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»He, Hartstetter!« Leitner griff dem Pferd in die Zügel. »Warte mal.«
»Was?« Christian Hartstetter, hoch zu Ross, trug Unterzeug und Schutzhandschuhe und machte eine wichtige Miene, während sein Knappe ihm half, die Rüstung anzulegen.
Leitner warf die Zigarette auf den Boden und trat sie aus.
»Mensch, Leitner!« Hartstetter beugte sich zu ihm herunter. »Der Dreck bringt dich noch um.«
»Kanntest du die Cohen Julika?«
Hartstetter, dem die blonden Haare fast bis auf die Schultern fielen, wurde rot. Wenn man Elkes Mutter glauben durfte, hatte er in dieser Saison bei der Damenwelt die höchste Punktzahl bereits erreicht. »Was meinst du?«
»Ob du sie kanntest.«
»Klar. Die war noch nicht lange in Landshut. Und wenn neue Mädchen kommen …«
»Neue Lieferung, ja?«
»Schmarrn.« Die Rüstung knarrte, das Pferd warf unruhig den Kopf hin und her. Der Knappe reichte die Helmglocke hinauf. Leitner erinnerte sich daran, wie er als Kind beim Hochzeitszug ganz vorne gestanden war. Ganz nah an den Akteuren. Wie die Pferde getänzelt hatten, nervös, verschreckt, wie sie manchmal ausgebrochen waren und von den Reitern nur mit Mühe gehalten werden konnten. Jedes Mal war er zurückgewichen, hatte sich an die Beine seiner Mutter gedrückt.
»Wer von euch hat sich denn für die Julika interessiert? Für sie als Frau?« Leitner kam sich dämlich vor. Wer war scharf auf sie? Wer hat sie flachgelegt? Das wären die richtigen Fragen. Aber hatte er, Leitner, Elke flachgelegt? Auf dem Pick-up? Das traf rein technisch zu. Aber stilistisch nicht.
Hartstetter stülpte den Helm über. Sein Gesicht war nun bis auf den Mund und das Kinn bedeckt. Leitner spürte, wie der junge Mann ihn durch den Sehschlitz musterte. Der Knappe reichte Kinnreff und Kehlstück an. Leitner kannte ihn vom Sehen. Thomas Kuznick, ein krummer Hund, vielleicht Mitte 20, der als Zwölfjähriger das erste Mal auf dem Revier aufgeschlagen war. Ladendiebstahl, kleine Gaunereien. Seit ein paar Jahren schien er sich gefangen zu haben. Sein Viperntattoo, das ihn im Ort auszeichnete und das normalerweise dreist von seiner Brust herabspähte, war ganz nach Vorschrift unter der Kostümierung verborgen. Meine Güte, so hager hatte Leitner ihn gar nicht in Erinnerung. Er sah fast verhungert aus!
»Ihr habt doch einen internen Wettbewerb«, sagte Leitner kühl. »Spricht sich ja schnell rum. Ritter kommen bei der Weiblichkeit gut an.«
Kuznick lachte. »Mit Turniersieg haben die Herren die besten Chancen. Das spornt an.«
Hackstetter klopfte auf seinen
Schild, den er an der Rüstung trug, und den die Connaisseurs
›Tartsche‹ nannten. Die Montur bedeckte nun vollständig sein
Gesicht. Seine Stimme klang metallisch durch die
Panzerung.
»Na und, Leitner! Ist nicht verboten!«
Der Knappe hängte die Lanze ein.
»Also hast du sie gekannt, warst scharf auf sie und hast sie flachgelegt. Und das bedeutet, du bist ein wichtiger Zeuge. Komm zu mir ins Büro. Ungeduscht. In zwei Stunden.«
Leitner zog von dannen. Er ließ sich doch von den potenten Halbstarken nicht verscheißern! Er doch nicht!
»Nun warte mal, Leitner.«
Aha. Der Kommissar drehte sich um: »Gedächtnisfunktionen durchgecheckt?«
»Ich hatte nichts mit der Julika.« Hartstetter trieb sein Pferd an und brachte es neben Leitner zum Stehen. »Aber es stimmt. Wir hatten sie auf der Liste.«
»Auf welcher Liste?«
»Keine Liste auf Papier. Du weißt ja, wie man redet. Unter Männern.«
»Weiß ich das?« Leitner starrte auf den Sehschlitz des Ritterhelmes. Was für eine alberne Prozedur. Er wollte nicht in der Panzerung feststecken, um in der Sonne zu rösten.
»Man unterhält sich eben. Diskutiert die Frauen durch, die man gut findet. Mit denen man gern mal …«
»… nebenraus gehen will«, vollendete Leitner. »Wer wollte in die Besenkammer? Oder«, er wies auf die Stallungen hinter sich, »in die Sattelkammer?«
»Der Hallhuber Siegmar und sein Kumpel, der Berger Alfi. Die haben gewettet. Wer die Julika zuerst rumkriegt, hat gewonnen.«
»Wie hoch ist der Wetteinsatz?«
»Zwei Kästen Bier.«
»Was hat denn der Neugruber dazu gesagt?« Leitner musste an sich halten. Die Männer wurden immer fantasieloser. Kein Wunder, wenn sie keine Freundin fanden, die es länger als ein paar Nächte bei ihnen aushielt.
»Welcher Neugruber?« Hartstetter tätschelte seinem Pferd den Hals.
»Der Herbert. Mensch, die Julika war mit ihm zusammen.«
»Die war nicht mit dem Neugruber zusammen. Das hätte er gern gehabt. Er hat es in der ganzen Stadt herumposaunt. Aber das war Wunschdenken, Leitner! Wunschdenken. Die Julika hätte den Neugruber nicht mit der Kneifzange angefasst.«
»Die beiden sind also nicht miteinander in der Sattelkammer gewesen?«
»Ach, lass den Scheiß. Der Neugruber, der hat bei der Landshuter Hochzeit noch nie mitgemacht. Dem fehlt’s an allem. Keine Disziplin, der kann nicht mal reiten. Zu den Proben würde er auch nicht kommen. So ein hartes Programm hält der Neugruber nicht durch. Der hockt lieber vor seinem PC und ballert sich die Birne weich.«
»Killerspiele?«
»Alle Spiele, wo das Blut spritzt. Schau ins Internet, da findest du, was du suchst, und erwischt wirst du eh nicht. Du kannst zu jedem legalen Spiel eine schuftige Aufrüstung finden. Mehr Gewalt, mehr Sex, mehr tote Frauen.«
»Also Julika und Herbert, die waren kein Paar?« Leitner betrachtete mitleidig das Pferd, das unruhig den Kopf hin und her warf, offensichtlich unglücklich über die schwere Schabracke, die ihm nur zwei schmale Gucklöcher ließ.
»Habe ich dir doch gesagt! Das hat der Herbert rumerzählt. Der gibt an wie zehn nackte Neger.«
»Vorsicht! Rassismus!«
»Bin ich Beamter? Wenigstens darf man noch sagen, wonach einem ist.«
»Servus«, sagte Leitner, und dachte bei sich: Hundsfrecker, damischer!