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»Was für ein Forsthaus soll das sein?«, fragte Nero.
»Das finde ich raus. Ich frage die Mutter einer Freundin.« Leitner ärgerte sich nicht einmal, als er rot wurde. Immerhin war Elkes Mutter die ergiebigste Informationsquelle der Stadt. Warum sollte er ihr nicht den Bauch pinseln? Aus falsch verstandener Loyalität Elke gegenüber?
Fünf Minuten später wusste er, was er wissen musste.
»Das Haus liegt einsam an der Straße zwischen Niederaichbach und Landshut. In unmittelbarer Nähe des Kernkraftwerkes. Irma und ihre Tochter waren die letzten, die dort unterkrochen. Wenige Jahre später starb Thomas Hopfinger, dem das Haus damals gehörte, und das Gebäude verfiel. Der Wald ist dabei, es sich zurückzuholen.«
»Wer ist denn der Eigentümer?«
»Das Haus fiel an den Staat. Opfinger hatte keine Erben. Aber vielleicht hat sich ein Interessent gefunden. Ich erkundige mich.«
Nero sah aus dem Fenster, während Leitner mit dem Katasteramt telefonierte. Die Sonne brachte die alte Stadt zum Glänzen. Unten auf der Straße sah er Yoo Lim vorüberhasten. Mit forschem Schritt eilte sie über die Fahrbahn. Eine schöne Frau mit Ausstrahlung. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Dann dachte er daran, dass er Kea anrufen sollte. Er musste sich einfach überwinden. Yoo Lim war hübsch, aber für seinen Geschmack zu knabenhaft. Schon hielt Nero sein Handy in der Hand. Er sah auf das Display, blickte dann wieder auf die Straße. Dort stand Yoo Lim, an der Ecke zur Kirchgasse, vor den Schaufenstern eines Mobilfunkshops, und küsste eine junge Frau, die ein Kind an der Hand hielt und ein Eis lutschte. Nero stutzte. Sie küssten einander. Nicht auf die Wangen, wie es sogar in Bayern Mode wurde. Sie küssten sich auf den Mund.
»Hab’s«, verkündete Leitner. »Ziemlich obskur, wenn Sie mich fragen. Der Hallhuber hat das Haus vor einem halben Jahr gekauft. Ausgerechnet der Hallhuber.«
»Der Knilch, der uns beinahe abgenippelt wäre?«, fragte Nero.
»Ich bin genauso verdattert wie Sie.« Leitner zündete sich eine Zigarette an. »Sagen Sie mir, was der Hallhuber mit einem Forsthaus macht?«
»Er wohnt nicht mal dort.«
»Warum nistet er sich beim Berger Alfi ein, wenn er ganz in der Nähe ein Haus besitzt?« Leitner stieß eine Rauchwolke aus, die der ersten Lokomotive auf ihrer Jungfernfahrt zwischen Nürnberg und Fürth alle Ehre gemacht hätte. »Ist was da draußen?«
»Nein.« Nero steckte sein Handy in die Hosentasche und wandte sich vom Fenster ab. »Dafür kann es nur eine Antwort geben. Er hat es gar nicht zum Wohnen gekauft. Sondern für einen anderen Zweck.«
»Der Hallhuber? Der Verlierer? Kauft ein Haus? Woher hat er das Geld?« Leitner hieb mit der Faust auf den Tisch, dann sprang er auf und stürzte auf den Gang hinaus. »Katzenbacherin! Finden Sie raus, womit der Hallhuber seine Immobilie bezahlt hat, die er sich vor sechs Monaten angelacht hat.«
Nero hörte die murmelnde Stimme seiner Kollegin auf dem Flur. »Wie geht es ihm überhaupt?«, fragte er, als Leitner mit rotem Kopf zurückkam.
»Dem Hallhuber? Das ist mir scheißegal!«, bellte Leitner. »Diese Idioten haben ihn ins Klinikum eingeliefert und sind abgezogen! Natürlich ist er getürmt, sobald er dazu in der Lage war. Wie beknackt kann man eigentlich sein?«
»Fahren wir hin«, schlug Nero vor.
»Wohin?« Leitner schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein.
»Zu diesem ominösen Haus.«
Leitners Handy klingelte. »Verflucht, ja!«, knurrte er. »Hartstetter? Was willst du denn?« Er hörte zu, nickte, fluchte zwischendurch und legte dann auf.
»Was?«, fragte Nero.
»Wird ja immer schöner hier. Jetzt ist der Berger Alfi verschwunden. Die Ritter vermissen ihn. Eigentlich ist der Alfi ein verantwortungsbewusster Bursche, der sich Hoffnungen macht, irgendwann selber ein Turnier zu reiten.«
»Die Ritter?« Nero verstand nur noch Bahnhof.
»Hochzeit. Turnier. Sie taten ein gutes Rennen und brachen den Spieß. Nie gesehen? Müssen Sie sich anschauen. Ich besorge Ihnen Karten. Über Beziehungen. Jedenfalls: Der Hartstetter braucht seinen Pferdeführer. Den Alfi. Der ist seit gestern Abend nicht mehr am Turnierplatz aufgekreuzt.«