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»Ja, was tut ihr denn noch hier? Das Büro ist nicht mehr besetzt!«

Ein verhutzeltes Männlein nimmt die Dienstpost in Empfang. Den Koffer, den wir in den vergangenen zwei Tagen an uns gepresst haben wie ein neugeborenes Kätzchen, nimmt er, als wäre er ein toter Maulwurf oder sonst etwas Ekliges, und wirft ihn auf einen staubigen Schreibtisch.

»Na, macht, dass ihr hier fortkommt! Die Maidenhauptführerin ist schon weg. Mit ihrem Chauffeur.« Er schließt die Augen, öffnet sie, macht den Mund auf. Ich sehe seine zitternden, bläulichen Lippen und sage schnell: »Auf Wiedersehen.«

Der wollte sagen, es dauert nicht mehr lange, dann sind die Amis hier. Der wollte irgendetwas sagen, das dir nicht gefallen hätte, Lisa. Und dann hättest du ihn vielleicht verpfiffen. Aber ich will nicht, dass dieser Alte in letzter Minute noch aufgeknüpft wird. Ich nehme dich beim Ellenbogen und wir gehen hinaus, du drehst dich um, in dem Moment kommt die Abendsonne raus, blitzt durch das verdreckte Fenster und bringt dein schönes rotblondes Haar zum Leuchten. Du trägst es offen, wenn du nicht im Lager bist. Deine kleine, mutige Rebellion, oder? Der Alte sieht uns nach, mit einem Blick, in dem etwas liegt, was ich nicht begreife. Vielleicht hat er gewusst, dass eine von uns nicht mehr lange leben wird. Kann sein. Es gibt Menschen, die fühlen so was. Ich habe keine Ahnung, warum: Der Tod kündigt sich an. Er ist behutsam, ein schüchterner, zurückhaltender Geselle. Und er hat so viel zu tun im April 1945, vergiss das nicht. Kann aber auch sein, dass er ein Mistkerl ist, dem es Spaß macht, die Leute zu holen. Du, Lisa, wir wollen nicht darüber nachdenken. Wir treten auf den Hof hinaus, da steht ein Mann mit nur einem Bein, der sich auf zwei Krücken stützt, eine Zigarette im Mundwinkel, und uns nachsieht. Das heißt, er sieht dir nach, Lisa. Er sieht auf deine langen Beine, deinen runden Po. Wie schaffst du es, trotz des Hungers noch so einen runden Po zu haben? Er sieht auf dein Haar, das in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne glänzt, das du nun mit einer Handbewegung tanzen lässt, ganz lässig. Gib zu, du hast ihm zugelächelt. Sogar dem Krüppel zugelächelt, weil kein anderer da ist, der dich bewundert. Wie gerne würden wir flirten. Aber noch lieber würden wir essen, und es gibt nichts zu essen, der Hunger zerfleischt beinahe meinen Magen. Du hakst dich bei mir unter, als kämen wir vom Tanz, und ich spüre, wie dein Schritt stolz und sehr weiblich wird. Ja, Lisa, mich kannst du nicht täuschen.

Wir kämpfen uns zurück in die Ludwigstraße, es wird dämmrig.

Die Sirene heult los.

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