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Lebendig begraben, Lisa.
Dir verdanke ich mein Leben.
Etwas mehr als 24 Stunden später werde ich zum undankbarsten Menschen auf diesem Planeten geworden sein.
Die Detonation schleudert uns von der Holzbank. Ich stürze in die Scherben der Karbidlampe. Plötzlich ist alles still. Nur das Pfeifen in meinen Ohren hält an.
Bin ich taub?
Neben meinem Gesicht spüre ich etwas Warmes. Die Wände über uns bewegen sich wie ein gewaltiges Tier. Der Marder hat den Weg nach draußen längst gefunden. Ich muss husten, etwas tut furchtbar weh dabei. Endlich reißt der Einäugige ein Streichholz an. Ich blinzle, sehe im schwachen Lichtschein die Soldaten, sehe dich, Lisa. Einer rüttelt an der Kellertür. Die Tür ist blockiert, und wie auf Kommando drehen sich eure Köpfe. Ihr blickt auf den Durchbruch in der hinteren Wand. Da könnte es rausgehen. Vielleicht. Die Angst macht die Welt still. Kaum einer sagt etwas, stumm sehen wir uns um. Ich liege immer noch auf dem Boden. Mir wird kalt dabei.
Lisa, will ich zu dir sagen, dein Haar ist ganz weiß. Der Raum beginnt sich um mich zu drehen. Dann schreist du, ich sehe deinen offenen Mund, deine weißen Zähne, deine angsterfüllten Augen. Wenn nur meine Ohren nicht so pfeifen würden. Du beugst dich über mich, ein Soldat kommt dazu, einer mit einer grässlich fleischigen Narbe mitten im Gesicht.
Ich lese von deinen Lippen. Du sagst, ich würde bluten. Und augenblicklich weiß ich, warum alles so warm und nass um mich ist. Der Soldat reißt einen Streifen von seinem Hemd. Er presst den Stoff auf meinen Arm. Du siehst ihm dabei zu, schaust in mein Gesicht, deine Hand nähert sich meiner Wange. Nein, Lisa, schlag mich nicht, das hier ist nicht meine Schuld. Schlag mich nicht.
Aber dein Hand ist ganz warm und tätschelt meine Wange, streichelt mein Gesicht. Das hast du noch nie gemacht, Lisa, sonst muss doch ich dich trösten. Ich weine ja nicht einmal. Ich höre nur nichts. Meine Ohren pfeifen.
Ach Lisa, ach Lisa.