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Wenn Irma mit der Frau spricht, die ihren Pferdeschwanz so energisch in den Nacken wirft und deren Namen sie längst vergessen hat, dann fühlt sie sich freier. Nicht mehr lange, und Irma wird das Schlimme, das Unsagbare ausgesprochen haben. Damit Julika es erfährt, auch wenn sie mit Irma nichts mehr zu tun haben will. Wenn sie doch Zeit gehabt hätte, Julika alles zu erklären. Schon wieder schuldig geworden, denkt Irma. Ich habe zu lange gewartet. Gezögert, nie geredet, wie sollte ich auch reden, das tut so weh.
Sie geht ins Bad und zieht langsam ihr Kleid aus. Lässt sich ein Bad ein. Sie möchte nicht sterben. Noch nicht. Nicht, ehe sie alles erzählt hat. Dann kann sie sterben. Heimkehren, was auch immer das ist. Sie stellt sich vor, jemand beamt sie in eine andere Zeit. Das Gefühl mag sie, sie hat es gerade zur Landshuter Hochzeit wieder und wieder hervorgerufen und genossen. Vor allem, als sie noch selbst Hochzeiterin war. Ja, denkt Irma, und setzt sich auf den Wannenrand. Hält die Füße in das warme Wasser. Ich glaube, Sterben ist so. In eine andere Zeit gehen. Dann bin ich wieder so alt wie Lisa. Wie dumm wäre es, wenn sie 19 ist und ich bin so eine alte Schateke! Irma kichert. Sie rutscht ganz in die Wanne. Betastet ihren Körper und stellt fest, dass sie Schlüpfer und Unterhemd angelassen hat. Das ist gut. Das erzählt sie Julika. Julika schimpft nie mit ihr, wenn Irma ungewöhnliche Sachen macht. Wenn in der Wohnung am Tag alle Lichter brennen. Wenn Irmas Hände kackbraun sind, weil sie den Selbstbräuner mit der Handcreme verwechselt hat. Dann legt Julika den Arm um sie, Irma drückt den Kopf an Julikas Schulter, und sie lachen beide und haben einander lieb. Julika, meine Julika, mein einziges Glück.