51° 59′ 54.6″ N, 0° 44′ 36.6″ W
Das British National Museum of Computing hat es schwer, mit dem Computer History Museum in den USA (Kapitel 86) mitzuhalten, da die Geschichte der Computer größtenteils von US-Unternehmen geschrieben wurde. Dennoch hat auch Großbritannien in der frühen Computergeschichte eine bedeutende Rolle gespielt (nicht zuletzt wegen des Einflusses des größten Computerwissenschaftlers von allen, Alan Turing; siehe Kapitel 66).
Der Star der Museumsausstellung ist der rekonstruierte Colossus-Computer, der im zweiten Weltkrieg entwickelt und eingesetzt wurde. Colossus nutzte als einer der ersten Computer Vakuumröhren (anstelle mechanischer Relais), war also bereits ein elektronischer Computer. Wie moderne Computer verwendete er das Binärsystem (siehe Kasten) und war programmierbar – wenn auch nur für die begrenzte Aufgabe, die Lorenz-Chiffre zu knacken.
Die Maschine las eine abgefangene Nachricht von einem sich schnell drehenden Papierband ein und berechnete dann die Einstelllungen der Lorenz-Maschine, die zur Übertragung der Nachricht verwendet wurde. Die Lorenz-Chiffre basierte, im Gegensatz zur Enigma, auf dem Binärsystem. Jeder zu übertragende Buchstabe wurde zuerst in eine aus fünf Bits (0 oder 1) bestehende Zahl umgewandelt. Dieser Buchstabe basierte auf dem Standard Baudot-Code, der zur Telegraphie verwendet wurde. Der Buchstabe A konnte als 00011 übertragen werden, B als 11001, C als irgendeine andere Kombination aus 1 und 0, und so weiter.
Die Lorenz-Maschine erzeugte scheinbar zufällige 5-Bit-Gruppen mit einem neuen Muster für jeden übertragenen Buchstaben. Tatsächlich aber produzierte die Maschine keine zufälligen Muster, sondern folgte einer schwer zu entschlüsselnden Sequenz, die auf den Einstellungen der Maschine basierte.
Für jeden zu übertragenden Buchstaben wurden dessen 5 Bits mit den nächsten 5 Bits von der Lorenz-Maschine über eine XOR-Operation (dem sogenannten Exklusiv-ODER) verknüpft. Das XOR arbeitet Bit für Bit, d.h. es nimmt das erste Bit des Buchstabens und das erste Bit der Lorenz-Chiffre und kombiniert sie zu einem neuen ersten Bit. Dann nimmt es sich das zweite Bit des Buchstabens und der Lorenz-Chiffre vor, und so weiter (siehe Abbildung 58.1).
Die XOR-Operation funktioniert folgendermaßen: Sind die Bits gleich (entweder zwei Einsen oder zwei Nullen), dann ist das Ergebnis 0, doch bei unterschiedlichen Bits (eines ist 1 und das andere 0) ist das Ergebnis 1. Eine nette Eigenschaft der XOR-Operation besteht darin, dass wenn sie zweimal mit der gleichen Lorenz-Chiffre verwendet wird, man wieder den Originalbuchstaben erhält. Da sowohl bei der sendenden als auch der empfangenden Lorenz-Maschine die gleichen Einstellungen zum Einsatz kamen, erzeugten sie die gleichen Folgen scheinbar zufälliger Bits.
Für den von den Nazis übertragenen Binärcode bauten die Code-Knacker in Bletchley einen Binärcomputer, der die Entschlüsselung übernahm. Die originalen Colossus-Computer wurden zusammen mit allen Plänen zerstört, d. h. einer Anweisung Churchills gemäß in Stücke »nicht größer als eine Faust« zerlegt. Nach mühevoller Arbeit mit noch erhaltenen Plänen und den Erinnerungen derjenigen, die die Maschinen gebaut hatten, steht nun ein rekonstruierter Colossus in Bletchley und knackt wieder Chiffren.
Im Museum sind neben dem Colossus auch Ausstellungstücke des vordigitalen Zeitalters zu sehen, zum Beispiel Personal Computer, Luftfahrtsysteme und die Anfänge des elektronischen Büros mit massiven Mainframe-Computern. Ziel ist es, funktionierende Maschinen zu zeigen und deren Bedeutung zu erklären.
Ein echtes Erlebnis sind die Abendveranstaltungen mit den Erläuterungen zur Funktionsweise von Colossus. Dabei wird auch praktisch demonstriert, wie dieser die Lorenz-Chiffre knackt.
Das National Museum of Computing ist Teil von Bletchley Park (siehe Kapitel 40), besitzt aber eine eigene Website unter http://www.tnmoc.org/.




