4

Der Rückweg zum maharama schien kein Ende nehmen zu wollen, obgleich sie nur wenige Schritte zurücklegen mussten. Endlich langten sie dort an, und Zeyneb ließ die ghata hinunter. Khalidah sank dankbar auf ihr Bett, legte ihr Kopftuch und die Juwelen ab und schob sie zur Seite, dann begann sie ihre Schärpe zu lösen.

»Lass mich das tun«, bat Zeyneb.

Khalidah schüttelte den Kopf. »Ich bin doch kein Kind mehr.«

Es kam ihr so vor, als gäbe es vieles, was Zeyneb ihr gerne gesagt hätte, aber sie sah nur beinah hilflos zu, wie sich Khalidah entkleidete, ihr Haar kämmte und unter ihre Bettdecke kroch. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie keine Ahnung hatte, wann es an der Zeit war, Sulayman zu treffen. Ihre Furcht schlug in Panik um. Schließlich hatte sie keinen Grund, ihm zu vertrauen; keinen Grund, überhaupt noch jemandem zu trauen … und doch erkannte sie zugleich mit wachsender Klarheit, dass sie nicht länger dableiben durfte.

Seufzend rollte sie sich auf die Seite. Der Docht der Hängelampe war heruntergedreht. Zeyneb in ihrem Bett auf der anderen Seite des Raumes hob sich als dunkler Schatten von der Zeltwand ab, ihre offenen Augen glommen leicht im Dämmerlicht. »Du denkst an den jungen Mann mit der qanun«, stellte sie weich fest.

Wieder fragte sich Khalidah, ob Zeyneb irgendwie von ihrem Plan erfahren haben konnte, dann begriff sie, dass die ältere Frau ganz anders geartete Schlussfolgerungen gezogen hatte. »Warum sollte ich an ihn denken?«, gab sie zurück.

»Ich habe gesehen, wie du ihn angeschaut hast, Khalidah.«

»Es war nicht so, wie du denkst, Zeyneb …« Khalidah erwog mehrere Lügen, zu denen sie rasch greifen konnte, verwarf sie am Ende aber alle und entschied sich für die Wahrheit. »Was ich zu meinem  Vater gesagt habe, traf zu. Als der Mann angefangen hat zu spielen, habe ich meine Mutter gesehen. Ich sah sie - es war nicht einfach nur eine Erinnerung oder ein Trugbild.«

Zeyneb erwiderte nichts darauf. Khalidah lauschte dem gutturalen Dröhnen der Trommeln und dem Trillern der Binsenflöte, die anscheinend den Platz von Sulaymans qanun eingenommen hatte. Der filigrane Deckel der Laterne warf zarte goldene Muster auf das dunkle Tuch des Daches, die wellenförmig darüber hinwegglitten, wenn das Zelt leise im Wind schwankte.

Endlich flüsterte Zeyneb: »Ich hatte keine Ahnung, dass du dich noch an sie erinnerst.«

Khalidah seufzte. »Ich auch nicht. Aber die Frau, die ich vorhin gesehen habe … ich hätte sie überall erkannt.«

Wieder schwieg Zeyneb eine Weile, dann erwiderte sie bedächtig: »Vermutlich ist es gar kein so sonderbarer Zufall, dass die Musik des Mannes mit der qanun sie zurückgebracht hat. Auch deine Mutter spielte dieses Instrument.«

Ein Bild flammte vor ihr auf: weißer Stoff und goldene Augen, leise, süße Klänge … Khalidah saß auf einer hohen Düne und blickte über ein endloses Sandmeer hinweg. Eine weiß gekleidete Frau saß neben ihr. Ihr Kopftuch war verrutscht und gab vier dunkle Haarzöpfe frei, in denen rote Glanzlichter tanzten wie Feuer an einem nächtlichen Horizont. Sie hielt eine qanun auf dem Schoß, spielte aber nicht darauf. Der Wind fuhr über die Saiten hinweg, entlockte ihnen leise Töne und trug sie mit sich fort.

»Sie hat mich mitgenommen«, sagte Khalidah nahezu unhörbar. »Aus dem Lager in die Wüste hinaus.«

»Das stimmt«, bestätigte Zeyneb. »Obwohl ich mich wundere, dass du dich noch daran erinnerst. Du konntest damals noch kaum laufen. Brekhna sehnte sich immer nach weiten, offenen Flächen und Einsamkeit. Sie hat das Leben im Lager immer verabscheut, es aber um  deines Vaters willen und deinetwegen ertragen. Was ist dir sonst noch im Gedächtnis geblieben?«

»Nicht viel. Ein Gefühl … ein Blick. Die Farbe ihres Haares. Es wirkte schwarz, aber wenn die Sonne darauf fiel, glich es dem Fell eines dunklen Rotfuchses. Die Art, wie sie gelächelt hat … als wolle sie etwas hinter diesem Lächeln verbergen, was immer auch dahinter auf blitzte. Und dann war sie plötzlich fort. Ich weinte, ich rief nach ihr, aber sie kam nicht. Statt dessen kamst du in unser Zelt, und nach einer Weile hörte ich auf, sie so furchtbar zu vermissen. Ich vergaß ihr Gesicht … zumindest dachte ich das.«

»Sie war ein gefangener Vogel«, entgegnete Zeyneb in einem eigenartig träumerischen Ton. »Dein Vater ist ein guter Mann und ein guter Stammesführer, aber - möge Allah mir meine Kühnheit vergeben - deine Mutter hätte ihn nie heiraten dürfen. Sie konnte nicht so zu ihm gehören, wie eine Frau ihrem Mann angehören muss. Ich sah das sofort, so wie sie es gesehen haben muss …« Sie brach ab, und Khalidah fragte sich, welche Worte sie wohl gerade noch rechtzeitig unterdrückt hatte. Doch da sprach Zeyneb schon weiter. »Sie konnte die Lebensweise ihres Volkes nicht vergessen.« Ihre Stimme klang noch weicher als zuvor. »Und obwohl sie es nie gesagt hat, habe ich immer den Eindruck gehabt, sie hätte einst einen anderen geliebt.« Zeyneb seufzte. »Aber wir sind Frauen. Unsere Gefühle zählen in der Welt der Männer nicht. Du und Brekhna und ich, wir sind alle gleich, nur dass sie am Ende die Kraft fand, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Deswegen ist sie gegangen. Vielleicht floss doch Dschinn-Blut in ihren Adern.«

Zeynebs Worte verklangen in schlaftrunkener Stille, doch Khalidah war mit einem Schlag hellwach. »Sie ist gegangen?«, flüsterte sie. »Was soll das heißen?«

Zeyneb gab keine Antwort.

»Meine Mutter ist gestorben!«

Zeynebs einzige Reaktion darauf bestand in einem Schnarchen. Erst jetzt fiel Khalidah auf, dass im ganzen Lager Stille eingetreten war. Viel zu früh: Eine Hennanacht dauerte oft bis zum Morgengrauen, und als sie das majlis verlassen hatte, hatte es noch so ausgesehen, als würde dies auch diesmal der Fall sein. Khalidah schlüpfte in ein schlichtes Wollkleid, schlang sich einen Schal um den Kopf und hob dann die ghata.

Im flackernden Schein der Feuer lagen Menschen zusammengerollt auf dem Boden. Sie schlich ins Freie und stieß die erste reglose Gestalt, die sie sah, vorsichtig mit dem Fuß an. Es handelte sich um eine Frau, eine dicke Klatschbase namens Rusa. Rusa murmelte etwas Unverständliches und schlief dann weiter. In der Hand hielt sie einen Becher, in dem ein Rest Wein zurückgeblieben war. Khalidah entwand ihn ihr und kostete einen Tropfen. Der bittersüße Geschmack von Mohnsaft brannte schwach, aber dank eines langwierigen Hustens in ihrer Kindheit unverkennbar auf ihrer Zunge.

Sie blickte immer noch auf Rusa hinab und grübelte darüber nach, wo Sulayman wohl genug Opium herbekommen hatte, um eine ganze Hochzeitsgesellschaft zu betäuben, als sich plötzlich eine Hand um ihre Schulter schloss und sie herumriss. Der Mann, der sie gepackt hatte, gehörte zu Numairs Gefolgsleuten, an seinen Namen konnte sie sich nicht erinnern. Er hatte hagere, vom Licht der ersterbenden Feuer geschärfte Züge und tief in den Höhlen liegende Augen, die mit einem seinem Herrn nicht unähnlichen gierigen Blick auf ihr ruhten.

»Nimm deine schmutzigen Pfoten von mir!«, zischte sie, sich in seinem Griff windend, doch er hatte sie überrumpelt, und er war zu schwer, als dass sie ihn zu Boden hätte stoßen können.

»Im Gegensatz zu diesen Narren«, knurrte er, während sie wie ein in einem Netz gefangener Schmetterling in seinen Händen zappelte, »rühre ich Wein nie an. Er lässt sich zu leicht mit Drogen versetzen … was du ja bewiesen hast.«

»Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen?«, herrschte Khalidah ihn an. Sie hatte sich entschlossen, zum Gegenangriff überzugehen, obwohl sich bei seinen Worten eine eisige Hand um ihr Herz zu schließen schien. Es war schlimm genug, dass er sie klar und deutlich der Komplizenschaft bezichtigte, aber noch mehr Angst jagte ihr der Umstand ein, dass er es überhaupt wagte, Anschuldigungen gegen sie zu erheben. Statt sich einer Höhergestellten, die ihn mit einem knappen Befehl hinrichten lassen konnte, gegenüber ehrerbietig zu verhalten zeigte er ihr offene Verachtung - als sei sie in seinen Augen schon tot.

»Sayyida.« Er neigte spöttisch den Kopf. »Dein Vetter wäre sehr enttäuscht, wenn er herausfinden würde, dass du bei dieser Sache deine Hände im Spiel gehabt hast.« Er deutete auf die schlafenden Gäste. »Aber du musst zugeben, dass dies äußerst verdächtig wirkt. Schließlich bist du als Einzige noch wach …«

»Abgesehen von dir.«

Er betrachtete sie mit kalter Belustigung. »Seit deinem dramatischen Abgang aus dem Zelt deines Vaters habe ich den Spielmann nicht mehr gesehen.«

Wenn alles so wäre, wie es sein sollte, hätte diese Anspielung für sie eine ungeheuerliche Kränkung bedeutet und für ihn die Todesstrafe nach sich gezogen. Khalidah versuchte erneut, sich von ihm loszureißen, doch der Mann riss sie herum und schleuderte sie gegen den Pfahl, der die Stallwand trug. Sie schrie auf, aber die Nacht antwortete nur mit Schweigen.

»Wie kannst du dich erdreisten!«, fauchte sie, zwischen Wut und Angst hin- und hergerissen.

»Ich?«, lachte der Mann. »Nach dieser Szene heute Abend fragst du, wie ich mich erdreisten kann? Numair ist ein Narr. Ein anderer Mann hätte seine Frau für ein solches Betragen steinigen lassen.«

»Ich bin nicht seine Frau«, brauste sie auf. »Und werde es auch nie sein.«

Noch während sie ihm diese Worte entgegenschleuderte, wusste sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte, aber sie konnte nicht an sich halten, ihr Zorn ob seiner Unverschämtheit war zu groß. Als sie sah, wie die Bedeutung der beiden kurzen Sätze in sein Bewusstsein einsickerte, erkannte sie, dass er sie töten würde. Und dann rief jemand ihren Namen.

Sie drehte den Kopf in Richtung des Geräusches und sah Bilal. Ihr blieb kaum Zeit, um zu registrieren, dass er auf sie zurannte, denn im nächsten Moment holte ihr Widersacher mit dem Arm aus und versetzte ihm einen so wuchtigen Hieb gegen die Schläfe, dass Bilal zu Boden stürzte und regungslos liegen blieb.

»Bilal!«, schrie Khalidah erschrocken auf, aber der Mann hatte sie bereits wieder fester gepackt, und gegen seine körperliche Überlegenheit war sie machtlos. Die Zeit schien so langsam zu verstreichen wie träge über Steine fließendes Wasser, als er sein Messer aus seiner Schärpe zog. Bis auf die vor ihren Augen auf blitzende Klinge war mit einem Mal nichts mehr real. Erst als die Spitze ihre Kehle berührte, löste sich Khalidah aus ihrer Erstarrung. Sie rang sich ein Lächeln ab, schlug einen verführerischen Ton an und blickte unter ihren Wimpern hervor zu dem Mann auf. »Kann ich irgendetwas tun, damit du deine Meinung änderst?«

Er zögerte einen Moment lang überrascht; nicht lange, doch es verschaffte Khalidah die Gelegenheit, ihren Arm aus seinem Griff zu befreien und ihm das Messer zu entreißen. Mit einem tiefen Grunzen trat er gegen ihre Beine und brachte sie zu Fall. Er warf sich sofort über sie. Khalidah setzte sich erbittert zur Wehr. Es gelang ihr, das Messer von ihrem Gesicht fernzuhalten, aber sie konnte ihren Gegner nicht abschütteln.

»Wenn du mich tötest, vereitelst du Numairs sämtliche Pläne«, stieß sie verzweifelt hervor.

»Was weißt du denn davon?«, schnarrte er, aber sie hatte ihn erneut  überrumpelt. Khalidah entwand sich seinem Griff und kroch davon. Er bekam den Saum ihres Kleides zu fassen. Sie riss sich los, und als er sich vom Boden aufrappelte, versetzte sie ihm einen so kräftigen Stoß, dass er sich nicht auf den Füßen halten konnte, rammte ihr Knie auf seine Messerhand und hörte die Knochen mit einem Ekel erregenden Knirschen brechen. Der Mann brüllte vor Schmerz so laut auf, dass sie fürchtete, er würde das ganze Lager aufwecken, doch die betäubten Gestalten ringsum rührten sich nicht. Sie packte das Messer, und als er versuchte, sie abzuschütteln, stieß sie es ihm tief in den Rücken. Der Mann stöhnte auf, unternahm einen erfolglosen Versuch, mit seiner nutzlosen Hand nach der Waffe zu greifen, dann kippte er vorneüber und blieb regungslos liegen.

Khalidah sank zitternd auf die Knie. Aus irgendeinem Grund konnte sie nur daran denken, dass ihr Schal ihr während des Kampfes vom Kopf gerutscht war. Ohne ihn fühlte sich ihr Haupt seltsam leicht an. Nach einem Moment fiel ihr Bilal wieder ein. Sie drehte sich um und sah sich Sulayman gegenüber, der den Schal in den Händen hielt. In seinen Augen las sie vorsichtigen Respekt.

»Wie lange bist du schon …«, begann sie.

»Lange genug.«

»Bilal! Er …«

»… wird sich wieder erholen, allerdings ein paar Tage lang unter Kopfschmerzen leiden. Ich habe ihn schon untersucht. Er war sehr tapfer. Du übrigens auch.« Er betrachtete den Toten einen Moment lang nachdenklich, dann sagte er: »Ich kann nicht behaupten, dass es mir um ihn leidtut, aber seinetwegen haben wir jetzt noch mehr Arbeit. Wir müssen uns beeilen.«

»Was sollen wir denn mit ihm machen?« Khalidah band sich den Schal um den Kopf.

Sulayman lächelte. Er zog einen zusammengefalteten Pergamentbogen mit einem erbrochenen roten Siegel aus seinem Wams und  reichte ihn Khalidah. Sie faltete ihn auseinander und stellte fest, dass er eng beschrieben war. Wie der Rest ihres Stammes konnte auch sie nicht lesen, aber sie erkannte trotzdem, dass es sich nicht um arabische Schriftzeichen handelte.

»Ist das die Schrift der Franken?«

»Ja.« Sulayman nahm das Pergament wieder an sich.

»Kannst du sie lesen?«, fragte sie, gegen ihren Willen beeindruckt.

»Ich habe diesen Brief selbst geschrieben«, erwiderte er. Als er ihren verwirrten Blick bemerkte, faltete er den Bogen wieder zusammen, sodass die beiden Hälften des Siegels ein Bild ergaben. Es zeigte zwei gemeinsam auf einem Pferd sitzende Ritter.

»Das Templersiegel?« Khalidahs Verwirrung wuchs.

Sulayman nickte. »Dein Alibi - hoffentlich verschafft es uns einen ausreichenden Vorsprung. Viel steht nicht darin - es handelt sich angeblich um den Brief eines niederrangigen Bruders, der sich in Kerak aufhält, an den Großmeister. Er schreibt von Schwierigkeiten mit den hiesigen Stämmen und bittet um Hilfe, um sie unterwerfen zu können. Du wirst darin nicht erwähnt, aber es reicht aus - vorausgesetzt, es findet sich jemand im Lager, der den Brief lesen kann.«

»Beduinen brauchen keine geschriebene Sprache«, gab Khalidah gereizt zurück.

»Nun ja, ich wollte mich noch vergewissern, dass hier jemand des Lesens kundig ist, aber das ist jetzt nicht weiter wichtig. Wenn dein Vater das Siegel sieht, wird er annehmen, die Templer hätten ihn getötet«, er stieß den Toten mit dem Zeh an, »und dich als Geisel genommen. Mit etwas Glück bricht er dann gleich nach Kerak auf.« Wieder musterte er den Toten einen Moment lang, dann fügte er hinzu: »Leider wird er dann als Held gelten.« Er überlegte kurz, dann spielte ein Lächeln um seine Lippen. »Es sei denn, ich lasse ihn als Verschwörer erscheinen.« Er zog einen kleinen Beutel aus seiner Schärpe und schob ihn zwischen die Hände des toten Mannes.

»Was war das?«, erkundigte sich Khalidah neugierig.

»Der Rest des Opiums«, erwiderte er, zog das Messer aus dem Rücken des Toten, breitete den Brief über die Wunde und stieß das Messer durch das Pergament hindurch in das Fleisch zurück. Khalidah zuckte nicht zusammen. »Du hast anscheinend schon öfter einen Menschen getötet«, stellte er aufgrund ihrer Gelassenheit fest.

Das hatte sie zwar nicht, aber Khalidah zog es vor, ihm trotzdem nicht zu viel über ihre ungewöhnliche Erziehung zu verraten. Sie umging eine Antwort, indem sie fragte: »Was ist mit dir? Werden sie dich nicht für einen Verräter halten, wenn du plötzlich verschwunden bist?«

»Das ist doch egal«, erwiderte er achselzuckend. Khalidah beschlich das unbehagliche Gefühl, dass das ganz und gar nicht egal war, aber im Moment konnte sie an den Umständen nichts ändern, also schwieg sie. »Wir müssen jetzt aufbrechen«, fuhr er fort. »Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren.«

Khalidah nickte und wandte sich zum Stall. Und richtig, dort stand Zahirah zusammen mit den Lieblingspferden ihres Vaters, sah sie aus großen, sanften Augen an und stellte die Ohren auf. Khalidah griff nach dem erstbesten Sattel, der ihr in die Hände fiel, und legte ihn der Stute auf. Zahirah stand lammfromm da, während sie den Gurt festzog und ihr Halfter und Zügel anlegte, doch unter dieser Ruhe konnte sie die kraftvolle Energie des Tieres spüren. Als sie fertig war, blickte sie auf und sah, dass Sulayman Numairs Pferd, eine graue Stute namens Asifa, für sich gesattelt hatte, die im Gegensatz zu Zahirah nervös tänzelte, den Kopf hochwarf und die Augen rollte, bis der weiße Rand zu sehen war.

»Bist du sicher, dass du mit ihr zurechtkommst?«, fragte Khalidah. »Sie scheint mir ziemlich schwierig zu sein.«

»Ein Pferd ist nur dann schwierig, wenn sein Reiter nicht mit ihm umzugehen versteht.« Sulayman legte der Stute eine Hand auf den  Hals, woraufhin sie etwas ruhiger wurde, aber immer noch vor Furcht zitterte.

»Du hasst ihn«, stellte Khalidah sachlich fest, als sie ihm einen Wasserschlauch und mehrere Päckchen mit Datteln, harten Weizenkuchen und getrockneter Kamelmilch reichte.

Sulaymans Gesicht verhärtete sich, während er den Proviant in den Satteltaschen verstaute. »Hass ist eine primitive Empfindung, aber etwas Besseres hat ein Mann, der die Frauen seiner Gefolgsleute schändet und sie dann wegen Ehebruch steinigen lässt, meiner Meinung nach nicht verdient.«

Khalidah sah ihn entsetzt an, dann senkte sie den Blick. Schweigend fuhren sie fort, die Pferde zu satteln und dann ins Freie zu führen.

»Bist du bereit?«, fragte Sulayman endlich.

Khalidah nickte und schwang sich in Zahirahs Sattel. Die rote Stute begann jetzt genauso zu tänzeln wie die graue. Khalidah sah sich ein letztes Mal in dem schlafenden Lager um, dann stieß sie Zahirah leicht die Fersen in die Flanken. Das Pferd schnellte davon wie ein Pfeil von der Sehne und gewann noch an Geschwindigkeit, als sie ebenes Gelände erreichten, doch Khalidah hielt sie zurück und spähte über ihre Schulter. Asifa war dicht hinter ihnen, warf schnaubend den Kopf hoch und setzte sich gegen die Zügel zur Wehr. Khalidah wandte sich wieder zu der sich vor ihr erstreckenden endlosen welligen Wüste und gab ihrer Stute den Kopf frei. Zahirah blickte sich um, wie um sich ihre Erlaubnis einzuholen, und galoppierte dann über den Sand hinweg auf den sternenübersäten Horizont zu. Die sturmgraue Stute tat es ihr nach.

Im Schatten am Rand des Lagers verborgen starrte Bilal ihnen nach.

 

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