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»Wir möchten Ihnen unser Mitgefühl ausdrücken«, sagte Leitner und wies auf Nero neben sich. »Mein Kollege Nero Keller vom Landeskriminalamt.«
»Warum?«, fragte die Frau mit der leuchtend roten Mähne. Ihre Hand spielte mit der Perlenkette um ihren Hals. »Warum Landeskriminalamt?«
»Nun, der Fall um den Mord an Ihrer Tochter«, Leitner räusperte sich, »zieht einige Kreise. Es könnte einen Zusammenhang zur organisierten Kriminalität geben.«
»Bitte was?«
Scheiße, dachte Leitner. Ich bin einfach nicht geeignet für solche Situationen. Muss endlich lernen, mich zurückzuhalten und so wenig wie möglich preiszugeben.
»Wir gehen nicht davon aus, dass Julika in der organisierten Kriminalität tätig war«, half Nero aus. »Sondern vermuten, dass sie aufgrund der Beziehung zu einem Mann in eine unschöne Geschichte hineingeraten ist.«
»Julika liebt Mädchen«, sagte Elizabeth Cohen mit Nachdruck. »Sie war 16, als sie es mir gesagt hat. Sie liebt Mädchen.«
Leitners Blick traf Neros.
»Sie war lesbisch?«
»Was für ein bescheuertes Wort«, regte Elizabeth Cohen sich auf.
Leitner fragte sich, ob sie den amerikanischen Akzent nur imitierte. »Sie müssen verstehen, dass diese Information für unsere Ermittlungen wichtig sein kann. Tötungsdelikte sind in den meisten Fällen Beziehungstaten«, erklärte er.
»Julika hat hier, in Landshut, wahrscheinlich niemandem etwas gesagt«, erwiderte Elizabeth und warf das Haar in den Nacken. Sie trug Schwarz. Schwarze Jeans und einen schwarzen Seidenpullover. Das Rot ihres Haares leuchtete ungesund. »Ich habe sie davor gewarnt, sich zu outen. Ihre Großmutter hätte das nicht gemocht. Meine Mutter war eine sehr, wie soll ich sagen, in ihren Einstellungen festgefahrene Frau. Für Homosexualität hätte sie kein Verständnis gehabt.«
Leitner kannte Irma anders, aber er erwiderte: »Sie sprechen über Ihre Mutter in der Vergangenheit?«
»Sie ist nicht mehr die, die ich kannte. Ich war vorhin bei ihr. Sie hat mich angesehen, als sei ich eine Fremde.«
Wahrscheinlich können sich zwei Menschen nicht fremder sein als du und Irma, dachte Leitner.
»Wollte Ihre Tochter Penelope Sie nicht nach Deutschland begleiten?«, erkundigte sich Nero.
»Pen ist in Südamerika unterwegs. Sie will Journalistin werden und hat dort eine Möglichkeit gefunden, Praxiserfahrungen zu sammeln.«
»Wie verstanden sich denn Ihre beiden Töchter?«
»Überhaupt nicht. Sie haben ihre ganze Kindheit hindurch gezankt. Die eine hat der anderen die Haare ausgerissen, die Puppen massakriert, die Stofftiere gelyncht. Was bin ich froh, dass das vorbei ist.«
Dumme Pute, dachte Leitner. Die kann nie und nimmer Irmas Tochter sein. Unterschiedlicher geht’s nicht. Von wegen, Genetik! Alles ist Genetik, so ein Quatsch! Irma und diese Cohen – die haben nichts gemeinsam. Er beschloss, mit Elke über Gene zu reden.
»Standen die beiden in Kontakt?«
»Nein. Bestimmt nicht.«
»Das heißt, Sie wissen es nicht?«
»Ich bin mir sicher, dass jede von ihnen auf dem Globus nach einem Ort sucht, der möglichst weit von der anderen entfernt liegt.«
»Sie sagten, Ihre Tochter sei in Südamerika«, schaltete sich Nero wieder ein. »Hat sie vielleicht Guatemala bereist?«
»Dort flog sie hin, um einen Journalisten zu treffen, der ihr zu weiteren Kontakten verhelfen wollte. Mittlerweile ist sie in Argentinien.«
»Kann man sie telefonisch erreichen?« Nero sah Elizabeth Cohen fest in die Augen.
»Kann man.« Sie kramte in ihrer Handtasche und förderte ein Adressbuch zutage. »Hier.« Ein rot lackierter Finger deutete auf eine Nummer. »Das Handy hat sie Tag und Nacht an.«
Nero schrieb die Nummer ab und verließ den Besprechungsraum. Yoo Lim hockte hinter ihrem Schreibtisch.
»Gib mir mal die Nummer von diesem Prepaid-Anschluss, der auf Julikas Handy-Liste steht«, sagte er. Er und Yoo Lim waren am Tag zuvor zum Du übergegangen.
»Nichts tue ich lieber, als dich mit Infos zu versorgen«, spöttelte sie und reichte ihm ein Papier.
Vorsicht, mahnte sich Nero. Vorsicht. Der erste Damm ist gebrochen. Ich will Kea. Aber vielleicht will Kea mich nicht.
»Dieselbe Nummer!«, rief er. »Julika hat ihre Schwester Penelope angerufen. Zuletzt am Tag vor ihrem Tod. Muss sie ein Vermögen gekostet haben.«
»Wenn Schwestern sich lieben«, juxte Yoo Lim.
»Eben nicht.«
»Was, eben nicht?«
»Die Cohen sagt, die beiden hätten sich gehasst.«
»Oh.«
Nero betrachtete das schmale Gesicht seiner Kollegin. Die vor Tatendrang blitzenden schwarzen Augen.
»Entweder«, lachte Yoo Lim, »hat die Cohen so gar keine Ahnung von ihren Töchtern, oder sie will nur das Bild aufrecht erhalten, dass die Schwestern nicht miteinander können.«
Nero griff nach dem Telefon und wählte die guatemaltekische Nummer.