8

Gérard de Ridefort war nicht mit der Absicht nach Outremer gekommen, einen heiligen Ritterorden zu führen. Wie Renauld de Châtillon auch, hatte er auf eine vorteilhafte Heirat gesetzt, um in dem lateinischen Königreich sein Glück zu machen, und einst hatte es auch so  ausgesehen, als sei er seinem Ziel ganz nah. Er übernahm bald den bescheidenen, aber respektablen Posten des Marschalls des Königreiches Jerusalem, und kurz darauf gewann er die Gunst Raymonds III., des Grafen von Tripolis. Tripolis nahm den jungen Ritter unter seine Fittiche. Eine Zeit lang waren die beiden Männer enge Freunde; eine Freundschaft, die ihren Höhepunkt erreichte, als Tripolis seinem Protégé die Frau versprach, die für de Ridefort die Erfüllung seiner Wünsche bedeutete - die Erbin Lucia de Botrun. Aber nach einiger Zeit begann sich Tripolis über de Rideforts hochtrabendes Gebaren zu ärgern, und als ein pisanischer Kaufmann ihm Lucias Gewicht in Gold als Gegenleistung für ihre Hand bot, ging er auf das Angebot ein.

De Ridefort kündigte ihm den Dienst auf, womit der Graf gerechnet hatte, und schloss sich dem Templerorden an, was er nicht erwartet hätte. Die nächsten Jahre trugen nicht dazu bei, den Groll zu lindern, den de Ridefort gegenüber seinem einstigen Gönner hegte. Als Großmeister der Templer gelangte er ironischerweise zu weit größerer Macht, als es ihm als Lucias Ehegatte je möglich gewesen wäre, dennoch wuchs seine Bitterkeit stetig und machte ihn zu einem Mann, dem jegliches diplomatische Geschick mangelte. Dies erwies sich angesichts der gegenwärtigen politischen Lage in Outremer als Problem, denn de Ridefort wusste, dass die zu der Zeit zerstrittenen lateinischen Staaten vernichtet werden würden, wenn sie sich auf einen Krieg mit Saladin einließen. Schlimmer noch - da die Templer ein besonders unangenehmer Dorn im Fleisch des Sultans waren, wäre de Ridefort einer der Ersten, die ausgelöscht werden würden.

Die meisten hätten seine Lösung des Problems als Verrat bezeichnet. Er zog es vor, es als ›sich auf der sicheren Seite halten‹ zu betrachten.

 Bilal hatte von all dem natürlich keine Ahnung, und während sie nach Kerak ritten, verschwendete er kaum einen Gedanken an Numair. Für Bilal stellte die Burg einen wahr gewordenen Alptraum dar. Wenn die Wanderungen der Hassani sie in die Nähe von Brins Arnats Bollwerk führten, wuchsen die Kinder mit Geschichten über seine Grausamkeit und den ständigen Drohungen ihrer Mütter auf: »Wenn du deine Schwester noch einmal schlägst, lasse ich dich in Kerak zurück!« Oder: »Sei still, sonst weckst du Arnat, und ich hörte, dass er dringend Fleisch für seinen Bratspieß braucht.«

Zeynebs Drohungen hatten ähnlich Furcht einflößend geklungen, umso mehr, als sie einen Hauch von Wahrheit zu enthalten schienen, da sie sie ständig in Form von Widerlegungen aussprach. So hatte die sechsjährige Khalidah zu Bilal gesagt, er solle ihr besser ihr Spielzeugpferd zurückgeben, denn Brins Arnat käme ungezogene Kinder des Abends holen, um sie zum Abendessen zu rösten wie junge Ziegen. Zeyneb erwiderte darauf, das sei Unsinn, aber Arnat sei dafür bekannt, Kinder aus seinen Verliesen zu holen und zur Unterhaltung seiner Gäste von den Zinnen seiner Brustwehr zu stürzen. Das hatte ihren Streitigkeiten ein Ende gesetzt.

Als Bilal neun war, erzählte er Khalidah, Arnat würde Kindern, die ihren Müttern widersprachen, die Zunge herausreißen, woraufhin Zeyneb ihm gelassen mitteilte, etwas Derartiges sei ihr noch nie zu Ohren gekommen. »Aber«, fuhr sie dann fort, »er hat einmal einem Mann, der sich weigerte, ihm Geld zu geben, den kahlen Schädel aufgeschlitzt, ihn mit Honig eingerieben und den Mann dann auf einem Turmdach festgekettet, wo Insektenschwärme über ihn hergefallen sind, bis er den Verstand verlor.«

Bilal hatte diese Geschichte nie vergessen, und das Einzige, was ihn davon abhielt, der gefürchteten Burg den Rücken zuzukehren und die Flucht zu ergreifen, war Numairs Versprechen, er würde seinen Vater innerhalb dieser Mauern finden - obwohl ihm diese Aussicht im fahlen Licht des über der Wüste hereinbrechenden Morgens weitaus weniger verlockend erschien als am Tag zuvor in Abd al-Aziz’  Stall. Numair hatte sich geweigert, ihm mehr über den Mann zu erzählen, den sie treffen wollten, abgesehen davon, dass er in Kerak zu finden war. Er hatte dem Jungen auch eingeschärft, ihm das Reden zu überlassen und den Blick stets gesenkt zu halten. Deswegen sah Bilal weder die Ritter an, die das Tor am Eingang des Tales bewachten, das zu der Burg führte, noch die Pferdeknechte im Hof, die ihre Pferde in Empfang nahmen. Dennoch spähte er verstohlen nach rechts und links, wenn er sich von Numair unbeobachtet glaubte, und was er sah, ließ auch noch den Rest seiner Zuversicht schwinden. Alle Männer, an denen sie vorbeikamen, wirkten eingeschüchtert und verhärmt.

Bilal folgte Numair in den Bergfried, wo dieser stehen blieb und in gebrochenem Französisch ein paar Worte mit einem Mann in einer weißen Tunika mit einem roten Kreuz auf der Brust wechselte. Den Anweisungen des Mannes folgend führte er Bilal dann in eine winzige Kammer, die fast vollständig von einem hölzernen Tisch ausgefüllt wurde. An diesem Tisch saß ein Mann und trug etwas in ein Kontobuch ein. Als er auf blickte, schöpfte Bilal neue Hoffnung, denn wenn dieser Mann der Vater war, von dem Numair gesprochen hatte, dann war er alle Strapazen wert, die Bilal seinetwegen auf sich genommen hatte. Er trug das Kettenhemd eines Ritters und einen schlichten dunklen Mantel, musste um die dreißig sein, hatte kurzes rotbraunes Haar, einen sauber gestutzten Bart und warme braune Augen, die Dinge zu sehen schienen, die anderen verborgen blieben. Er strahlte eine natürliche Freundlichkeit aus, die die Menschen unwiderstehlich zu ihm hinzog.

»Seid Ihr …«, begann Bilal auf Französisch, doch Numair unterbrach ihn sofort in scharfem Arabisch: »Still jetzt!«, gefolgt von einem finsteren Blick.

Bilals Hoffnung erstarb, und der Ritter, der seinen Gesichtsausdruck bemerkte und zu verstehen schien, schenkte ihm ein flüchtiges, mitfühlendes Lächeln. In dem Blick, der Numair traf, lag dagegen abgrundtiefer Argwohn. »Wir hatten noch nicht so bald mit dir gerechnet, al-Hassani«, sagte er auf Arabisch. Er beherrschte die Sprache fließend, und sein Akzent ließ sie angenehm und melodisch klingen, was Bilal zusätzlich bezauberte.

»Ich muss augenblicklich Euren Meister sprechen«, schnarrte Numair.

»Es ist noch sehr früh«, erwiderte der Ritter. »Der Meister schläft noch.«

»Dann weckt ihn«, grollte Numair. »Diese Angelegenheit duldet keinen Aufschub!«

Der junge Ritter seufzte. »Und was soll ich sagen, wenn er nach deinem Anliegen fragt?«

Numair musterte Bilal einen Moment lang nachdenklich. »Sagt ihm, ich hätte jemanden mitgebracht, der für ihn von größtem Interesse ist.«

Mit einem neugierigen Blick in Bilals Richtung klappte der Ritter das Buch zu und verließ den Raum. Sowie er außer Hörweite war, fragte Bilal: »Wer war dieser Mann?«

»Jacques de Mailly«, entgegnete Numair knapp. »Der Marschall des Templerordens und für uns nicht von Bedeutung.«

Während sie auf de Maillys Rückkehr warteten, grübelte Bilal über dessen ›Meister‹ und die anscheinend sehr intimen Kenntnisse von Brins Arnats persönlichen Gewohnheiten nach, und ein furchtbarer Verdacht nahm in seinem Kopf Gestalt an. Als de Mailly zurückkam und ihnen mitteilte, dass sein Herr sie jetzt empfangen würde, hatte sich der Verdacht bereits zur Gewissheit verhärtet. Benommen folgte er de Mailly durch die Gänge, und als der Ritter vor einer eisenbeschlagenen Tür stehen blieb, zitterte Bilal am ganzen Leib. De Mailly nickte ihm zu und zog sich zurück. Numair klopfte an die Tür.

»Entrez«, erklang eine Männerstimme.

Numair stieß die Tür auf. In dem Raum saß ein Mann neben einem Bronzebecken und stocherte müßig in den Kohlen herum. Er blickte auf, als Numair und Bilal eintraten. Das Licht, das durch das Fenster hinter ihm fiel, tauchte sein Gesicht in Schatten, doch die Feindseligkeit in seiner Stimme war unüberhörbar, als er sagte: »Schließ die Tür.« Numair machte keine Anstalten, der Aufforderung zu folgen, also schloss Bilal sie.

Der Mann beugte sich vor. Bilal erhaschte einen Blick auf helle Augen in einem goldenen Gesicht, bevor der Mann Numair anherrschte: »Ich habe dir doch befohlen, niemals jemanden hierher mitzubringen.«

Numair lächelte - ein hartes, kaltes Lächeln. »Verzeiht mir, Herr, aber ich dachte, Ihr würdet gern Euren Sohn kennen lernen. Gérard de Ridefort, darf ich Euch Bilal ibn Zeyneb al-Qabbani vorstellen? Bilal, hör auf, Maulaffen feilzuhalten und begrüße deinen Vater mit dem Respekt, der dem Großmeister des Templerordens gebührt.«

 Bilals Erleichterung darüber, nicht Arnats Sohn zu sein, war nicht von langer Dauer. Er brauchte nur wenige Momente, um zu erkennen, dass Gérard de Ridefort als Vater eine ebenso schlechte Wahl war. Er mochte zwar gut aussehen, aber er verströmte auch eine unterschwellige Kälte und Skrupellosigkeit, die Bilal abstieß. Zudem wurden seine Züge jetzt durch eine wurzelähnliche Ader entstellt, die auf seiner Stirn zu pochen begonnen hatte, als er Bilals Identität erfuhr. Das Schlimmste jedoch waren seine Augen. Sie schimmerten so leuchtend blau wie das Meer unter einem Hitzeschleier - die Art von Augen, die sie unverkennbar als Verwandte auswiesen und die Bilal sein ganzes Leben lang gehasst hatte, weil sie von fremdem Blut zeugten.

»Was soll das heißen?«, fragte de Ridefort, der seine Wut offenbar nur mühsam zügelte. Er sprach Arabisch ebenso fließend wie de  Mailly, aber mit einem ganz anderen Akzent: schroff und abgehackt, mit übermäßiger Betonung der Vokale.

»Ich denke, das liegt auf der Hand.« Numair nahm, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, auf einem Stuhl neben dem Schreibtisch Platz. »Wir sind mit unseren Verhandlungen in eine Sackgasse geraten - aus der ich jetzt einen Ausweg gefunden habe, wenn ich mich nicht sehr irre.«

De Ridefort lächelte kalt. »Eine kleine Erpressung? Wie originell. Aber du hast Pech, ich habe keinen Sohn.«

Numair stützte einen Ellbogen auf den Tisch, legte eine Wange lässig in seine Handfläche und musterte de Ridefort. Falls er den Großmeister dadurch einschüchtern wollte, misslang der Versuch, denn dieser hielt dem Blick unverwandt stand. »Vor vielen Jahren«, fuhr Numair fort, »siebzehn, würde ich sagen, verbrachtet Ihr einige Zeit in Antiochia. Während Eures Aufenthaltes dort verheiratete Sultan Saladin seine Nichte - ein Mädchen, das in seinem Haushalt aufgewachsen und dem er sehr zugetan war - mit einem seiner umara. Sie war vierzehn Jahre alt und anscheinend eine Schönheit. Ihr Name lautete Zeyneb bint Ibrahim al-Ayyubi.«

De Ridefort zuckte unwillkürlich zusammen, was Numair nicht entging. Er lächelte böse. »Wie ich sehe, erinnert Ihr Euch an sie. Ihr wisst auch sicher noch, dass die Ehe unter keinem guten Stern stand. Zeynebs Mann war wesentlich älter als sie. Er pflegte sie aus Eifersucht zu schlagen, wie das alte Männer junger Frauen häufig tun. Wie ich hörte, war er ein sehr grausamer Mensch. Nun, eines Tages weinte sie im Garten, weil er sie wieder einmal erbarmungslos geprügelt hatte, und als sie auf blickte, sah sie einen fränkischen Ritter, der sie beobachtete. Er sei ins Haus gekommen, um ihren Mann zu treffen, sagte er, und habe sich in den Gängen verlaufen. Dann fragte er sie, warum sie weinte, und sie fühlte sich so elend, dass sie ihm ihr Herz ausschüttete. Um eine lange Geschichte kurz  zu halten - als er ihr anbot, sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien, willigte sie ein.

Aber Zeyneb war nicht dumm, sie wusste, was der weiße Mantel des Ritters zu bedeuten hatte. Doch sie war auch noch sehr jung, und ich denke, wie jedes junge Mädchen war sie davon überzeugt, die Liebe würde am Ende siegen. Sie irrte sich. Nach einer Woche ließ der Ritter sie mit einem Beutel Silber und dem strikten Befehl zurück, kein Wort über diese Affäre zu verlieren. Täte sie es doch, drohte er, so würde er sie augenblicklich zu ihrem Mann zurückschicken, der sie natürlich wegen Ehebruchs zu Tode steinigen lassen würde.«

Numair hielt inne, um die Wirkung seiner Geschichte auf seine Zuhörer zu beobachten. De Ridefort starrte ihn mit unverhohlenem Abscheu an. Bilal war weiß vor Entsetzen geworden und strahlte eine nahezu greifbare Feindseligkeit aus.

»Zeyneb tat das Einzige, was ihr übrig blieb«, fuhr Numair endlich fort. »Sie verschwand, ging Richtung Süden in die Wildnis von Oultrejourdain und schloss sich einem Nomadenstamm an, dem gegenüber sie sich als Witwe ausgab. Neun Monate später wurde ihr Sohn geboren, und die beiden haben seither bei den Hassani gelebt.«

De Ridefort starrte Numair lange an, ehe er sagte: »Und der Sultan lechzt jetzt vermutlich nach dem Kopf dieses ehebrecherischen Ritters?«

»Oh, er hat die ganze Angelegenheit zweifellos längst vergessen«, erwiderte Numair. »Was aber nicht heißt, dass man ihn nicht daran erinnern könnte. Ich bin sicher, er würde diese Information im Licht Eurer Verhandlungen mit ihm betrachtet sehr interessant finden. Und was Euren Orden betrifft …«

De Ridefort lachte humorlos auf. »Bezüglich des Sultans könntest du Recht haben, aber die Brüder würden nie das Wort eines Sarazenen über das meine stellen.«

»Wahrscheinlich nicht«, stimmte Numair zu. »Daher trifft es sich  gut, dass Euer Sohn Euer auffälligstes Merkmal geerbt hat.« Er zog den immer noch benommenen Bilal ins Licht. Verwirrt blickte der Junge zu dem Großmeister auf. »Sogar unter den Franken findet man ein solches Blau äußerst selten. Unter den Beduinen hat man es noch nie gesehen.«

Der Großmeister musterte Bilal eindringlich, dann wandte er sich wieder an Numair. »Was willst du, al-Hassani?«

Auf jedem anderen Gesicht hätte Numairs Lächeln ausgesprochen anziehend gewirkt. Auf seinem wirkte es diabolisch. »Ich verlange das Doppelte von dem, was Ihr mir bislang für Informationen zahlt«, gab er zurück. »Und Ihr könnt Ayla vergessen. Wenn der Sultan siegt, will ich Kerak.«

 Was Bilal dem darauf folgenden Streitgespräch zwischen den beiden Männern entnahm, reichte aus, um die Entdeckung, dass er der Sohn des Großmeisters eines zölibatären fränkischen Mönchsordens war, dagegen geradezu banal erscheinen zu lassen. De Ridefort hatte schon vor Monaten beschlossen, sich auf die Seite des Sultans zu schlagen, indem er ihm Informationen lieferte, zu denen nur wenige andere Männer im Königreich Zugang hatten, da er es für sehr wahrscheinlich hielt, dass die Muslime den bevorstehenden Kampf gewinnen würden. Aber da ein Mann in seiner Position nicht dabei ertappt werden durfte, wie er Umgang mit dem Feind pflegte, hatte er einen Mittelsmann gefunden, der seine Informationen weiterleitete: Numair al-Hassani.

De Rideforts Belohnung für seine Bemühungen war das Fürstentum Oultrejourdain - oder würde es sein, sobald sich Jerusalem wieder in muslimischer Hand befand, so hatte es Saladin ihm versprochen. Numair wiederum wurde von de Ridefort aus den Schatztruhen des Ordens großzügig dafür entlohnt, dass er dem Sultan Informationen überbrachte. Zuerst war Numair mit dieser Übereinkunft zufrieden gewesen. Aber dann begann sein Vater von einer möglichen Heirat mit seiner Base und einer Vereinigung der Stämme zu sprechen, und in Numair erwachte neben der Gier nach Geld auch der Hunger nach Macht. Wenn er es zu etwas bringen wollte, bedurfte es dazu mehr als eines Nomadenzeltes. Er brauchte etwas Beständiges; etwas, was seine Bedeutung unterstrich. Also teilte er de Ridefort mit, er werde nicht länger für ihn arbeiten, wenn er nicht nach dem Sieg der Muslime mit einer eigenen Stadt rechnen könne. Zu seiner freudigen Überraschung hatte ihm der Großmeister daraufhin Ayla zugesagt.

Aber das Überbringen von Informationen war ein schwieriges und gefährliches Unterfangen, das lange, anstrengende Reisen erforderte, und Numair war von Natur aus träge. Nach einem Streit mit einer Gruppe Templer auf dem Rückweg von einer Mission verlangte er mehr Geld. Diesmal wies de Ridefort sein Anliegen schroff zurück und drohte, ihn ganz aus dem Geschäft auszuschließen, wenn er fortfuhr, Forderungen zu stellen. Daher hielt Numair Ausschau nach etwas, womit er den Großmeister unter Druck setzen konnte, und stieß auf Bilal.

Während die beiden Männer über die Grenzen von Ländern debattierten, die noch gar nicht existierten, schweiften Bilals Gedanken ab. Er wusste, dass er jetzt in diese Verschwörung verstrickt war, und empfand daher plötzlich Mitgefühl mit Khalidah. Ihm war klar geworden, dass auch sie stets nur ein Mittel zum Zweck gewesen war, um Numairs unersättlichen Machthunger zu stillen, so wie er selbst nun auch, und er fragte sich, ob sie das gewusst hatte. Vielleicht war sie deshalb fortgelaufen - und bei diesem Gedanken keimten Schuldgefühle in ihm auf. Er hätte ihr helfen müssen, statt sie zu verraten; hätte zumindest versuchen müssen, den Verdacht eine Weile von ihr abzulenken, um ihr einen Zeitvorsprung zu verschaffen.

Mit einem Mal wurde Bilal bewusst, dass die beiden Männer verstummt waren. Beide musterten ihn kalt und abschätzend. Einen Moment lang fragte er sich, ob sie ihn töten wollten. Aber das ergab natürlich keinen Sinn - wie auch immer de Ridefort dazu stehen mochte, Numair brauchte ihn noch als Druckmittel.

»Nein«, antwortete de Ridefort schließlich auf eine Frage, die Bilal nicht gehört hatte. »Ich denke, ich werde ihn gen Norden schicken, wo er mir keine Schwierigkeiten machen kann.« Seine Augen leuchteten auf, als habe er soeben eine Eingebung gehabt. »Das ist es - ich schicke ihn nach Norden, zur Armee des Sultans. Dort kann er mir vielleicht als informateur von Nutzen sein. Es gereicht mir zum Vorteil, genau zu wissen, was der Sultan plant. Schließlich ist er ja auch über meine Pläne im Bilde.«

Informateur. Bilal kannte die Bedeutung dieses Wortes gut; er verstand den größten Teil der fränkischen Sprache, wenn sie langsam und deutlich gesprochen wurde. Zwar fand er es empörend, dass er nicht gefragt worden war, ob er überhaupt als Spion eingesetzt werden wollte, aber dann sagte er sich, dass dieses Schicksal einem Messer im Rücken bei weitem vorzuziehen sei.

»Er hat keinerlei militärische Ausbildung; er kann gerade einmal mit einem ghazi-Speer umgehen«, gab Numair zu bedenken.

»Das muss geändert werden, sonst besteht keine Hoffnung, dass er je auch nur in die Nähe des Sultans gelangt«, erwiderte de Ridefort. »Ich werde ihn in einer unserer Garnisonen ausbilden lassen. Wir werden den Soldaten dort sagen, dass er für uns in der Armee des Sultans spionieren soll. Niemand wird Fragen stellen, wenn der Befehl direkt von mir kommt.«

»Glaubt Ihr wirklich, dass ich beabsichtige, ihn aus den Augen zu lassen?«, spottete Numair.

De Ridefort bedachte ihn mit einem kalten Lächeln. »Schleif dein Schwert, al-Hassani. Du bist jetzt nämlich der neueste Mudschahed des Sultans.«

»Aber …«

»Nichts aber!«, donnerte de Ridefort. »Du bist mir nützlich, aber unersetzlich bist du nicht, und gerade jetzt genügt ein Wort von mir, und du landest in Keraks Kerker. Ich nehme an, dir ist bekannt, was Kerak mit seinen Gefangenen anstellt.«

Numair schwieg betreten, Bilal erbleichte. Ein grimmiges Lächeln spielte um de Rideforts Lippen. »Es sieht aus, als wären wir uns einig.«

 

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