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Ich habe Lisa Halbwachs umgebracht. Ich habe in einer Nacht im April 1945 – das Datum weiß ich nicht mehr – ihr Gesicht so lange in eine Pfütze gedrückt, bis sie sich nicht mehr gerührt hat. Die Irma hat nichts gemerkt. Sie hatte hohes Fieber und war völlig erschöpft von der langen Strecke. Die Mädchen waren ja vom Lager bis nach Landshut mit dem Rad gefahren.
Ich war der Nachbar von der Irma. Wir wohnten nebeneinander im Landshuter Barackenviertel. Da haben damals die einfachen Leute gewohnt. Wir hatten kein fließendes Wasser im Haus, nur eine Pumpe im Hof, und zum Abort musste man durch den Garten. Das Plumpsklo war eine eiskalte, zugige Bretterbude. Wir haben es mit Irmas Familie geteilt. So war das. Wir hatten nicht mal ein eigenes Klo, meine Mutter, meine Schwester und ich.
Eigentlich haben wir uns gut verstanden. Aber es gab auch mal Ärger und Streit. Und als unsere Väter im Feld geblieben waren, hatten unsere Mütter noch mehr Sorgen und Nöte. Für die Kinder blieb da wenig Zeit. Wir mussten uns selber die Wärme geben, die wir brauchten. Die Irma, die habe ich gern gehabt. Die war ein guter Kamerad. Kein Mädchen. Ein Wildfang, mit der konnte man Pferde stehlen! Aber ihre Freundin Lisa, die war schon eine richtige Frau. Wann immer ich die Lisa gesehen habe, hat sich mein Glied aufgerichtet und ich wollte sie haben. Ich hatte zu der Zeit noch nie mit einem Mädchen was gehabt, aber die Lisa hat mich einfach aufgeregt. Aber sie war die Freundin von der Irma und die beiden haben von früh bis spät zusammengesteckt. Da kam ich an die Lisa nicht ran und hab mich auch nicht richtig getraut.
Eines Tages, im Herbst 1944 war das, habe ich mich auf ein Mädchen gestürzt. Das war die Kleine vom Bauern Miller. Evi hieß die. Die Lisa war so oft bei der Irma zu Besuch und ist mir dann immerzu vor der Nase herumgetanzt, aber ich konnte ja nicht. Und dann war da die Evi. Die war erst 15, aber ich habe sie mir geschnappt. Die Irma und die Lisa, die haben immer über mich gelacht, das machen die Mädchen so, inzwischen weiß ich das, aber ich habe mich zurückgesetzt gefühlt, abgekanzelt, runtergemacht. Deswegen also die Evi. Ich habe die Evi hinter unserer Scheune abgepasst und sie gegen die Scheunenwand gedrückt und ihr den Rock gehoben. Die hat so gut gerochen, die Evi, da wurde ich ganz wild. Es war ein warmer Oktobertag, die Sonne brannte noch richtig um die Mittagszeit. Ich habe die Evi also gehalten, und sie hat gar nichts gesagt, sie hat sich auch nicht gewehrt. Die Evi, haben viele gesagt, die hätte schon mal mit einem Jungen geschlafen. Aber vielleicht war das auch nur ein Gerücht und das haben die anderen erzählt, damit ich nicht der erste sein konnte. Den Sieg wollten sie mir nicht gönnen.
Als ich versucht habe, der Evi den Schlüpfer runterzuziehen, hat sie plötzlich gewimmert. Ganz leise. Ich konnte es fast nicht hören. Ich habe ihr zärtliche Sachen ins Ohr geflüstert. Habe gedacht, dann hört sie auf zu jammern. Aber weil sie nicht aufgehört hat, habe ich sie fester rangenommen, ich habe sie geschüttelt und sie angeschrien, sie soll ruhig sein, und dann habe ich den Schlüpfer in einem Ruck runtergezogen und die Evi umgedreht, mit dem Gesicht gegen die Scheunenwand, und wollte in sie rein.
Und da kam die Lisa.
Die wollte zum Abort, über den Hof eben. Ich habe gar nicht gewusst, dass sie an diesem Tag bei der Irma zu Besuch war. Aber die kam ja oft, weil ihre Mutter in München durchdrehte, wegen der Bomben und so. Später hat sie dann bei der Irma gewohnt. Seit wann, das weiß ich nicht mehr genau.
Jedenfalls kam die Lisa um die Ecke und hat mich gesehen, wie ich der Evi die Pobacken auseinanderdrücke, und sie ist auf mich losgegangen wie eine Furie. Das war eigentlich alles. Ich habe die Evi losgelassen, die ist davongelaufen. Von da an ist sie mir ausgewichen, wenn sie mich irgendwo gesehen hat. Kann ich ja auch verstehen. Ein paar Jahre nach dem Krieg ist die Evi gestorben. Bei einem Unfall. Das hat mir leid getan.
Aber die Lisa hat mich richtig bedroht. Die hat gesagt, sie vernichtet mich, ich sollte nur aufpassen. Sie hätte alles gesehen. Eigentlich habe ich keine Angst gehabt. Nicht vor der Lisa. Sie war so zart, so schön, der hätte ich nicht zugetraut, dass sie irgendwo hingeht und mich verpfeift. Das war eine Hundertfünfzigprozentige, die Lisa. Die war hingerissen vom Führer. Der hat ja die Weibsbilder reihenweise betört. Darum habe ich ihn damals beneidet. Obwohl er ja nicht gerade fesch war. Eigentlich war er ein ziemlich hässlicher Kerl.
Kurz darauf mussten die Irma und die Lisa weg aus Landshut. Zum Reichsarbeitsdienst. Da war ich ziemlich erleichtert. Ich habe den ganzen Winter nichts gehört von den beiden.
Im April 1945 bekamen wir alle kalte Füße. Da kam eines Tages der Neugruber Martin zu mir und meinte, Mensch, du kommst mit uns raus, wir suchen Defätisten und Volksschädlinge. Er hat mir ein Gewehr gegeben, und ich bin mit ihm und einigen anderen durch die Nächte gezogen. Ich hatte richtig Angst, dass wir Deserteure aufspüren und der Neugruber mich zwingt, einen zu erschießen. Der hätte das gemacht, der war ein Sadist. Später hat er dann als Kammerjäger gearbeitet. Der Beruf hat zu ihm gepasst.
Eines Nachts bin ich vom Neugruber-Trupp getrennt worden. Das kam so: Wir haben ab und zu ein Kaninchen geschossen. Der Neugruber hat ein Auge zugedrückt, wenn er auch was abgekriegt hat. Das heißt, was er geschossen hat, war für ihn, aber wenn wir anderen was erwischt haben, bekam er einen Anteil. Meine Mutter war in den letzten Kriegswochen sehr schwach. Sie hatte später eine Lungenentzündung, und ein Arzt von den Amis, der hat sie behandelt. Die Amis haben auch Deutsche behandelt. Irgendwie waren das anständige Kerle. Die meisten jedenfalls. Aber bevor der Krieg zu Ende war, hatten wir kaum noch was zu essen. Verkeimte Kartoffeln, schrumpelige Rüben. Deswegen habe ich in der Nacht, als ich später die Irma und die Lisa getroffen habe, den Neugruber gebeten, dass er mich weglässt, auf die andere Seite vom Wald, weil ich wusste, wo es Kaninchen gibt. Ich glaube, der Neugruber mochte meine Mutter ganz gern. Er war kein Unmensch. Also war er einverstanden. Aber ich hab keine Kaninchen erwischt, dann war die Munition alle, und ich bin über die Landstraße und wollte zum Neugruber und seinen Leuten stoßen. Und da habe ich die Irma getroffen. Und die Lisa.
Die hatten Todesangst, als sie mich sahen. Lagen zitternd im Graben. Der Irma ging es furchtbar schlecht. Die glühte vor Fieber. Aber die Lisa, die hat mich angesehen. Ich habe gedacht, die beiden sind vom RAD stiften gegangen. Wenn der Neugruber sie findet, sind sie fällig. Aber das wollte ich nicht. Das wollte ich wirklich nicht. Die Irma hat dann gesagt, die Maidenführerin hätte sie heimgeschickt, und ich habe ihr das geglaubt. Wobei der Neugruber ein Fanatiker war. Ich dachte jedenfalls, besser, der begegnet den Mädchen nicht. Dann kam vom Wald her ein Schuss. Oder zwei, ich erinnere mich nicht genau. Die Lisa bekam schreckliche Angst. Sie wurde ganz hysterisch. Ich habe gedacht, wenn sie anfängt zu schreien, dann findet uns der Neugruber, dann hänge ich mit drin, der drückt schneller ab, als er denken kann. Die Irma hat gemerkt, in welche Gefahr die Lisa uns bringt. Sie hat der Lisa den Kopf gehalten. Aber die Irma war schwach. Sie hatte Fieber, war ausgehungert, vollkommen am Ende. Da habe ich die Lisa festgehalten. Habe mich auf sie gewälzt und ihren Kopf in die Pfütze gedrückt. Ich habe aber nicht gemerkt, dass da eine Pfütze war. Es war ja dunkel! Ich war nur froh, als sie still war. Ich wollte sie nicht töten! Ich wollte nur nicht, dass der Neugruber uns aufstöbert. Erst, als ihr Körper schlaff wurde, als sie sich nicht mehr aufgebäumt hat, da habe ich gedacht, dass was nicht stimmt. Die Irma hat sich auch nicht mehr gerührt. Sie war bewusstlos. Da habe ich gemacht, dass ich wegkam. Hab mein Gewehr geschultert und bin ab. Bin zum Neugruber gestoßen und hab mich anschreien lassen, dass ich die wertvolle Munition vergeudet habe und nicht mal ein Langohr dabeihabe. Ich war ganz zerknirscht, und da hat er mich in Ruhe gelassen. Er hat gedacht, ich wäre windelweich, weil ich kein Kaninchen erlegt habe, und das war gut, und in dem Glauben habe ich ihn ein Leben lang gelassen.
Und dass die Irma gedacht hat, sie hätte die Lisa umgebracht, dafür konnte ich nichts. Was hätte ich denn tun sollen? Die Wahrheit hätte die Lisa nicht wieder lebendig gemacht.
Irgendwann kam dieser Mensch daher, dieser Kreuzkamp. Der hat in allem herumgerührt. Die ganze Vergangenheit hat er aufgekocht. Wo wir, die Gerda und ich, doch so froh waren, dass sie endlich unter dem Teppich war. Da wollten wir sie auch nicht wieder hervorholen. Dann hat der Kreuzkamp auch noch eine Frau angeschleppt. Als Erbenermittlerin hat sie sich ausgegeben, aber das war keine gute Idee. Die habe ich gleich durchschaut, die war von derselben Zunft wie der Kreuzkamp. Schmierfinken, alle miteinander. Aber der Wahrheit kam sie trotzdem gefährlich nah. Der wollte ich einen Schock versetzen. Einen Schuss vor den Bug. Sollte nicht böse enden. Ich habe den Kuznick gefragt. Der Kuznick macht alles. Ich kenne ihn ja als Hochzeiter. Hat sich bis zum Knappen vorgearbeitet. Einer, der wenig Skrupel hat, wenn es darauf ankommt. Und er hat es dieser Tante ja auch gezeigt.
Unterzeichnet Gustav Kirchler.