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Von Landshut haben wir uns bis München durchgeschlagen. Mit LKW, Fuhrwerken.
München ist zerstört. Eine Ruinenstadt. Vom Bahnhof nach Schwabing findet nur noch, wer ungefähr weiß, welche Richtung er einschlagen muss. Ich erkenne die Straßen kaum wieder.
München ist deine Heimatstadt, Lisa. Hier haben deine Eltern gelebt, aber nun ist deine Mutter in Landshut, weit weg von der Großstadt, den Bomben und der schwarzen Angst. Und dein Vater? Der ist im Irgendwo. Im Osten, wohin ihn der Führer geschickt hat. Von wo er wahrscheinlich nicht mehr wiederkommt, aber das willst du nicht hören, stimmt’s?
Wir weinen die ganze Zeit, während wir mit unserem Postkoffer an all den Trümmern vorübergehen. Ich frage mich, woher ich die Kraft habe, meine Beine zu bewegen, Fuß vor Fuß zu setzen in meinen rissigen, staubbedeckten Schnürstiefeln. Wir gehen an einem Toten vorbei. Ein alter Mann mit verbranntem Gesicht und verbrannten Gliedern. Ich packe dich im Genick und drehe deinen Kopf weg, aber du wehrst dich, schaust auf die Leiche, noch im Weitergehen starrst du zurück.
Dunkle Wolken ballen sich über den Ruinen. In der Luft ist Staub. Frauen schleppen Trümmer weg, um die Straße freizuräumen. Wir haben über 24 Stunden nicht geschlafen.
Es beginnt zu tröpfeln. Ich hebe mein Gesicht in den Himmel und schmecke Staub und einen anderen, scharfen Geruch. Wir schleppen uns weiter, wischen uns die Tränen vom Gesicht. Halten uns bei den Händen und gehen und gehen. Ich überlasse es dir, den Weg zu finden. Du kennst die Straßen besser als ich. Ich denke, vielleicht ist es gut, dass so viele Menschen sterben, denn wo sollen die nachher noch wohnen. Habe ich das laut ausgesprochen, Lisa? Du siehst mich missbilligend an. Es ist nicht meine Schuld, Lisa. Ganz bestimmt nicht meine Schuld, dass hier alles in Trümmern liegt. Dass nichts mehr normal ist. Dass keiner mehr leben kann, nur noch existieren, durchhalten, kämpfen. Könnte eher deine Schuld sein, oder? Du hältst den Braunen doch die Stange, du glaubst an den Endsieg, oder verkohlt dein Glaube gerade in den Trümmern von München, wo kein Stein mehr auf dem anderen steht?
Entschuldige, Lisa. War nicht so gemeint.
Wir biegen in einen Innenhof ein. Das Rückgebäude steht noch. Wir klettern über Steine und Schutt. Das ist Deutschland, Lisa.