1 - BURG VON TIBERIAS GRAFSCHAFT TRIPOLIS, GALILÄA ENDE APRIL 1187

Graf Raymond III. von Tripolis stand auf der Mauer der Burg seiner Frau in Tiberias und betrachtete die glitzernde Staubwolke, die ein sich rasch nähernder Reitertrupp aufwirbelte. Er vermutete, dass es sich um Abgesandte aus Jerusalem handelte, die gekommen waren, um von ihm zu verlangen, dass er Guy den ihm als König rechtmäßig zustehenden Tribut entrichtete. Zweifellos wurde dieser Trupp von Gérard de Ridefort angeführt. Es war wirklich eine Ironie des Schicksals: Guys Anhänger pflegten lauthals zu lamentieren, Tripolis’ Starrköpfigkeit habe den Bruch in dem Königreich herbeigeführt, während der wahre Grund ein Streit um eine Frau war, den ihr angeblich im Zölibat lebender Anführer nicht vergessen konnte. Allerdings war Tripolis ehrlich genug, um zuzugeben, dass auch er einen Teil der Schuld trug. Hätte er noch einmal die Wahl, würde er Lucia ohne zu zögern mit de Ridefort verheiraten, denn eine Frau, Kinder und die Last, ein großes Landgut zu verwalten, hätten de Rideforts politischen Ambitionen enge Grenzen gesetzt. Aber was geschehen war, war geschehen, und jetzt galt es, sich auf die momentane Situation zu konzentrieren.

Der Reitertrupp war inzwischen so nah an die Burg herangekommen, dass Tripolis die Standarten erkennen konnte, und während er sie mit zusammengekniffenen Augen betrachtete, schlug sein Widerwillen in Verwunderung um. Dies war keine Delegation vom Königshof - die Banner prangten in dem leuchtenden Gelb der Ayyubiden. Er wusste, dass Saladin noch immer damit beschäftigt war, Oultrejourdain zu verwüsten, demnach musste es sich bei den Besuchern um einen der Söhne des Sultans nebst Gefolge handeln. Tripolis brachte zwar dem Sultan selbst größten Respekt entgegen, hielt aber von dessen Erben nicht sonderlich viel. Der Älteste war ein verzogener, arroganter Flegel, der zweite Sohn ein Blender und der dritte ein Meister im Umgang mit dem Schwert, was nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass er hohlköpfig und humorlos war. Der Besuch eines jeden von ihnen verhieß nichts Gutes.

Seufzend wandte Tripolis sich ab, ging in die Burg zurück, stieg in die große Halle hinunter, wo er eine Dienstmagd anwies, für Erfrischungen zu sorgen, und ließ sich dann am Banketttisch nieder. Dieser Tisch war aus libanesischem Zedernholz gefertigt, und schon hundert Jahre, bevor die Franken als Fackelträger des Wahren Glaubens nach Jerusalem aufgebrochen waren, hatten die Ellbogen sarazenischer Könige darauf geruht. Er grübelte gerade über den Zusammenhang zwischen Glauben und der Gier nach Reichtum und Macht nach, als ein Page - irgendein entfernter Verwandter seiner Frau, dessen Namen er sich nie merken konnte - erschien und ihm stammelnd ausrichtete: »D …der Sohn des S …sultans wünscht Euch zu sprechen, Messire.«

Tripolis blickte über die Schulter des Pagen hinweg zu seinem Besucher hinüber. Hier musste ein Irrtum vorliegen, daran bestand für ihn keinen Zweifel. Der Junge, der da vor ihm stand, war keiner der drei Prinzen, deren Bekanntschaft er bereits gemacht hatte, und wies auch keinerlei Ähnlichkeit mit ihnen auf. Während die anderen drei  den kräftigen, untersetzten Körperbau der Sultana Nu’am geerbt hatten, war dieser Junge hochgewachsen, schlank und von katzenhafter Anmut. Wache, intelligente Augen funkelten in einem Gesicht von exquisiter Schönheit. Er konnte nicht älter als sechzehn sein, schritt aber mit der lässigen Sicherheit eines Mannes durch die Halle, der sich seines Ranges und seiner Bedeutung bewusst ist. Am Ende von Tripolis’ Tisch blieb er stehen, neigte seinen mit einem Seidenturban bedeckten Kopf und entbot ihm seinen Gruß.

»Wa’aleikum as-salaam«, erwiderte Tripolis automatisch und registrierte erst jetzt, dass er sich erhoben und verbeugt hatte. »Wen habe ich die Ehre, bei mir begrüßen zu dürfen?«, fuhr er auf Arabisch fort.

»Maslamah Abd al-Rahman Salim ibn Yusuf al-Ayyubi«, antwortete der junge Mann mit einem weiteren Neigen des Kopfes. Aber er senkte das Kinn nicht eine Spur tiefer, als es die Höflichkeit gebot.

In der Tat ein Sohn des Sultans, dachte Tripolis, und der Einzige, den ich bislang gesehen habe, der seines Vaters würdig ist. Aber es empfahl sich, den Jungen nicht merken zu lassen, wie beeindruckt er von ihm war. Also nahm er wieder Platz, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fragte: »Was führt dich zu mir, Salim ibn Yusuf?«

Ein leises Lächeln spielte um die Lippen des Jungen, und jetzt war die Familienähnlichkeit nicht mehr zu übersehen. »Ich komme an Stelle meines Bruders Al-Afdhal und überbringe Euch eine Botschaft meines Vaters.« Er reichte dem Grafen einen Brief mit dem Siegel des Sultans. »Er bittet demütigst, dass Ihr einigen seiner Truppen gestattet, Euer Herrschaftsgebiet zu durchqueren, damit sie die Ufer des Sees Genezareth und das dahinter gelegene Gebiet rund um Akkon erkunden können.«

An deinem Vater ist kein einziger demütiger Zug zu finden, und an dir auch nicht, dachte Tripolis. Laut sagte er: »Wie ich hörte, hält sich Euer Vater noch immer in Oultrejourdain auf.«

»Bei allem Respekt, Messire … dirigiert nicht auch Euer eigener König seine Armee hierhin und dorthin, ohne sie persönlich anzuführen?«

Touché, dachte Tripolis. »Wie viele Männer umfasst dieser Trupp?«

»Siebentausend«, erwiderte Salim, als sei es das Normalste auf der Welt, dass Saladin ein Viertel seiner Armee auf eine Erkundungsmission schickte.

Tripolis ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. »Ich nehme an, dieser ›Auf klärungstrupp‹ wird bewaffnet sein«, sagte er nach einem Moment.

»Jeder Mann trägt in diesen unsicheren Zeiten Waffen«, erwiderte der Prinz glatt. »Aber mein Vater hält viel von Euch, Sayyid, und wie Ihr wisst, ist er ein Ehrenmann. Er wird sich an Euer Abkommen halten.«

Tripolis überlegte kurz. Der hastig geschlossene Waffenstillstand zwischen ihm und Saladin enthielt keine Klauseln bezüglich reiner Selbstverteidigung, und dieses Anliegen war bestenfalls ungewöhnlich, schlimmstenfalls ein abgekartetes Spiel. Mit einem Mal stieg Wut in ihm auf: auf den Sultan, der ihn so unter Druck setzte; auf den Jungen, der eine derart anmaßende Forderung mit der größten Selbstverständlichkeit vortrug, und vor allem auf sich selbst, weil seine Starrköpfigkeit und sein Stolz ihn in diese missliche Lage gebracht hatten und weil er schon wusste, wie die ganze Sache ausgehen würde. Kraft der Bedingungen des Waffenstillstandes konnte er dem Sultan seine Bitte nicht abschlagen, aber die hiesigen christlichen Garnisonen würden das als Affront auffassen. Sie würden in ihrem heiligen Zorn die Muslime angreifen und vernichtend geschlagen werden, was wiederum Wasser auf die Mühlen der lateinischen Edelleute sein würde, die Tripolis für einen Verräter hielten. Dann bliebe ihm keine andere Wahl, als vor ihrem Schwachkopf von König zu kapitulieren  oder sich ganz von den lateinischen Staaten loszusagen - was er sich trotz allem Respekt vor Saladin nicht erlauben konnte.

Er sah den Prinzen lange an, während er nach einem Ausweg suchte, obwohl er wusste, dass es keinen gab. Endlich sagte er: »Richtet Eurem Bruder aus, dass ich dem Sultan seine Bitte gewähre - aber nur unter der Bedingung, dass seine Männer mein Herrschaftsgebiet vor Einbruch der Dunkelheit wieder verlassen haben und dass sie weder meinen Untertanen noch meinem Besitz Schaden zufügen.«

Und in dem triumphierenden Lächeln des Prinzen sah Tripolis seinen eigenen Untergang.

 Tatsächlich war das Unheil an diesem Tag schon näher, als der Graf ahnte, denn am Morgen zuvor waren die Hofabgesandten, die Tripolis erwartet hatte, von Jerusalem nach Tiberias aufgebrochen. Diese Entscheidung war das Ergebnis eines langen, erbitterten Machtkampfes. Die meisten Edelleute hatten sich dafür ausgesprochen, Tripolis auf diplomatischem Wege an den Verhandlungstisch zu bringen, aber de Ridefort und Kerak, die Tripolis’ Grafschaft den ganzen Winter über mit Überfällen heimgesucht hatten, hatten an der Überzeugung festgehalten, der Graf sei ein Verräter, den man exekutieren und nicht umschmeicheln müsse.

Am Ende hatte sich das gemäßigte Lager durchgesetzt, aber die Stimmung unter den davonreitenden Abgesandten wurde von einer unterschwelligen Unsicherheit geprägt. Zum größten Teil lag dies an de Ridefort. Zwar hatte sich Guy - auf dem Gebiet der Diplomatie ein hoffnungsloser Fall - überreden lassen, daheimzubleiben, und Kerak war verärgert davongestapft, aber de Ridefort hatte sich nicht davon abbringen lassen, an der Mission teilzunehmen. Überdies ritt er trotz der Gegenwart so vieler Gleich- und Höhergestellter - Roger des Moulins, des Großmeisters der Hospitaliter; Joscius, des Erzbischofs von Tyrus; Renaud, des Herrschers von Sidon und des mächtigen freireligiösen Ritters Balian d’Ibelin - unbeirrt an der Spitze des Trupps. Statt ihn wegen dieser arroganten Anmaßung scharf zu tadeln, unterließen es diese Männer sogar, ihre Pferde an seine Seite zu lenken. Aus bitterer Erfahrung wussten sie, dass man de Ridefort am besten in Ruhe ließ, wenn er wütend war, und so aufgebracht wie jetzt hatten sie ihn noch nie erlebt.

Als die Abgesandten des Königs Galiläa erreichten, pochte die Ader, die Bilal schon bei ihrer ersten Begegnung an de Rideforts Schläfe aufgefallen war, so heftig, dass es für jedermann sichtbar war. Balian d’Ibelin und Renaud von Sidon hatten sich unter dem fadenscheinigen Vorwand, andere Angelegenheiten von höchster Dringlichkeit würden ihre Anwesenheit erfordern, von der Gruppe getrennt und waren ihrer Wege gegangen. Und als die restlichen Mitglieder des Trupps in der Festung La Feve eintrafen, mussten sie feststellen, dass es auch hier vieles zu erledigen gab, was keinen Aufschub duldete. Doch nur Jacques de Mailly war zugegen, als sein Großmeister Tripolis’ Brief erhielt.

Er enthielt nichts, was de Ridefort nicht bereits wusste. Von dem Moment an, wo Tripolis alle von seiner Abmachung mit dem Sohn des Sultans in Kenntnis gesetzt hatte, hatte sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet, und Guys Abgesandte hatten schon ein Dutzend mehr oder weniger blumig ausgeschmückte Versionen der Ereignisse auf der Straße nach Norden gehört. Dennoch lief de Ridefort beim Lesen des Briefes so wutrot an, als träfen ihn diese Neuigkeiten vollkommen überraschend. Am Ende zerknüllte er den Pergamentbogen in der Faust und stieß dabei einen Schwall wilder Verwünschungen aus, für die er seine Ritter mit Peitschenhieben hätte bestrafen lassen, hätten sie es gewagt, solche Worte in den Mund zu nehmen.

»Verräterischer Sohn einer Sarazenenhure!«, schloss er, obwohl er wusste, dass Tripolis’ Mutter in Wirklichkeit einer angesehenen französischen Familie entstammte. De Mailly, der ahnte, dass das noch  nicht alles war, wartete geduldig ab, und einen Moment später belohnte de Ridefort diese Voraussicht mit einem gebellten: »Wo ist des Moulins?«

De Mailly wusste, dass der Hospitalitergroßmeister kurz nach ihrer Ankunft in der Festung mit einer jungen und ausnehmend hübschen Dienstmagd verschwunden war, hielt es aber nicht für ratsam, de Ridefort, der des Moulins ohnehin feindselig gegenüberstand, dies mitzuteilen. Also erwiderte er nur: »Ich werde ihn suchen gehen?«

»Und zwar sofort«, schnaubte de Ridefort. »Und schickt einen Diener mit Wein zu mir!«

»Messire.« De Mailly verneigte sich und sah zu, dass er fortkam.

Als er in den Hof hinaustrat, bekam er die Auswirkungen zweier anstrengender Tage mit einem Schlag zu spüren. Er hätte alles dafür gegeben, in sein Bett kriechen und ein paar Stunden schlafen zu können, statt des Moulins von seinem Lotterlager hochjagen zu müssen. Während er sich zu erinnern versuchte, durch welche Tür der Hospitalitergroßmeister geschlüpft war, nahm sein Gesicht einen so grimmigen Ausdruck an, wie es ihm überhaupt möglich war. Zwar wusste er nicht, was de Ridefort im Schilde führte, aber er zweifelte nicht daran, dass es mit einem beträchtlichen Blutvergießen enden würde.

Seufzend begann er an die einzelnen Türen zu hämmern, bis er endlich ein barsches »Oui« hörte, auf das ein Fluch und dann ein Geräusch folgten, als sei jemand aus dem Bett gefallen.

»Ich bin es, de Mailly«, sagte er. »De Ridefort wünscht Euch zu sehen.«

»Und ich wünsche mir nichts weniger«, grollte des Moulins. Einen Moment später fügte er hinzu: »Sagt ihm, ich komme gleich.«

Eine Pause entstand, dann erklang das gedämpfte Lachen eines Mädchens, in das sich das von des Moulins mischte.Wieder seufzte de Mailly. Er verurteilte des Moulins für seine lüsternen Vorlieben  nicht; zum einen, weil derartige Dinge in allen christlichen Orden an der Tagesordnung waren, obwohl die Regel sie strikt untersagte; zum anderen, weil er die Ansicht vertrat, dass jeder Mann auf die eine oder andere Art ein Sünder war und dass die Sünde der Fleischeslust auch nicht schwerer wog als andere. Er wünschte nur, des Moulins hätte sich für einen weniger zeitraubenden Zeitvertreib entschieden.

Doch es dauerte nur zehn Minuten, bis des Moulins makellos gekleidet aus dem Raum trat, obwohl sein Gesicht unnatürlich gerötet und ihm die Erschöpfung deutlich anzumerken war.

»Und was will Seine Hoheit von mir?«, erkundigte er sich, als sie den Hof überquerten.

De Mailly schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht, aber ich vermute, es hat ewas mit dem muslimischen Aufklärungstrupp zu tun.«

»Ich fürchte, Ihr habt Recht«, erwiderte des Moulins grimmig. »Möge Gott uns beistehen!«

Die beiden Männer verfielen in Schweigen, bis sie die Halle erreichten. Dort fanden sie de Ridefort vor, der auf und ab schritt und dabei Unverständliches vor sich hin murmelte. »Vorsicht«, bemerkte des Moulins trocken. »Man könnte Euch mit Kerak verwechseln.«

De Ridefort funkelte ihn finster an, sagte aber nur: »Lasst uns unsere Zwistigkeiten vorübergehend vergessen und uns auf unser momentanes Problem konzentrieren.«

Seufzend nahm des Moulins am Tisch Platz, auf den ein Diener einen Krug Wein und eine Schale mit Früchten gestellt hatte. Er schenkte sich und de Mailly ein. »So, wie ich das sehe, haben wir momentan kein dringliches Problem.«

»Tripolis hat uns auf unverschämte Weise beleidigt!«, brüllte de Ridefort. »Er hat zugelassen, dass der Durchmarsch dieser Aufklärungstruppen just an dem Tag stattfindet, an dem wir unsere Abgesandten nach Tiberias schicken wollten!«

Des Moulins nippte an seinem Wein. »Sowie mir bekannt ist, zählt  Hellsichtigkeit nicht zu den Fähigkeiten des Grafen. Wir haben niemanden von unserem Vorhaben in Kenntnis gesetzt, daher konnte er auch nicht ahnen, dass seine Pläne die unseren durchkreuzen. Das erfuhr er erst, als es zu spät war, um noch etwas zu ändern, woraufhin er Euch sofort diesen Brief schickte - was weit mehr war, als die Ritterlichkeit erforderte.«

»Ritterlichkeit, dass ich nicht lache! Die Boten des Königs der Gefahr eines Angriffs auszusetzen …«

»Die Sarazenen haben versprochen, nicht anzugreifen«, erinnerte des Moulins ihn, »und der Sultan hat ungeachtet all seiner Verfehlungen sein Wort noch nie gebrochen.«

»Ein normaler Aufklärungstrupp umfasst keine siebentausend Mann«, versetzte de Ridefort kalt. »Denkt an meine Worte, des Moulins: Das ist eine List, die der Sultan und Tripolis ausgeheckt haben, um uns in einen Kampf zu verwickeln. Und wenn sie einen Kampf wollen, dann sollen sie ihn bekommen!«

Des Moulins warf ihm einen scharfen Blick zu, in dem erstmals ein Anflug von Besorgnis lag. »Worauf wollt Ihr hinaus?«

Ohne auf die Frage einzugehen bellte de Ridefort: »Wie viele Ritter befinden sich zurzeit in dieser Garnison?«

»Nicht annähernd genug für das, was Ihr anscheinend vorhabt«, entgegnete der Hospitaliter.

De Ridefort nahm sein rastloses Auf- und Abgehen wieder auf. »Dann müssen wir sehen, dass wir mehr zusammenbekommen. De Mailly, Ihr reitet nach Qaqun und mobilisiert die dortige Templergarnison. Ich werde die königlichen Ritter von Nazareth zu Hilfe holen, und des Moulins …«

»Wird diesen Wahnsinn ganz bestimmt nicht auch noch unterstützen!«, donnerte des Moulins, der mit seiner Geduld am Ende war. »Ihr sprecht von hundert, bestenfalls zweihundert Rittern - gegen siebentausend Gegner! Ihr mögt ja den König unter Eurer Fuchtel haben,  aber mir habt Ihr nichts zu befehlen, und solange das der Fall ist, schicke ich meine Männer nicht in den sicheren Tod!«

»Natürlich nicht«, erwiderte de Ridefort mit kalter Grausamkeit. »Und zwar, weil Ihr ein feiger, zügelloser Wüstling seid, der mehr daran interessiert ist, seine verdammungswürdigen Laster auszuleben, als sich in den Dienst von Gottes Gerechtigkeit zu stellen!«

De Mailly fing des Moulins’ Hand ab, mit der er de Ridefort ins Gesicht schlagen wollte. »Schluss jetzt«, befahl er. »Wir gewinnen nichts, wenn wir uns selbst bekämpfen, und ganz gewiss gewinnen wir nicht Gottes Gunst. Nun, Messire«, wandte er sich an de Ridefort. »Ich gebe zwar zu, dass Tripolis’ Vorgehensweise als Affront gegen uns gewertet werden könnte, aber zweierlei steht fest: erstens, dass dem Grafen aufgrund seines Waffenstillstandsvertrages mit Saladin gar keine andere Wahl blieb, als die Truppen durch sein Territorium ziehen zu lassen, und zweitens, dass er seine Loyalität uns gegenüber unter Beweis gestellt hat, indem er Euch diesen warnenden Brief schrieb. Zum Wohle des Königreiches bitte ich Euch, diese Geste nicht mit einer Beleidigung zu beantworten.«

De Ridefort dachte einen Moment darüber nach, dann verdunkelte sich sein Gesicht erneut. »Der Einzige, der hier jemanden beleidigt, ist Tripolis«, schnarrte er. »Des Moulins mag tun, was ihm beliebt, aber Ihr, de Mailly, reitet jetzt los und versetzt die Garnison in Alarmbereitschaft, sonst lasse ich Euch vor Euren Mitbrüdern als Verräter vor Gott anklagen, das schwöre ich Euch!«

De Mailly musterte seinen Großmeister lange. Die kalte Wut, die sich auf seinem Gesicht widerspiegelte, wirkte weitaus Furcht einflößender als de Rideforts lautstarke Zornesausbrüche. »Wie Ihr wünscht, Messire«, sagte er endlich. »Aber wenn Ihr die Ritter morgen zum Kampf aufruft, vergesst später nie, dass Ihr und nur Ihr allein die Blume von Outremer unter Eurem Stiefel zermalmt habt.«

Des Moulins lief ein kalter Schauer böser Vorahnungen über den  Rücken, und selbst de Ridefort wirkte mit einem Mal verunsichert. »Ich verlange von meinen Männern nicht mehr als von mir selbst«, wandte er ein. »Ich werde morgen an Eurer Seite kämpfen, und ich werde an Eurer Seite fallen, wenn es Gottes Wille ist.«

De Mailly schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Ihr irrt Euch, Messire. Ich werde morgen im Kampf sterben, wie es sich für einen tapferen Mann und Krieger Gottes geziemt. Ihr jedoch, Messire, werdet wie ein feiger Verräter vor dem Feind flüchten.« Mit diesen Worten wandte er sich ab, um den Raum zu verlassen, und de Ridefort verspürte zum ersten Mal seit Jahren ein Gefühl, das er schon fast vergessen geglaubt hatte: eine leise, von Zweifeln, die er sich selbst nicht eingestehen wollte, ausgelöste Furcht.

 

Wuestentochter
titlepage.xhtml
jacket.xhtml
Wuestentochter_split_000.html
Wuestentochter_split_001.html
Wuestentochter_split_002.html
Wuestentochter_split_003.html
Wuestentochter_split_004.html
Wuestentochter_split_005.html
Wuestentochter_split_006.html
Wuestentochter_split_007.html
Wuestentochter_split_008.html
Wuestentochter_split_009.html
Wuestentochter_split_010.html
Wuestentochter_split_011.html
Wuestentochter_split_012.html
Wuestentochter_split_013.html
Wuestentochter_split_014.html
Wuestentochter_split_015.html
Wuestentochter_split_016.html
Wuestentochter_split_017.html
Wuestentochter_split_018.html
Wuestentochter_split_019.html
Wuestentochter_split_020.html
Wuestentochter_split_021.html
Wuestentochter_split_022.html
Wuestentochter_split_023.html
Wuestentochter_split_024.html
Wuestentochter_split_025.html
Wuestentochter_split_026.html
Wuestentochter_split_027.html
Wuestentochter_split_028.html
Wuestentochter_split_029.html
Wuestentochter_split_030.html
Wuestentochter_split_031.html
Wuestentochter_split_032.html
Wuestentochter_split_033.html
Wuestentochter_split_034.html
Wuestentochter_split_035.html
Wuestentochter_split_036.html
Wuestentochter_split_037.html
Wuestentochter_split_038.html
Wuestentochter_split_039.html
Wuestentochter_split_040.html
Wuestentochter_split_041.html
Wuestentochter_split_042.html
Wuestentochter_split_043.html
Wuestentochter_split_044.html
Wuestentochter_split_045.html
Wuestentochter_split_046.html
Wuestentochter_split_047.html
Wuestentochter_split_048.html
Wuestentochter_split_049.html
Wuestentochter_split_050.html
Wuestentochter_split_051.html
Wuestentochter_split_052.html
Wuestentochter_split_053.html
Wuestentochter_split_054.html
Wuestentochter_split_055.html
Wuestentochter_split_056.html
Wuestentochter_split_057.html
Wuestentochter_split_058.html
Wuestentochter_split_059.html
Wuestentochter_split_060.html
Wuestentochter_split_061.html
Wuestentochter_split_062.html
Wuestentochter_split_063.html
Wuestentochter_split_064.html
Wuestentochter_split_065.html
Wuestentochter_split_066.html
Wuestentochter_split_067.html
Wuestentochter_split_068.html
Wuestentochter_split_069.html
Wuestentochter_split_070.html