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»Ich mache als Pferdeführer mit«, sagte Alfi Berger, ein hagerer Mann mit viel zu dünnen, langen Haaren, die frisch geföhnt seine Schultern umwehten. Seine geröteten Augen blinzelten Leitner nervös an. »Wenn du Ritter werden willst, musst du langsam reinwachsen.«
Als ob Leitner das nicht wüsste. Sie saßen vor einer Tasse Kaffee vor dem Haus Kronprinz in der Altstadt und betrachteten das bunte Treiben.
»Ist das nicht die typische Karriere? Erst Pferdeführer, dann Knappe, dann Ritter?«
»Schon.«
»Wie alt bist du?«
»19.«
»Hast ja noch Zeit.« Leitner zündete sich eine Zigarette an und dachte an Elke. Kein guter Augenblick, um sich abzulenken. Aber der Gedanke war einfach zu verlockend. Zu wohltuend. Zu … Leitner sortierte seine Gedanken. »Du und der Hallhuber, ihr habt da eine Wette laufen, ja?«
»Woher wissen Sie das?« Alfi zwinkerte nervös.
»War das etwa geheim?«
»Nicht unbedingt. Aber an die große Glocke haben wir es nicht gehängt.«
»Nicht?«
»Verdammt, ich hätte mir ja denken können, dass irgendeiner was mithört. Wir, also der Hallhuber und ich, wir haben gewettet, und der Hartstetter hat durchgeschlagen. Nur wir drei.«
»Dann muss wohl einer geplaudert haben«, lächelte Leitner und drückte die Kippe aus.
Alfi zuckte die Achseln. »Kann nur der Hartstetter gewesen sein, der Großkotz.«
»Warum?«
Alfi wurde puterrot.
Daran sieht man, dass er noch beinahe in der Pubertät ist, dachte Leitner und fragte: »Ich nehme an, der Hallhuber ist gerade nicht im Lande?«
»Der ist seit Donnerstag nicht mehr aufgetaucht. Ich habe ihn x-mal angerufen, aber der stellt sich tot.«
»Was?« Leitner hatte schon sein Mobiltelefon in der Hand.
»Ich kann nichts dafür!«
»Sagt ja auch keiner. Nun rück raus: Wo ist er?«
»Meinen Sie, er hat die Julika … umgebracht?«
»Ich habe meine Kristallkugel gerade nicht hier«, sagte Leitner und klopfte sich demonstrativ auf die leeren Jackentaschen. »Seine Handynummer? Adresse? Los, Bub, drück aufs Gas.«
»Der hat bei mir gewohnt. Für die gut drei Wochen Landshuter Hochzeit.«
»Und sonst? Ich krieg’s raus, Alfi, aber du sparst dem Steuerzahler Geld, wenn du es mir gleich sagst.«
»Er wohnt in München. Fürstenried.« Alfi sagte brav die Adresse auf.
»Auch Pferdeführer?«
»Sie haben ihn nicht genommen.«
»Warum?«
»Er hat keine glückliche Figur gemacht bei der Bewerbung. Hat den Stress nicht ausgehalten. Kann man ja keinem verübeln. Ist anstrengend.«
Das ist deine Generation verflucht noch eins nicht gewöhnt, wetterte Leitner im Stillen.
»Aber der Hallhuber, der würde niemanden umbringen«, winselte Alfi.
»Nein, Mörder sind immer die anderen, die keiner kennt«, spottete der Kommissar. »Hast du mal drüber nachgedacht, dass jeder Mörder irgendjemands Freund, Bruder, Vater, Sohn ist?«
»Der Hallgruber ist sanft wie ein Lamm.«
»Das sind die Schlimmsten.«
»Nein, im Ernst!« Alfi strich sich das Haar zurück. »Im Ernst, Herr Leitner.«
»Bist du eigentlich mal auf die Idee gekommen, irgendjemanden zu verständigen, dass der Hallhuber verlustig gegangen ist?«
Alfi sagte nichts.
»Was hat dich davon abgehalten? Hast du ihn im Verdacht? Hat er mal was gesagt? Irgendwas gemacht, sich sonderbar verhalten? Nun mach’s Maul auf!« Die letzten Worte brüllte Leitner. Die anderen Gäste sahen pikiert zu ihm herüber.
»Der Hallhuber und ich – wir waren zusammen auf der Schule. Bis zur mittleren Reife. Der Hallhuber hat danach keinen Job gekriegt. Ich habe die Ausbildung im Autohaus gemacht. Er war sauer, weil er beruflich nicht vorankam. Hat mir vorgeworfen, ich hätte nichts als Glück, während er die Scheiße abkriegt. Dann haben sie ihm seine Bezüge gekürzt, weil er sich nicht beworben hat. Der Hallhuber fängt alles an und hält nichts durch.«
»Und Julika? Hat er sie getroffen, angesprochen? Hat er dir was gesagt?« Leitner zündete die nächste Zigarette an. »Wer von euch hat die zwei Kästen gewonnen?«
»Keiner. Die Julika war ein harter Brocken. Abweisend und arrogant. Der Hallhuber hat nur so ein geheimnisvolles Gesicht gemacht, in der Nacht, als sie ermordet wurde. Wir haben bei mir zu Hause ein paar Bier getrunken. Dann hat er gesagt: Ich bin bald soweit. Dann überhole ich dich.«
»Was sollte das heißen?«
»Ich habe ihn gefragt, aber der Hallhuber hat nur gegrinst. Hat sich gefreut wie ein Schneekönig. Als ob er was in der Hinterhand hätte. Oder im Lotto gewonnen. Oder bei ›Wer wird Millionär‹. Was weiß ich.«
»Wann genau kam der Hallhuber zu dir in die Wohnung?«
»So gegen 23 Uhr.«
»Ziemlich früh für einen wie den Hallhuber!«
Alfi zuckte die Schultern.
»Wo warst du letzten Donnerstag zwischen 1 und 3 Uhr?«
»Daheim. Im Bett. Wir haben kurz nach Mitternacht ausgetrunken und sind schlafen gegangen.«
»Zeugen?«
»Der Hallhuber …«
»Also gebt ihr euch gegenseitig ein Alibi?«
»Scheiße, Mann!« Alfi Berger wurde unruhig. Sein Blick begann zu flackern. Mit geröteten Augen starrte er Leitner an. »Ich habe die Julika nicht umgebracht.«
»Kann der Hallhuber bezeugen, dass du friedlich in der Heia gelegen hast?«
»Wir haben getrennte Zimmer, Mann!«
»Kann er?«
»Rausschleichen kann man sich ja wohl.«
»Gut. Dann also kein Alibi. Und für den Hallhuber gilt das Gleiche. Weil der sich auch hätte rausschleichen können. Wenn er noch was vorgehabt hätte. Zum Beispiel die Julika mit dem Gesicht in eine Pfütze zu drücken und ihr dann mit einem Tritt das Genick zu brechen.«
Alfi Berger wandte angewidert den Blick ab, als müsse er sich bei dem Gedanken übergeben.
»Fahndung!«, bellte Leitner in sein Handy. Gut, dass die Katzenbacherin seinen Anruf entgegennahm. Die war von der schnellen Sorte. Kein Zögern, kein Zaudern. Die Katzenbacherin schlug knallhart zu.