Dungeness ist ein eigentümlicher britischer Landstrich: Er sieht so aus, als gäbe es dort nahezu nichts. Es handelt sich um ein riesiges Gebiet voller Kieselstrände, über das salzige Seewinde hinwegfegen. Und doch verfügt dieses nationale Naturschutzgebiet über ein sehr trockenes Mikroklima. Hier finden Sie zahlreiche Lebensformen, darunter auch die größten medizinischen Blutegel Großbritanniens.
Dieser menschenleere Landstrich kann aber auch mit einigen nicht lebenden Attraktionen aufwarten: es gibt zwei Atomkraftwerke, zwei Leuchttürme, eine Seenot-Rettungsstation und einen militärischen Schießplatz. Doch die faszinierendste Sehenswürdigkeit von allen sind drei hohlspiegelförmige Gebilde, bei denen es sich um Mikrofone handelt. Sie wurden in den 1920ern und 1930ern als einfaches System zur Frühwarnung vor Luftangriffen vom englischen Kanal her gebaut.
Die einsame Gegend wurde als Standort für die Mikrofone gewählt, da es nur wenig Störgeräusche gab und die seewärts gerichteten Hohlspiegel ohne Störungen auf mögliche Angriffe lauschen konnten. Hohlspiegelmikrofone wurden auch an anderen Orten Großbritanniens gebaut, aber die drei Hohlspiegel bei Dungeness sind gut erhalten und weisen drei verschiedene Formen auf: es handelt sich um zwei Schüsseln und eine 60 Meter lange gebogene Wand.
Die Hohlspiegelmikrofone wurden als Reaktion auf die Bombardierung Großbritanniens während des ersten Weltkriegs gebaut, als Deutschland Zeppelin-Luftschiffe und konventionelle Flugzeuge einsetzte, um verschiedene britische Städte zu bombardieren. Die Mikrofone waren so konstruiert, dass sie anfliegende feindliche Flugzeuge anhand ihrer Motorgeräusche erkennen konnten.
Das Radar war noch nicht erfunden und die Frühwarnung erfolgte zunächst über Menschen, die nach Flugzeugen lauschten, die sich der Küste näherten. Doch wenn ein Flugzeug für das menschliche Ohr hörbar wurde, war es schon zu spät für eine rechtzeitige Warnung. Als Lösung für dieses Problem wurden Hohlspiegelmikrofone aus Beton erreichtet, da mit ihrer Hilfe Flugzeuge über längere Distanzen erkannt werden konnten und auch eine ungefähre Richtung auszumachen war. Wenn Flugzeuge erkannt wurden, konnten die Frühwarnstationen die Ziele per Telefon warnen.
Der erste Hohlspiegel (der mittlere in der Abbildung 67.1) wurde 1928 gebaut. Er maß 6 Meter im Durchmesser. Die Verwendung erfolgte durch entsprechende Personen, die sich vor dem Hohlspiegelmikrofon aufstellten und mithilfe eines großen Stethoskops auf Flugzeuggeräusche lauschten. Das Stethoskop wurde dann bewegt, um den lautesten Ton zu finden. Dann konnte man Die Richtung mittels einer Skala auf dem Hohlspiegel selbst ablesen.
Abbildung 67.1 Hohlspiegelmikrofone in Dungeness; zur Verfügung gestellt von Dauvit Alexander (the justified sinner)
Der zweite Hohlspiegel hat einen Durchmesser von 9 Metern und ist auf den Himmel gerichtet. Das Bedienpersonal für diese Schüssel war nun nicht mehr stundenlang den Elementen ausgesetzt, sondern saß in einer speziellen Kabine. Es musste immer noch das Stethoskop bewegen, um die Geräusche und deren Richtung aufzuspüren, nutzte aber eine Kombination aus Hebeln und Fußpedalen zur horizontalen und vertikalen Bewegung.
Bei der großen Hohlspiegelwand wurde kein Stethoskop genutzt, sondern 20 fest installierte Mikrofone vor der Wand, deren Signale an das Bedienpersonal weitergegeben wurden. Die kleinen Spiegel konnten Töne um 370 Hz effektiv erkennen, und die große Spiegelwand wurde konstruiert, um die für Flugzeuge typischen Töne mit niedriger Frequenz und langer Wellenlänge einzufangen.
Wurden diese Fähigkeiten miteinander kombiniert, dann gab die Hohlspiegelwand die Richtung anfliegender Flugzeuge aus großer Entfernung vor, und die Schüsseln konnten dann genutzt werden, um genauere Ortsangaben zu machen, sobald die genaue Richtung bekannt war.
Allerdings wurden die Spiegel im Kriegsfall niemals eingesetzt, da sie von zwei Erfindungen überholt wurden: schnelleren Flugzeugen (bei denen die durch die Hohlspiegelmikrofone mögliche Frühwarnung viel zu kurz waren) und Radar (das Flugzeuge aus viel größeren Entfernungen wesentlich genauer erkennen konnte, als dies mittels auf Motorengeräusche lauschender Hohlspiegelmikrofone möglich war).
Allgemeine Informationen zum Naturpark finden Sie unter http://www.dungeness-nnr.co.uk/. Ein Buch mit dem Titel Echoes from the Sky, das von Richard Scarth verfasst wurde, beschreibt die Geschichte der Schüsseln. Das Buch ist leider vergriffen, aber Dr. Scarth selbst bietet geführte Touren zu den Spiegeln an. Details finden Sie unter http://www.rmcp.co.uk/. Diese Tour ist die beste Möglichkeit, die Schüsseln zu besichtigen, und die einzige Gelegenheit, sie wirklich ganz aus der Nähe zu sehen.
Wenn Sie mit dem Auto kommen, fahren Sie nicht direkt nach Dungeness – die Hohlspiegelmikrofone befinden sich 5 Kilometer nördlich.



