8. Interessenkonflikte erwünscht – Fragwürdige Doppelfunktion von Stiftungspersonal

Die Vermengung von allgemeinen und öffentlichen Interessen findet nicht nur zwischen Unternehmen und Stiftung statt, sondern auch bei einzelnen Personen innerhalb der Stiftung und im Unternehmen. Bestes Beispiel ist Brigitte Mohn, die Tochter von Liz und Reinhard Mohn

Die Rhön Klinikum AG ist mit 53 Krankenhäusern sowie 29 Medizinischen Versorgungszentren der größte private Betreiber von Krankenhäusern in Deutschland und seit 1989 börsennotiert. Am 15. Mai 2006 kaufte Brigitte Mohn 1 000 Aktien der Rhön Klinikum AG zum Wert von 36 795,33 Euro. Am 25. Mai 2009 kaufte sie weitere 2 000 Aktien, diesmal im Wert von 29 917,24 Euro. Am 30. Juli 2009 verkaufte sie eine Aktie im Wert von 41 Cent und einen Tag danach kaufte sie weitere 1 333 Aktien im Wert von 17 728,90 Euro. Es geht nicht um Millionen und der An- und Verkauf wäre nicht weiter erwähnenswert oder problematisch, wenn Brigitte Mohn nur im Aufsichtsrat der Rhön Klinikum AG sitzen würde. Seit dem 17. Juli 2002 sitzt sie im Kontrollgremium, das den Vorstand beaufsichtigt, gemeinsam mit Eugen Münch, dem Gründer und Hauptaktionär der Klinikkette. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Mitglieder eines Kontrollgremiums Aktien des Unternehmens kaufen, das sie beaufsichtigen – solange sie das offenlegen.

Problematisch ist aber, dass Brigitte Mohn seit 2002 auch den Bereich Gesundheit der Bertelsmann Stiftung leitet, der Politikern in Regierung und Opposition unabhängige Empfehlungen für Gesundheitsreformen geben will. Diese Doppelfunktion schafft einen Interessenkonflikt, der sich nicht durch eine schlichte Offenlegung beseitigen lässt. Denn die Beratung und Projektarbeit der Stiftung ist stets mit der Versicherung versehen, man setze sich für das Allgemeinwohl ein. Deshalb sind diese Aktivitäten der Stiftung schließlich steuerbegünstigt. Es ist ein Konflikt, den Brigitte Mohn gewählt hat und der unabhängig davon besteht, ob sie Aktien der Rhön Klinikum AG hält oder nicht – der Ankauf der Aktien verdeutlicht und verschärft jedoch den Konflikt.

Die Stiftung diskutiert und empfiehlt auch nicht nur, sie berät Ministerien und tauscht sich mit Fachpolitikern aus. Sie organisiert Debatten über die Reform und bestimmt die Agenda. Und sie hat ein gemeinnütziges Centrum für Krankenhausmanagement (CKM) gegründet, das Krankenhäuser berät. Es ist an die Universität Münster angegliedert und erweckt dadurch den Eindruck von Unabhängigkeit. Entstanden ist es auf Betreiben von Reinhard Mohn, nach dessen Eindruck und Diagnose das deutsche Gesundheitswesen vor allem an mangelndem Wettbewerb krankt. Sein Allheilmittel: Wettbewerb durch Privatisierung.

Als die Stiftung 2003 Grundlagen einer neuen Ordnungspolitik für den Gesundheitssektor erarbeitete, beschrieb Brigitte Mohn die Position der Stiftung mit folgenden Worten: »Gesundheitspolitik muss aus Sicht der Bertelsmann Stiftung den Versuch wagen, jenseits von Partikularinteressen gesamtgesellschaftlich relevante Lösungen durchzusetzen.« In einem Interview mit der eigenen Hauszeitschrift Forum fragte sie ihr Mitarbeiter, aus welcher Sicht das Themenfeld Gesundheit mitgestalten werden solle. Brigitte Mohn antwortete: »Aus der Perspektive der Versicherten. Der gesetzlich oder privat Versicherte ist Zahler, aber auch potenzieller Nutzer von Leistungen des Gesundheitssystems. Seine Perspektive ist die einzige, die sowohl die Ausgabenseite als auch die Nutzenseite umfasst. Der Versicherte ist Kunde, und die Leistungsbringer sind Service-Anbieter.«1

Eine schöne Formulierung und sie beschreibt tatsächlich eine sinnvolle Position. Aber wie will Brigitte Mohn als Vertreterin der Betreiber, also der Anbieter, zugleich auch die Position der Versicherten einnehmen? Es fällt schwer zu glauben, dass sie diesen Spagat vollziehen kann, da sie durch ihr Aufsichtsratsmandat ja fest verankert auf der Seite der privaten Krankenhausdienstleister steht – auf einer Seite also, deren vordringliches Ziel es ist, mit ihren Dienstleistungen Gewinne zu erwirtschaften. Aufsichtsräte sollen den Vorstand des Unternehmens beraten und überwachen – aber stets im Interesse des Unternehmens, nicht der Allgemeinheit.

Das Interesse des Unternehmens bedeutet: Kommunale Krankenhäuser möglichst kostengünstig zu übernehmen, um dann lukrative Angebote der Kliniken beizubehalten und auszubauen und weniger lukrative Angebote abzustoßen und einzustellen. Der Betrieb soll dann rund 10 Prozent Rendite abwerfen. Mit einer Vollversorgung der Bürger hat das wenig zu tun. Kann Brigitte Mohn diese Interessen wie ein Kleid abstreifen, sobald sie die Beratungen und Räumlichkeiten der Rhön Klinikum AG verlässt? Und falls das so ist: Wird sie nicht auch außerhalb der Beratungen für die Interessen eines Unternehmens eintreten, dessen Aktien sie besitzt? Wird die Stiftung es wagen, die Sparmaßnahmen der Rhön-Gruppe und anderer privater Klinikbetreiber kritisch zu benennen, falls es nötig ist? Wird es überhaupt Studien oder Untersuchungen geben, die Kritik an dieser Politik äußern könnten?

Brigitte Mohn hat sich ganz bewusst in diesen Interessenkonflikt begeben, der keine Unabhängigkeit mehr zulässt. Wie sollen Politiker und Fachleute Hinweise aus ihrem Geschäftsbereich in der Stiftung deuten? Eigentlich müssten sie stets prüfen, inwiefern Interessen des größten privaten Klinikbetreibers berührt sind. Da die Stiftung im Bereich Krankenhaus und Gesundheit stets für mehr Wettbewerb und Privatisierung eintritt, ist das eigentlich immer der Fall. Unabhängig bedeutet in diesem Fall also: unabhängig von den Interessen der Allgemeinheit, im Denken abhängig von einem privaten Klinikbetreiber. Man könnte auch sagen: Brigitte Mohn hat sich für jeden erkennbar als Lobbyistin der privaten Klinikbetreiber positioniert.

Anzumerken ist auch, dass 2008 die zwanzig Aufsichtsratsmitglieder der Rhön AG insgesamt 2 226 000 Euro erhielten, im Schnitt jedes Mitglied also 113 300 Euro für die Teilnahme an mindestens zwei der vier Sitzungen, wie es im Geschäftsbericht der Rhön-Gruppe heißt. Für eine der reichsten Frauen der Republik mögen aber nicht das Geld, sondern Einfluss, Bestätigung und Zugang zu Personen und Informationen der wichtigere Grund gewesen zu sein, die Funktion des Aufsichtsrates zu übernehmen.

Man muss Brigitte Mohn nicht vorwerfen, dass sie sich in ihrer Position im großen Stil bereichere oder die Honorierung ihres Engagements nicht verdiene. Dazu sind das Investment und die Vergütung zu klein. Außerdem sind sie legal. Lediglich durch ihre Doppelfunktion wird ihr Verhalten moralisch verwerflich, denn durch das Investment zusammen mit ihrem Engagement im Aufsichtsrat ist für jedermann klar erkennbar, dass sie in der Gesundheitspolitik die Interessen eines Einzelnen vertritt. Eigentlich hätte sie mit Antritt ihres Vorstandspostens in der Stiftung das Mandat aufgeben müssen. Dass sie es nicht tat, offenbart eine problematische Auffassung von Unabhängigkeit. Ihre Befangenheit ist bewusst gewählt und deshalb besonders aufschlussreich für das Verständnis von Gemeinnützigkeit an der Spitze der Stiftung.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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