62

Nero hörte jemanden aus dem Haus stürmen. Auf der ihm abgewandten Seite.

»Keller, verflucht!« Leitner rannte geduckt zu ihm hinüber. »Die Verstärkung ist unterwegs. Machen Sie nichts Unüberlegtes.«

»Sichern Sie mich?«

»Sie haben einen an der Mütze.«

»Nein. Ich will da rein.« Neros Blick hielt den seines Kollegen für Sekunden fest. Dann liefen beide los, an der Frontseite des Hauses entlang. Nero nach rechts, Leitner nach links.

Kea. Er sah ihren wiegenden Gang vor sich, das schwarze Haar. Das freche Lachen. Kackfrech, manchmal. Ich liebe sie.

Sie trafen sich auf der Gegenseite. Leitner stand an die Wand gepresst vor dem Kellereingang. Nero sah das zerschossene Fenster und die Spuren von Füßen, die über den morastigen Boden in den Wald führten. Er bückte sich und huschte an dem Kellerfenster vorbei. Kurz meinte er, ein Stöhnen gehört zu haben. Ruf sie nicht. Ruf sie nicht. Wir wissen nicht, wer noch dort ist. Nero drehte sich um, bewegte nur die Lippen: »Leitner! Da drin ist jemand!«

Leitner nickte.

Gemeinsam gingen sie die Stufen hinunter, durch die offenstehende Kellertür.

In der Düsternis konnte Nero kaum etwas erkennen. Er spürte die bedrückende Enge des Raumes, die niedrige Decke dicht über seinem Kopf. Leitner stand ihm gegenüber. Sie warteten ein paar Sekunden, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. An Leitners besorgter Miene erkannte Nero sofort, dass der Kollege roch, was ihm längst in der Nase stand: Der Geruch des Todes.

»Dieses Verlies ist unterteilt in lauter kleine Kammern«, wisperte Nero. »Das wird gefährlich.«

»Sie wollten ja nicht warten.«

Er konnte nicht warten. »Ich gehe nach links«, bestimmte Nero.

»Roger.«

Nero achtete auf seinen Atem. Er hatte gelernt, auch in brenzligen Situationen, wenn er meinte, jeder Atemzug sei zu hören, genug Luft in seine Lungen zu pumpen. Behutsam tastete er sich durch ein Abteil nach dem anderen. Er wusste, was er über kurz oder lang aufspüren würde.

Nur nicht Kea. Irgendjemanden. Nur nicht sie. Bitte nicht sie.

Noch war nicht klar, ob hier unten auch für ihn oder Leitner eine Gefahr lauerte.

Als er den Raum mit dem zerschossenen Fenster erreichte, wusste er, dass er am Ziel seiner Suche war. Zwei Männer lagen am Boden. Für einen kam sichtbar jede Hilfe zu spät. Und Cary Grant lag in seinem eigenen Blut.

»Leitner!«, brüllte Nero.

Der Kollege stand schon neben ihm.

»Verdammt. Der Kreuzkamp! Und der Alfi!«

Nero berührte Kreuzkamps Schulter. Sein T-Shirt war durchdrängt von Blut. Nero zog sein Hemd aus und formte es zu einem Klumpen, während Leitner fluchend aus dem Keller lief, um einen Notarzt zu rufen.

»Hören Sie mich?«, drängte Nero. Er riss dem Verletzten das T-Shirt vom Leib. Die Kugel war knapp unterhalb des rechten Schlüsselbeins eingedrungen. Blut pulste in Stößen heraus. »Hören Sie mich?«

Von Kreuzkamp kam nur ein Wimmern.

»Wo ist Kea?« Nero drückte mit aller Kraft sein Hemd auf die Wunde und zerrte seinen Gürtel aus der Jeans. »Wo ist Kea!«

»Abgehauen«, flüsterte Kreuzkamp.

»Wer hat Sie angeschossen?«

Der Mann konnte es noch schaffen. Wenn er nicht zu viel Blut verloren hatte.

»Hall…«, kam es von Kreuzkamp.

»Hallhuber?« Nero zurrte den improvisierten Druckverband fest. Er hörte Leitner zurückkommen und fragte sich, wo eigentlich Yoo Lim steckte. »War es einer? Nur einer? Oder mehrere?«

»Einer.«

»Sie schaffen das!«, sagte er zu Kreuzkamp und richtete ihn ein Stück auf, damit er sich gegen die Wand lehnen konnte.

Kreuzkamp zitterte unkontrolliert.

Aus dem Wald ertönte ein neuer Schuss. Von weit her.

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