34
Wir sind entkommen. Durch den Schlund des zusammenstürzenden Hauses sind wir entkommen. Du, Lisa, ich, der einäugige Soldat und der, der mir den Druckverband gemacht hat, der sich allmählich rot färbt. Wir taumeln durch die Stadt, wieder ganz auf uns gestellt, und du suchst einen Arzt, der meine Wunde am Arm nähen kann, aus der ununterbrochen das Blut pulst. Es ist Nacht, Lisa, wo willst du einen Arzt finden? Einen, der hier ist, der noch lebt? Wo ist ein Krankenhaus? Wo ist jemand, der mir helfen will? Die Dienstpost hat mich umgebracht, Lisa. Doch ich hatte nie vor zu sterben. Du kommst aus der Großstadt. Aber ich bin aus einer kleinen Stadt, und dort hat man umso größere Träume.
Ich will leben. Will die Träume erleben, Lisa, meine liebe Lisa, will doch die Träume wahr machen. So wie du. Auch wenn unsere Träume verschieden sind. Ich träume von einem Amerikaner und du vom Führer, aber dennoch, dennoch …
Also, sagst du, dann reiß dich zusammen und lauf!
Ja, Lisa, in Ordnung, ich laufe ja, ich laufe, obwohl meine Ohren pfeifen, obwohl ich so schwach bin, so schwach wie nie. Obwohl der Hunger mich ganz schwindelig macht. Unsere mitgebrachten Brote vom Lager sind längst aufgegessen. Und der Staub, den ich mit jedem Atemzug schlucke, der Rauch und der Gestank, die trocknen mich aus.
Du nimmst mich am gesunden Arm und führst mich. Du kennst dich ja aus. Findest vielleicht das Krankenhaus, falls es noch steht. Findest vielleicht jemanden, der diese Wunde nähen kann, bevor gar kein Blut mehr in mir ist.
Da steht eine Frau vor mir. Eine Frau, die mit dir spricht, Lisa, und du beugst dich zu mir und brüllst mich an, damit ich dich höre, das ist die Frau vom Doktor, sagst du, sie näht die Wunde. Und warum nicht der Doktor selbst, frage ich, verzweifelt bemüht, meinen Kopf gerade zu halten. Warum nicht der Doktor? Der ist nicht hier, sagt die Frau. Sei tapfer, Kleines, das schaffen wir.
In meinem Arm brennt Feuer. Rote Glut. Ich schreie wie am Spieß und du hältst mich fest, Lisa. Du hast richtig Kraft, viel mehr, als ich je gedacht hätte. Die Frau des Doktors holt einen Splitter nach dem anderen aus meinem Fleisch. Ich sehe die Pinzette im Licht eines Lötkolbens. Es gibt kein anderes Licht. Nur diese Flamme.
Nimmt sie mir den Arm ab?, frage ich dich, aber du schüttelst nur den Kopf, starrst auf die Wunde und sagst, ich soll nicht albern sein. Warum übergibst du dich nicht, Lisa? Sagtest du nicht, du könntest kein Blut sehen? Und diese Frau da, die produziert Blut, das sprudelt und sprudelt aus meinem Körper, und ich zittere, mir ist kalt, aber ich will nicht albern sein, ich will mich nicht beschweren. Ich träume. Träume vom Amerikaner, der mich nach Chicago bringt. Niemand wird davon erfahren, von diesem Traum nicht und auch nicht von den anderen Träumen, die einer Maid aus der Kleinstadt im Kopf herumspuken.
Haben Sie keine Decke?, sehe ich dich fragen, und ich sehe dein Haar, das du schüttelst, und der Staub rieselt heraus, auf mich, auf mein Gesicht. Die Frau bringt eine Decke und sagt, die Wunde ist genäht, du bleibst noch ein bisschen liegen, dann musst du gehen.
Klar, flüstere ich, aber ich höre meine eigene Stimme nicht, sodass ich nicht weiß, ob ich es wirklich gesagt habe oder nur geträumt. Das ist der Nachteil. Alles passiert irgendwann nur noch in den Träumen.
Lisa, wo bist du? Bleib bei mir, ich will nicht allein sein, nicht jetzt, habe ich dich nicht immer im Arm gehalten, wenn du geweint hast?
Lisa?