Vorläufer der Stiftung: Die Carl Bertelsmann Stiftung und der Bertelsmann Universitätsverlag

Mitte der fünfziger Jahre gründete Reinhard Mohn seine erste Stiftung, die Carl Bertelsmann Stiftung. Mohn ist zu dieser Zeit erfolgreich, aber er steht unter Druck. Er hat mit dem Lesering eine Gelddruckmaschine gefunden: Der »Lesering – Das Bertelsmann Buch« startete am 1. Juni 1950. Nach einem halben Jahr hatte er 52 000 Mitglieder, Mitte 1953 waren es mehr als 500 000. Seine Methoden wurden allerdings als »Bauernfängerei« bezeichnet. Der Lesering galt als System, das den Buchhandel benutzt, aber vor allem Mohn und Bertelsmann nutzt. Mohn ging gegen die Kritik mit Wohltätigkeit an. Kaufmännisches Geschick ist erlaubt, wenn man nicht nur als Ausbeuter auftritt. Mohn sprach mit seinen Kritikern und er rief eine Stiftung ins Leben, die Autoren unterstützen sollte.

Am 15. April 1954 begrüßten Reinhard und sein Bruder Sigbert in Hamburg das millionste Mitglied des Leseringes. Dabei verhinderten die Brüder geschickt, dass eine negative Berichterstattung über die Bücherfabrik den Glanz der Feier trübt. Das taten sie, indem sie nicht das millionste Mitglied in den Mittelpunkt stellten, sondern die Gründung einer Stiftung für Autoren: die Carl Bertelsmann Stiftung. Indem man junge Autoren förderte, konnte man der Öffentlichkeit vor Augen führen, dass man nicht nur Geld zu kassieren verstand, sondern auch bereit war, Geld auszugeben. Bertelsmann stiftete 50 000 Mark, um damit zehn Autoren im Jahr 1954/55 ein Jahr lang mit monatlich 400 Mark zu unterstützen. Bertelsmann leiste damit »einen sehr wichtigen Beitrag zur deutschen Literatur«, sagte Sigbert.

Diese erste Stiftung folgte bereits Prinzipien, die Mohn später auch bei seiner Bertelsmann Stiftung verwirklichen wird. Um die öffentliche Meinung über Buchclubs zu lenken, gründete Mohn ein Institut für Buchmarktforschung (IBF) in Hamburg. Als Leiter setzte er seinen Verlagsleiter Wolfgang Strauß ein. Das Institut vergab Forschungsaufträge und regte Untersuchungen an. Finanziert wurde das Institut von der Stiftung, welche auch die Umsetzung der Forschungsergebnisse unterstützte, wie es in einem Tätigkeitsbericht des Instituts heißt. So sammelte Mohn erste Erfahrungen mit einer Stiftung und verstand sie geschickt für die eigenen geschäftlichen Belange einzusetzen. Man könnte auch sagen: zu instrumentalisieren. Die Kosten für Mohns Propaganda für seinen Buchclub übernahm vermutlich die Allgemeinheit, weil seine Stiftung gemeinnützig agierte.

Reinhard Mohn wollte eigentlich studieren und Ingenieur werden. Die Zeit des Lesens und Lernens in der Lagerbibliothek in amerikanischer Kriegsgefangenschaft hat er genossen. Weil nach seiner Rückkehr die Universitäten geschlossen waren, übernahm er den elterlichen Betrieb und machte nebenher eine Lehre zum Buchhändler. Den Gedanken ans Studium musste er aufgeben. Ende der sechziger Jahre gründete Mohn den Bertelsmann Universitätsverlag, den man als einen thematischen Vorläufer der Arbeit der späteren Stiftung sehen kann: Das Verlagsprogramm umfasste Themen wie Schule, Hochschulreform, Politikberatung und Unternehmensführung. Betreut wurde dieser Verlag von Wolfgang Strauß, der zugleich den C. Bertelsmann Verlag, den Verlag für Buchmarktforschung und das erwähnte Institut für Buchmarktforschung leitete.

Als Herausgeber gewann er den Sozialwissenschaftler Helmut Schelsky, den Gründer der Universität Bielefeld, und dokumentierte in seinem Verlag die Konzeption der Universität durch Schelsky. Mitherausgeber war Paul Mikat, der damalige Kultusminister von Nordrhein-Westfalen. Hartmut von Hentig schrieb über »Universität und Höhere Schule«, Heinz Hartmann und Hans Wienold über »Universität und Unternehmer«. Sie fragten: Was wollen Unternehmer von der Universität? Was müssten sie verlangen, was dürfen sie erwarten? Sie kommen zu dem Schluss: »Die Universität ist, der Anlage nach, durchaus fähig, eine Unternehmerelite heranzubilden.« Allerdings setze das eine Berufsperspektive voraus. Die Einbindung der Unternehmer »verspricht nicht nur einen Nutzeffekt für die Unternehmer, sondern für alle Beteiligten, darunter nicht zuletzt die Universitäten selbst«. Die Universität tendiere zur sozialen Abkapselung. »Wenn sie nun den Unternehmer als neuen Partner in ihre Bereiche aufnimmt, so bedeutet das auch für sie eine Steigerung ihrer Beteiligung am sozialen Wechselspiel.«

Klingt das nicht wie eine frühe Schrift für eine unternehmerische Universität? Reinhard Mohn selbst meldete sich nicht zu Wort, aber für ihn musste diese Schriftenreihe eine gewisse Befriedigung bedeuten. Er, der nie studiert hatte und keine Universität von innen kannte, machte sich nun von außen an ihre Reform und urteilte über gute oder schlechte Ergebnisse.

In diesem Sinne verlegte der Universitätsverlag 1969 ein Werk zur Reform der Hochschulen, geschrieben von Schelsky selbst. Es trägt den Titel Abschied von der Hochschulpolitik oder Die Universität im Fadenkreuz des Versagens und sorgte für Schlagzeilen. Schelsky war durch seine Bücher Die skeptische Generation (eine 1963 erschienene Studie über die deutsche Jugend) und Einsamkeit und Freiheit – Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen (ebenfalls 1963 erschienen) ein berühmter Mann. Als er bei Bertelsmann seine Aufsätze und Reden zum Scheitern der Hochschulpolitik veröffentlichte, druckte der Spiegel einen mehrseitigen Vorabdruck in einer Titelgeschichte.

Ulrich Lohmar, ein Student von Schelsky, schrieb 1967 über Wissenschaftsförderung und Politik-Beratung. Er sah Politiker als »Großmäzene« der Wissenschaftler. Es ist im Rückblick ein kurioses Verständnis, weil er unter Wissenschaft Institute und Stiftungen versteht, die er in seinem Buch auflistet. Unter Politikern versteht Lohmar Angehörige der Regierung, des Parlaments und der Verwaltungsführung. Er schrieb: »Parlament, Regierung und Verwaltung haben in der Wissenschaftsförderung die Aufgabe eines ›Großmäzens‹ übernommen und können sich dafür in der gegenläufigen Beziehung zur Wissenschaft der Möglichkeiten der Politik-Beratung bedienen.«2 Die Politik biete »eine wichtige Aufstiegsmöglichkeit«.

Lohmar schrieb also über die Wechselbeziehung zwischen Politik und Instituten oder Stiftungen und darüber, dass die Politik diese beratenden Institute und Stiftungen finanziere. In gewisser Weise ist das eine frühe Beschreibung des späteren Geschäftsmodells der Bertelsmann Stiftung. Ihre Wissenschaftler beraten Politiker und die Politiker sowie der Staat sorgen im Gegenzug für die Steuerbefreiung der Stiftung – gleichsam wie ein Großmäzen.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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