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Irma legt sich auf ihr Sofa. Sie ist müde. So müde. Plötzlich ist alles leicht. Sie hat der Frau mit dem Pferdeschwanz alles erzählt. Nun weiß sie: Julika wird alles erfahren. Mit ihren eigenen Worten. Julika wird erfahren, dass ihre Großmutter Lisa nicht töten wollte.
Irma nickt ein. Träumt von einem Baum, dessen Stamm sich spaltet. Sie schreckt hoch. Hat das Gefühl, dieser Traum gehöre ihr nicht. Ruft Julikas Namen. Schläft wieder ein. Etwas juckt an ihrem Fuß. Da zupft ein Vogel an ihren Zehen. Doch als sie aufschaut, erschöpft, umschwirrt nur eine Schmeißfliege ihren Körper. Irma lächelt. Sie ist zeit ihres Lebens verlassen worden. Von ihrer Mutter. Von ihren Männern. Sogar von ihrer Tochter. Aber Julika ist zu ihr zurückgekommen. Steht sie da nicht? Irma hebt den Kopf, sieht auf die Uhr. Gleich 19.30 Uhr. Gleich beginnt das Fest- und Tanzspiel im Rathaus-Prunksaal. Irma hat es, so scheint es ihr, Hunderte von Malen gesehen. Stets mit der Braut, der jungen Hedwig aus Polen, mitgelitten. Was für eine beschwerliche Reise sie hatte, zu einem Bräutigam, den sie nicht kannte, Pest und Tod trotzend.
Irmas Kopf rutscht auf die Armlehne zurück. Sie schließt die Augen. Heute ist sie zu müde, um zum Rathaus zu gehen.