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»Solche Überempfindlichkeitsreaktionen sind selten«, fasste Leitner eine Stunde später im Besprechungszimmer zusammen. »Der Hallhuber ist Asthmatiker. Es hat ihn voll erwischt. Analgetika-Intoleranz, sagt der Arzt.«

»Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen«, erwiderte Nero. »Sie konnten es ja nicht wissen!«

»Den allergischen Schock hätte er fast nicht überlebt!« Leitner zündete sich eine Zigarette an. »Dem ist der Kehlkopf zugeschwollen. Wäre der Notarzt nur ein paar Minuten zu spät gekommen … der Hallhuber hätte ins Gras gebissen. Scheiße. Der wäre unter unseren Augen erstickt. Wollen Sie eine?«

Nero nahm die Zigarette, die Leitner ihm hinhielt. Nur, um die Beziehungsebene zu stabilisieren. »Der Hallhuber muss doch gewusst haben, dass er allergisch ist. Hat man in seinem zarten Alter den ersten Kater?«

Leitner zuckte die Achseln.

»Oder hat er es drauf angelegt?« Nero traute es ihm zu.

»Also, was war das, Keller, was haben Sie da für eine Geschichte zusammenfantasiert?«, lenkte Leitner ab.

»Ich glaube, ich war auf der falschen Spur«, sagte Nero. »Ich kann meinen Verdacht nicht untermauern, aber da wir auf dem eingeschlagenen Weg nicht weiterkommen, sollten wir uns überlegen, ob nicht doch Julika Cohen die Kontaktfrau zur Phishing-Szene war.«

»Und der Hallhuber hat sie erpresst? Mit einer CD? Der Hallhuber ist dafür zu blöd, Keller.«

»Oder er stellt sich blöd.«

»Ich kenne ihn, seit er in die Schule kam. Immer ein bisschen träge. Das Gegenteil von clever.«

»Aber er lebt nicht mehr hier, sondern in München. Und mit wem er da zugange ist, das wissen Sie nicht.«

Leitner drückte die Kippe auf einer Untertasse aus und zündete die nächste an: »Vielleicht war es umgekehrt. Vielleicht hat die Julika den Hallhuber erpresst. Erpressung ist ein Risikogeschäft. Hoher Einsatz mit einer gewissen Falltiefe.«

»Das hieße aber, Hallhuber muss im Phishingsumpf stecken. Außerdem muss Julika etwas gegen ihn in der Hand gehabt haben. Sie halten das nicht für wahrscheinlich, oder? Vielleicht haben wir mit Hallhuber auch nicht den richtigen Vogel in den Käfig gesperrt.« Nero drückte die halb aufgerauchte Zigarette aus. »Mein Szenario geht so: Julika Cohen brauchte Geld. Und suchte sich eine passende Einnahmequelle.«

»Könnte hinkommen«, sagte Leitner. »Wir haben ihr Konto gecheckt. Da waren nur 200 Euro drauf.«

»Sie ist eine aufgeweckte junge Frau. Will studieren. Wen sie kennt, das wissen wir nicht. Mit wem sie so herumzieht. Aber nichts spricht dagegen, dass sie Kontakt zur Szene fand und für die Herrschaften ein paar Hilfsdienste übernommen hat.«

»Fantasie, Keller.«

»Ja, noch. Aber wir haben in diese Richtung nicht ermittelt.«

»Kollegin Asien hat ihre Anrufe gecheckt. Julika hat einige Male eine Prepaid-Nummer angerufen. Guatemala.«

»Her damit.«

Leitner trat auf den Korridor und kam kurz darauf mit einem Stapel Papiere zurück. »Schauen Sie sich das an. Yoo Lim sagt, sie kriegt nicht raus, wer das andere Ende der Leitung ist.«

»Ich kümmere mich drum.«

»Mir gefällt Ihre Methode nicht«, sagte Leitner zögernd. »Ich sammle lieber Spuren und reime mir dann die Geschichte dahinter zusammen.«

»Ein rein induktives Vorgehen. Spricht nichts dagegen«, entgegnete Nero. Leitner tat ihm leid. Dass sein Verdächtiger um ein Haar abgenippelt wäre, hatte ihm einen Schock versetzt. »Deduktiv ist aber auch ganz gut. Von einer Annahme ausgehen und sehen, was dazupasst.«

Leitner hustete anhaltend.

»Machen Sie, was Sie meinen. Ich erkundige mich nach dem Hallhuber.« Er hievte seinen schweren Körper hoch und ging zur Tür, als Yoo Lim hereinstürmte.

»Elizabeth Cohen ist da«, sagte sie. »Ihr Flieger kam pünktlich in München an. Sie sitzt im Besprechungszimmer.«

»Dann muss ich das wohl zuerst erledigen.« Leitner seufzte tief. Ein außerirdischer Hustenanfall folgte.

Nero sah dem Kollegen nach. Sein Gesicht war ganz grau geworden.

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