelsmann Stiftung.

Im Entwurf des Gesetzes zur Förderung des Stiftungswesens, dokumentiert als Drucksache 13/9320 des Deutschen Bundestages, heißt es unter § 81 Stiftungszweck: »Eine Stiftung darf jeden erlaubten Zweck verfolgen, der nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.« Es ist nur ein Satz, den man so interpretieren könnte, dass eine Stiftung keine unternehmerische Tätigkeit ausüben darf. Das scheint eine naheliegende Einschränkung. Zweckbetriebe wie von Pflegestiftungen betriebene Krankenhäuser nimmt sie überdies aus. Beispielsweise betreibt die Robert Bosch Stiftung ein solches Haus (allerdings ist Bosch rechtlich keine Stiftung, sondern eine GmbH).

Aber hier geht es um mehr. In der Begründung des Gesetzes erklärten die vier Abgeordneten der Grünen, die den Gesetzesvorschlag einbrachten, dass sie hier Neuland betreten würden. § 81 habe »keinen unmittelbaren Vorgänger im bisherigen Recht«. Die Abgeordneten bestätigten das Prinzip der Stifterfreiheit – das heißt, dass ein Stifter den gemeinwohlorientierten Zweck frei wählen kann, aber sie machten zugleich deutlich, dass sie an der Gemeinwohlorientierung von Unternehmensstiftungen grundsätzlich zweifelten.

Es ist von Missbrauch des Stiftungswesens mit Hilfe von unternehmensnahen Stiftungen und der Notwendigkeit von Beschränkungen die Rede. Die Stiftung dürfe kein Instrument zur Flucht aus dem Wirtschaftsrecht sein. »Der Einsatz einer Stiftung in Unternehmenszusammenhängen ist rechts- und ordnungspolitisch unerwünscht.« Die Zulässigkeit solcher Stiftungen werde schon lange kontrovers diskutiert. Bestehenden Stiftungen sicherte das Gesetz Bestandsschutz zu. Aber das Gesetz würde der praktizierten Form der Bertelsmann Stiftung die Legitimation entziehen. Vollmer wollte verhindern, dass Unternehmensstiftungen durch eine ausgefeilte Konstruktion die Millionengewinne im Unternehmen halten und ihre gemeinnützige, steuerbegünstigte Stiftung mit einem kleinen Teil abspeisen. Sie wollte mit dem Missbrauch von Stiftungen als Sparbüchse für Unternehmen Schluss machen.

Die Reform ging auf Ideen zurück, die bereits Anfang der sechziger Jahre formuliert worden waren, die aber nie umgesetzt wurden. Die Gründung einer Stiftung sollte so einfach sein wie die Gründung eines Vereins, einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft. Die Zuständigkeit sollte nicht mehr bei der Verwaltung, sondern bei den Gerichten liegen. Dies bedeutete ein verändertes Verständnis der Aufgabe und Rolle des Staates bezüglich der Regulierung von Stiftungen – ein Paradigmenwechsel. Ein Stiftungsregister, analog dem Vereinsregister, sollte alle Stiftungen bundeseinheitlich listen und Informationen über sie online zugänglich machen. Die Aufsicht vor Ort sollte regional erfolgen, aber den Gesamtrahmen sollte der Bund setzen, was das Ende der Standortpolitik bedeutete. All das formulierte der Hamburger Notar und Stiftungsexperte Peter Rawert im Entwurf von Antje Vollmer.

Rawert, der einen renommierten Stiftungskommentar geschrieben hatte, wollte mit der Legende vom Stifter als den bedingungslosen »Helden der Zivilgesellschaft« Schluss machen. Dabei begrüßte er durchaus, dass Stifter einen Teil ihres Vermögens geben, aber er legte Wert darauf, die Wirklichkeit nicht zu verklären: Immerhin erkauften sich Stifter mit einer Stiftung die Möglichkeit, unter Inanspruchnahme der Wohltaten des Gemeinnützigkeitsrechts, private Vorstellungen von Gemeinwohlpflege zu verwirklichen. Das ist viel in einem Staat, in dem Erträge und Vermögen eigentlich versteuert werden müssen. Und es ist ein fragwürdiges Privileg, sofern sie das Geld verwenden, um Politik zu beeinflussen – so wie es die Bertelsmann Stiftung und andere große unternehmensnahe Stiftungen tun. Allerdings mischt sich keine andere Stiftung derart massiv in die Politik ein wie die Bertelsmann Stiftung.

Ihre Skepsis gegenüber diesem Privileg vereinte Vollmer und Rawert, so unterschiedlich ihre politischen Ansichten sonst sein mögen (Rawert steht der CDU nahe). Vollmer war verstimmt, dass die Bertelsmann AG ihrer Stiftung nur geringe Dividenden ausschüttet. Sie hatte viele Jahre in Bielefeld gelebt und sich darüber geärgert, »dass Bertelsmann nie etwas getan hat für das Literaturhaus in Bielefeld, sondern Förderanträge stets ablehnte. Mit dem Geld der Leute aus dieser Gegend ist doch der Lesering groß geworden.«

Rawert und Vollmer wendeten sich vor allem gegen sogenannte Doppelstiftungen. Damit ist gemeint, dass Stifter zwei Stiftungen gründen, davon ist eine gemeinnützig, die andere nicht. Auf die nicht gemeinnützige Stiftung überträgt der Stifter nur einen kleinen Anteil an seinem Unternehmen. Den Löwenanteil erhält hingegen die gemeinnützige Stiftung. Allerdings wird deren Stimmrecht ausgeschlossen und die unternehmerische Leitungsmacht allein bei der nicht gemeinnützigen Stiftung gebündelt. Stimmrechte und Beteiligungsumfang gehen also auseinander. Damit werden Erbschaftsteuer-Spareffekte erzielt. Aber mehr noch: Aus der steuerpflichtigen Stiftung mit dem geringen Kapital, aber hohen Stimmanteil kann das Unternehmen im Interesse des Stifters geführt werden, ohne dass die Gemeinnützigkeit der anderen Stiftung in Gefahr gerät. Das ist in etwa das Modell von Bertelsmann, nur dass Reinhard Mohn eine sogenannte Verwaltungsgesellschaft anstelle der privatnützigen Stiftung konzipiert hat.

Wenn man in Gütersloh auf Vollmers Angriff nicht mit Panik reagierte, dann lag es schlicht daran, dass die Grünen 1997 nicht an der Regierung waren. Ihre Gesetzeseingabe traf auf eine konservative Mehrheit aus CDU/CSU und FDP, die das Stiftungswesen als ihr Thema verstand. Eines aber tat der Gesetzesvorstoß von Antje Vollmer. Er brachte eine Debatte in Gang und genau das fürchteten die großen Stiftungen. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen lehnte den Entwurf deshalb durchweg ab, erinnert sich Mecking. Die Mitglieder des Verbandes waren mit den bestehenden Rahmenbedingungen zufrieden und lehnten generell eine Reform ab. Sie hielten es für möglich, dass neue Regelungen neue Stifter anziehen würden. Vor allem aber fürchteten sie, dass alle Stiftungen einen Preis dafür zahlen müssten, wenn die Öffentlichkeit mehr Rechenschaft fordern würde, sagt Mecking. Was, wenn die Öffentlichkeit die Legende vom selbstlosen Wohltäter nicht mehr widerspruchslos hinnimmt?

Auch die Bertelsmann Stiftung sah Vollmers Vorschläge »als bedenklich und gefährlich« an, erinnert sich Mecking. Der Bundesverband versuchte, in Bonn Politiker von der Notwendigkeit der unternehmensnahen Stiftung und dem Modell der Doppelstiftung zu überzeugen und Mecking geht davon aus, dass Bertelsmann ähnliche Lobbyversuche unternommen hat.

Die Stiftung machte sich das Thema Stifterreform auch noch auf eine andere Art zu eigen: Im Dezember 1998 startete sie – gemeinsam mit Rupert Graf Strachwitz und seinem Maecenata Institut, einer Dienstleistungs- und Beratungsgesellschaft für Stiftungen und andere gemeinnützige Organisationen – eine »Expertenkommission zur Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts«. Die Kommission wurde »nicht als feste Gruppe von Mitgliedern, sondern als Folge von offenen Gesprächsrunden konzipiert«, an der in den folgenden Jahren mehr als hundert Fachleute aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Praxis teilnahmen. Die Ergebnisse wurden fortlaufend in einem Sammelband zusammengefasst. Im Bundestag berieten unterdessen zum selben Thema die Abgeordneten über Gesetzesentwürfe der Regierung aus Grünen und SPD sowie der Oppositionsparteien FDP und CDU/CSU. Auch sie führten Anhörungen durch und hielten Expertensitzungen ab. Ergebnis dieser ersten Phase waren verbesserte steuerliche Bedingungen für Stifter. Im Gegenzug sollten Stiftungen in einer weiteren Stufe zu Transparenz verpflichtet werden. Außerdem wollte Vollmer Fehlentwicklungen bei unternehmensverbundenen Stiftungen ausmerzen. Doch dazu kam es nicht. Warum wurde die Reform zum Reförmchen? Die folgenden Ereignisse geben eine Antwort.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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