Die Stadt Stiftung als verlängerter Arm der Bertelsmann Stiftung?
Es musste dem leitenden Gremium der Stadt Stiftung sehr wohl bewusst gewesen sein, dass die Bürger sie als Teil der Bertelsmann Stiftung und Teil der Elite der Stadt wahrnahmen, denn im Jahr 2000 beauftragte die Bertelsmann Stiftung das Maecenata Institut mit einer unabhängigen Studie über die Stadt Stiftung. Ein Ergebnis der Studie war die notwendige Abnabelung von der Bertelsmann Stiftung, wie Frank Adloff und Elke Becker schrieben. Die Verbindung sei nicht nur eine räumliche, sondern auch eine geistige und ideologische. Das Denken der Bertelsmann Stiftung finde sich auch in der Stadt Stiftung.
Es gäbe Anklänge, die nicht auf Gleichberechtigung hindeuten. »Welche Kompetenz und Berechtigung hat die Stadt Stiftung Gütersloh, die Leistungsfähigkeit der Stadt Gütersloh zu verbessern? Dieser Themenkomplex erinnert an die Arbeit der Bertelsmann Stiftung. Die Redeweise von ›Erziehung zur Gemeinschaftsfähigkeit‹ deutet auf ein asymmetrisches Verständnis des Verhältnisses von Stiftung und Bürger hin: Die Stiftung leitet die Bürger an, sich gemeinschaftsfähig zu verhalten. An dieser Stelle schimmert ein Widerspruch in dem Selbstverständnis und der Zielsetzung der Stadt Stiftung Gütersloh auf.«5
Die Bertelsmann Stiftung trug die Kosten für eine hauptamtliche Kraft in Höhe von mehr als 100 000 Mark jährlich. Pressearbeit und Controlling wurden von der Bertelsmann Stiftung geleistet. Die administrative und finanzielle Unterstützung durch die Bertelsmann Stiftung wurde in den Jahresberichten jedoch nicht ausgewiesen. In der Studie heißt es: »Auffällig ist, dass insbesondere Leute, die beruflich schon mit der Bertelsmann AG oder der Stiftung zu tun haben, den Kontakt zur Stadt Stiftung finden … Die besondere Situation der Stadt Stiftung Gütersloh liegt darin, dass sie umfangreiche Unterstützung durch die Bertelsmann Stiftung bekommt, welche eine hohe Präsenz in der Stadt Gütersloh zeigt. Damit ist in der Öffentlichkeit die Befürchtung einer zu hohen Dominanz in der Kommune verbunden.« Die Autoren des Gutachtens betonen: »Es ist begrenzt gelungen, die Stadt Stiftung Gütersloh als ein Modell für Bürgerstiftungen in Deutschland zu etablieren. In den letzten Jahren fand zwar eine Gründungsbewegung statt, doch hat dabei auch die Struktur der Bürgerstiftung Hannover eine Rolle gespielt.«
Die Stadt Stiftung ergänzte ihren Namen um den Zusatz Bürgerstiftung. Als die Stadt Stiftung 2006 ihr 10-jähriges Bestehen feierte, musste Reinhard Mohn die Teilnahme wegen einer Operation absagen. Sein Sohn Christoph überbrachte den 600 Gästen, die sich in der Stadthalle versammelt hatten, ein Grußwort, in dem der Vater betonte: »Die Erwartungen, die ich an die Stadt Stiftung hatte, sind in Erfüllung gegangen.« Reinhard Mohn ließ zudem ausrichten, die Stiftung sei ein Beispiel für gelebte Demokratie. Der ehemalige Ministerpräsident von NRW, Wolfgang Clement, sagte in seiner Festrede: »Ich habe großen Respekt vor dem Anstoß, den Reinhard Mohn vor zehn Jahren gegeben hat. Mohns Initiative hat zu einer Bewegung in ganz Deutschland geführt.« Die Stiftungsmacher nannte er »Mutmacher für das Land«.
Die Feier strahlte Harmonie aus, auch weil zu ihr der Vorsitzende des Gründungskuratoriums der Stadt Stiftung, Mark Wössner, eigens aus München angereist war. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen ließ mitteilen, die Stadt Stiftung Gütersloh habe Beispielhaftes geleistet. Bürgermeisterin Maria Unger sagte: »Hätte Reinhard Mohn die Stiftung nicht geschaffen, man müsste sie erfinden.« Die Stadt Stiftung war in zehn Jahren reich geworden. Das Kapital ist auf immerhin 4,5 Millionen Euro gewachsen. Mehrere Bürger wollen der Stiftung hohe Summen vererben. Die Stadt Stiftung kümmerte sich um dreißig Projekte, um Essensversorgung an Grundschulen und Kindergärten, veranstaltete einen Nachmittag für pflegende Angehörige und Ähnliches mehr.
Ist der Verdacht, die Stadt Stiftung sei der verlängerte Arm der Bertelsmann AG oder der Bertelsmann Stiftung gerechtfertigt? Wixforth gibt zu, dass Bertelsmann anfangs als zu einflussreich wahrgenommen worden sei. »Aber jetzt ist das kein Thema mehr«, versichert er. Jetzt habe man genügend Distanz. Im Vorstand, der die Geschäfte führt, die Stiftung vertritt und die Projekte durchsetzt, sitzen drei Leute: Anette Singenstroth, die Leiterin der Abteilung Buchhaltung und Steuern der Bertelsmann Stiftung, außerdem seit 1996 als Geschäftsführer Michael Jacobi, ein ehemaliger leitender Manager der Drucksparte Mohndruck der Bertelsmann AG, und Gerd Wixforth, der sich selbst als »Freund und Nachbar von Liz Mohn« bezeichnet.
Jacobi schied nicht im besten Einvernehmen von Mohndruck, aber das wusste ja niemand, als er von Wössner im Auftrag von Mohn angesprochen wurde. Von außen wird Jacobi als Bertelsmann-Import wahrgenommen. Förderlich war sicher auch, dass seine Frau Clubmeisterin im Golfclub war und unter den reichen Güterslohern gut vernetzt ist. Dazu muss man wissen, dass der Golfclub Treffpunkt der reichen Gütersloher sowie ein Sammelpunkt für leitende und ehemals leitende Bertelsmann-Manager und ihre Frauen ist. Gerd Wixforth schließlich war Stadtdirektor von Gütersloh und hatte einst Liz und Reinhard Mohn getraut. Seine Frau war früher mit Mark Wössner verheiratet gewesen, dem ehemaligen Chef der Bertelsmann AG und der Bertelsmann Stiftung.
Wixforth selbst bezog, wie bereits angesprochen, nach seiner Pensionierung ein Büro in der Bertelsmann Stiftung und arbeitete dort bis 2004 zum Thema Reform der Verwaltung. Als er siebzig wurde und ausschied, veranstaltete die Stiftung ein Symposium zum Thema »Innovation und Region«, bei dem Wolfgang Clement, Ministerpräsident Peer Steinbrück, Unternehmensberater Roland Berger, Liz Mohn, Bertelsmann-Chef Gunter Thielen und der Chef der Bertelsmann Stiftung, Heribert Meffert, Vorträge hielten. Wixforth selbst sieht sich allerdings nicht als jemand, der der Bertelsmann Stiftung zu nahe stehe, und betont: »Ich bin unabhängig.«
Aber er sagt auch, dass Immanuel Hermreck nicht mit Bertelsmann in Verbindung gebracht werden könne, sondern als Gütersloher Bürger in der Stadt Stiftung engagiert sei. Hermreck sitzt heute im Kuratorium der Stadt Stiftung, dem Gremium, das über die Einhaltung der Stiftungszwecke wacht. Hermreck ist im Hauptberuf Konzernpersonalchef und damit einer der bekanntesten und wichtigsten Manager der Bertelsmann AG. Weiter sitzt im Kuratorium Liz Mohn als Vertreterin der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe. Die Stadt Stiftung nennt sie auf ihrer Website nur in dieser Funktion. Das ist eigenartig, denn in Gütersloh weiß freilich jeder, dass sie die Chefin der Bertelsmann Stiftung ist. Weiter führt die Stadt Stiftung als Kuratoriumsmitglied mit Jimmy A. Schmied eine »sozial engagierte Bürgerin« auf. Liz Mohn bezeichnet Jimmy A. Schmied als ihre beste Freundin. Ihre Tochter Alexandra Schmied und ihr Schwiegersohn Peter Walkenhorst sind beide in der Bertelsmann Stiftung angestellt und betreuen dort das Thema Bürgerstiftungen. Weiterhin ist Mark Wössner im Kuratorium vertreten, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung.
Im Beirat, der Kuratorium und Vorstand bei der Umsetzung der Stiftungsziele berät, sitzt neben Gerd Wixforth Heinz Generotzky, der Direktor der Commerzbank AG in Gütersloh. Auch er und seine Bank sind eng mit Bertelsmann verbunden, weil sie die Ausgabe und den Rückkauf der Genussscheine der Bertelsmann AG bearbeitet – für die Bank ein wichtiges Geschäft.
Wer diese personellen Verflechtungen kennt – und Gütersloh ist zu klein, als dass man sie nicht kennen würde –, den muss erstaunen, dass man denken könnte, die Stadt Stiftung sei nicht von Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung dominiert. Bezeichnend ist vor allem, dass ausschließlich ehemalige und amtierende Mitarbeiter von Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung die Geschäfte führen – darunter seit 2006 die Buchhalterin der Stiftung, Anette Singenstroth, die für Finanz- und Steuerfragen zuständig ist. Enger könnte die Kontrolle kaum sein. Einige Gremienmitglieder haben nichts mit Bertelsmann zu tun, aber Bertelsmann dominiert.
Die Stadt Stiftung gilt als einzige Bürgerstiftung in Deutschland, die top-down, also von oben herab, gegründet wurde. Sie ist – darin liegt die Ironie – eine Stiftung, die den Bürgern verordnet worden ist. Eine Erfolgsgeschichte sicher, denn sie hat genügend Geld, um ihre Projekte zu finanzieren. Aber gelebte Demokratie? Eher das Gegenteil oder zumindest verordnete Demokratie. Sie ist die einzige Bürgerstiftung, die diesen Namen nicht trägt. Mohn, der immerzu von Gemeinschaft sprach, verordnete den Namen Stadt und ließ die Bürger, um die es ihm doch angeblich ging, somit außen vor. Der Name Stadt Stiftung hat sich nicht durchgesetzt, mehr noch: ihre Konzeption hat sich in Deutschland nicht durchgesetzt.
Um sich, wie Wixforth sagt, bewusst von Bertelsmann abzugrenzen, nannte sich die Stadt Stiftung im Sommer 2010 um in Bürgerstiftung. Die Namensumbenennung markiert einen Bruch mit der Tradition. Ein Zeichen, dass sie sich endgültig von ihrem Gründer Reinhard Mohn löst? Die Namensgebung, die auf Reinhard Mohn zurückgeht, sei immer etwas missverständlich gewesen, sagt Wixforth. »Viele glaubten nicht zu Unrecht, dass die Stadt Stiftung mit der Stadt zu tun hat und von ihr kontrolliert oder finanziert werde. Das ist falsch. Der Eindruck mag aber auch durch meine Person entstanden sein, weil ich ja davor als Stadtdirektor amtierte. Auch wir haben uns schwer damit getan und lange gebraucht, bis wir uns jetzt zu der Änderung durchgerungen haben.«
Weiterhin löse sich Liz Mohn von ihrem Gremienposten und habe zugestimmt, ihren Platz freizumachen. Werden nun die Bürger entscheiden, wer ihr nachfolgt? Wird ein »normaler« Bürger ihren Platz einnehmen? Jemand, der nichts mit Bertelsmann zu tun hat? Wandelt sich die Stadt Stiftung nun zu einer echten Bürgerstiftung? Nicht wirklich. Liz Mohn entschied, dass ihr Sohn Christoph ihren Platz einnehmen soll. Die Verantwortlichen der Stadt Stiftung stimmten dem Vorschlag freudig zu. Schließlich würde man ungern auf ein Mitglied der Familie Mohn verzichten.