12
Ich verließ Irmas Wohnung, stieg langsam die enge Treppe hinunter und trat auf die Straße hinaus. Es wurde dämmrig. Feucht legte sich die Treibhausluft auf mich. Ein Kostümierter mit einer Trommel vor dem Bauch huschte vorbei. Männer in Strumpfhosen sehen irgendwie seltsam aus, dachte ich.
Irma konnte erzählen. Ohne je irgendwelchen Theorien über Plotaufbau und Figurensetting ausgesetzt gewesen zu sein, verstand sie es, ihre Zuhörer zu fesseln. Ein klein wenig beneidete ich ihre Generation. Sie hatte tatsächlich etwas Substantielles zu berichten, anstatt nur Emoticonschrott durch die Atmosphäre zu pixeln.
»Guten Abend«, sagte jemand zu mir, »hier wohnt doch Irma Schwand?«
Ich zog die Haustür hinter mir zu und sah mich nach dem Urheber dieses außerordentlich hochdeutsch ausgesprochenen Satzes um. Vor mir stand Cary Grant. Der Schwarm aller Frauen. Der Charmebolzen.
»Schon, aber sie hat gerade Besuch. Etwas … Privates.«
Flucht nach vorne. Meine Neugier trieb mich. Meine Neugier auf Cary Grant, den Mann mit dem tiefsitzenden Seitenscheitel und der ganz sacht zusammengezogenen Stirn, als befinde er sich für Nanosekunden im Zustand der Verwirrung.
»Magnus Kreuzkamp. Redakteur hier bei unserem Klatschblatt.« Er lachte und reichte mir die Hand.
»Kea Laverde«, sagte ich.
»Eine Bekannte von Irma?«
Ich nickte kurz. »Ja. Aus München.«
»Aus München?« Er sah mich zweifelnd an.
»Was ist los? Sind Sie zu einem Interview hier?«, fragte ich und zeigte auf den Eastpak-Rucksack, der ihm über der Schulter baumelte.
Wir maßen uns mit Blicken. Der Mann wusste um seine Wirkung, kein Zweifel.
»Leitner ist bei ihr, oder?«, fragte Kreuzkamp.
»Was ist hier los?«
»Ihre Enkelin ist tot.«
»Julika? Um Himmels willen!«
»Kennen Sie sie?«
»Nein, das nicht, aber …« Mir schossen eine Menge Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. »Tot?« So bekam Hauptkommissar Leitners abendlicher Besuch einen Sinn.
»Vielleicht sollten wir irgendwo was trinken gehen«, schlug Cary Grant alias Magnus Kreuzkamp vor.