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»Den kenne ich«, sagte Kreuzkamp, »das ist der Berger. Alfred Berger. Alle nennen ihn Alfi. Junger Kerl, Automechaniker. Hat mir geholfen, als mein Vehikel im letzten Winter nicht ansprang.«
Ich berührte mit dem Handrücken Alfi Bergers Wange. Eiskalt. Jemand hatte ihn mit einem Stück Draht erdrosselt. Die beiden Enden standen wie zwei außerirdische Fühler rechts und links von seinem Kehlkopf ab.
Kreuzkamp tippte auf meine Schulter: »Wir müssen hier raus. Egal wie.«
»Ich dachte, es gibt vielleicht einen Kellereingang.«
»Denken Sie nicht so viel. Handeln wir lieber. Ich helfe Ihnen, wobei Sie wollen, aber bitte, kommen Sie mit. Ich halte es hier drinnen keine Sekunde mehr aus. Mein Handy hat keinen Empfang!« Kreuzkamp drückte verzweifelt ein paar Tasten. »Wir müssen die Polizei anrufen. Und wir müssen hier weg.«
Ich dachte an den Ärger, den ich kriegen würde. Nicht nur mit der Landshuter Polizei und der vielen Fragen wegen, was wir eigentlich in diesem Haus zu suchen hatten. Nein, ich dachte an Nero. Er würde mir die Hölle dermaßen heiß machen, dass ich darin verglühte. Ich seufzte.
»Still!«, herrschte mich Kreuzkamp an.
»Was ist denn?«
»Da kommt jemand.«
Nun saßen wir erst recht in der Falle. Neben einer Leiche in einem Keller stehend, ohne Rückzug nach draußen.
»Machen Sie das Kellerfenster auf!«, flüsterte ich. »Los! Sie haben doch ein Händchen!«
Kreuzkamp starrte auf den Toten. »Ich kann nicht … ich würde auf ihn treten.«
Ich spürte einen Luftzug.
»Jemand kommt in den Keller«, keuchte ich. »Sie haben 52 Stufen lang Zeit!«
Kreuzkamp drückte sich an der Leiche vorbei und reckte die Arme. Er reichte kaum an das Fenster. Ich drehte mich um und tappte in die Dunkelheit der Kellerabteile. Letzte Chance, letzte Hoffnung. Die verbleibenden Minuten meines Lebens brachte ich damit zu, einen Ausgang ins Freie zu finden.
Das Glück war auf meiner Seite. Ich fand eine Tür. In der Dunkelheit sah ich den Lichtstreif, der sich an der Unterkante in den Keller stahl. Drückte sanft dagegen. Hörte Schritte, irgendwo im Irrgarten des Kellers.
Ich rüttelte an der Klinke. Verschlossen. Wagte nicht, die Taschenlampe anzuschalten. Tastete über die Tür. Der Schlüssel steckte von innen. Ich sollte Kreuzkamp rufen, dass wir gerettet waren. Aber dann hörte ich einen erstickten Schrei. Cary Grant in einer seiner grandiosen Heldenrollen. Ich drehte den Schlüssel. Ging wie geschmiert. Drückte die Klinke, warf mich gegen die Tür und fiel beinahe ins Freie. Ich stand in einem versifften Kelleraufgang, voll mit dem Herbstlaub von Jahren, Vogelfedern, Müll. Ich rannte die Stufen hinauf. Wollte um das Haus herum, zu meinem Wagen. Hörte den Schuss. Eine Fensterscheibe barst. Das Kellerfenster des Abteils, wo der Tote lag! Ich sah mich um, während ich schon auf die Bäume am Hang hinter dem Haus zurannte. Nur laufen, laufen! Eine Kugel kam mir nach und traf meine Schultertasche. Die Tasche geriet ins Schleudern, wirbelte um meinen Körper. Ich griff danach, stand hinter dem ersten Stamm. Lief weiter, die Tasche an mich geklammert. Hörte meinen Atem, mein Keuchen. Fühlte nichts, keine Angst, kein Entsetzen. Auch keine Verantwortung für Kreuzkamp. Ich konnte nichts für ihn tun.