In der Geschichte des Raketenantriebs ziehen Orte wie das Kennedy Space Center (Kapitel 94) oder die White Sands Missile Range (Kapitel 106) die ganze Aufmerksamkeit auf sich, doch die Wurzeln der Raketenforschung finden Sie in einem Ort drei Stunden nördlich von Berlin, nämlich in Peenemünde, an der deutschen Küste. Es war im Zweiten Weltkrieg in Peenemünde, als Wernher von Braun und andere daran arbeiteten, raketengetriebene Waffen zu perfektionieren, und schließlich die erste Rakete ins All schossen.
Zwei wichtige Waffen kamen aus Peenemünde: die Fieseler Fi 103 (besser bekannt als die V-1) und die A-4 (besser bekannt als V-2).
Die V-1 war eine vergleichweise einfache Rakete, die von einem schrägen, durch Dampf angetriebenen Werfer abgeschossen wurde. Sie bestand aus einem Strahltriebwerk (siehe Kasten) und einem einfachen Leitsystem, das die V-1 bis kurz vor das Ziel steuerte. Die Distanz zum Ziel wurde durch ein Anemometer in der Raketenspitze berechnet, das wiederum einen Zähler steuerte, der auf Null zurückzählte. Der Zähler wurde so eingestellt, dass er die Null kurz vor dem Ziel erreichte, wobei der Wind und die Geschwindigkeit der Waffe berücksichtigt wurden. Sobald der Zähler die Null erreichte, blockierte die Steuerung, wodurch die Maschine in einen Sturzflug überging und einschlug. Da der Antrieb der V-1 sehr laut war, war die dann plötzlich eintretende Stille für die Angegriffenen ein Warnsignal dafür, dass eine Explosion kurz bevorstand.
Doch wirklich interessant war für die sowjetischen und alliierten Kräfte, die nach dem Krieg technologische Beute suchten, das Team, das die V-2 entwickelt hatte. Die V-2-Rakete erreichte im Oktober 1942 als erste das All (mit einer Höhe von über 80 Kilometern). Raketen dieses Typs wurden zu tausenden hergestellt und auf Großbritannien, Holland, Frankreich und Belgien abgeschossen.
Beim Raketenantrieb der V-2 wurden Alkohol und flüssiger Sauerstoff gemischt, um Schub zu erzeugen. Außerdem wurde ein ausgereiftes Leitsystem eingesetzt, das bei einigen späten Modellen mit Funksignalen arbeitete, um die Rakete ins Ziel zu lenken.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ergaben sich Wernher von Braun und sein Team von über 100 Mitarbeitern der US-Armee und wurden zusammen mit Tonnen von Ausrüstung und Raketen in die USA gebracht. Das Team wurde in der White Sands Missile Range untergebracht und entwickelte dort die V-2 weiter. Dann folgte ein Umzug nach Huntsville, Alabama, wo dann die Saturn V entwickelt wurde, die Neil Armstrong und Buzz Aldrin auf den Mond brachte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Peenemünde Teil der Deutschen Demokratischen Republik und stand damit unter dem Einfluss der Sowjetunion. Die Sowjetarmee zerstörte einen Großteil der Einrichtungen. Nach der Wiedervereinigung im Jahre 1990 erhielten die entsprechenden Wirkungsstätten in Peenemünde Denkmalcharakter oder wurden zu Museen ausgebaut. Hier werden die durchgeführten Arbeiten gewürdigt, es wird aber auch der Zwangsarbeiter gedacht, die hier bei der Produktion von V-1- und V-2-Raketen starben.
Heute gibt es in diesem Ort ein Museum mit Schwerpunkt auf den Forschungsaktivitäten, den Waffen sowie den freiwillig und unfreiwillig Mitwirkenden. Darüber hinaus demonstriert das Museum Peenemündes Bedeutung für die Raketentechnik und den zivilen Weltraumflug nach dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt Kopien der V-1 und V-2 und Teile der Originalausrüstung, die die sowjetische Zerstörung des Areals überstanden haben.
Nur wenige Gebäude sind erhalten. Eines ist ein Kraftwerk aus der Nazizeit, das noch bis 1990 genutzt wurde. Darin ist heute das Museum beheimatet. Das andere Gebäude ist die Fabrik, in der flüssiger Sauerstoff hergestellt wurde. Der Zugang ist allerdings aufgrund des schlechten baulichen Zustands verboten.
Um ein Gefühl für die Größe der Anlage zu entwickeln, können Sie einem Weg folgen, der auf 22 Kilometern an einigen Resten der umfangreichen Forschungs- und Testeinrichtungen vorbeiführt, die in den 1940ern gebaut wurden. Weil die Royal Air Force Peenemünde im größten Luftkampf des Zweiten Weltkriegs bombardierte, sollten Sie keinesfalls vom Weg abweichen, da Sie auf Blindgänger stoßen könnten. Ebenfalls abseits des Weges liegt Teststand VII, wo die V-2-Raketen getestet wurden. Nur Törichte ignorieren die Warnhinweise und sehen sich die Stelle an, an der Wernher von Braun das Wettrennen in den Weltraum begann.
Informationen zum Peenemünder Informationszentrum finden Sie unter http://www.peenemuende.de/.



