58.

KC fand Cindy in einem kleinen, kalten Vorraum, der vom Hauptkorridor abging. Sie lag auf dem Fußboden. Ihre Hand war mit einem blutdurchtränkten Lappen umwickelt. Mit glasigen Augen starrte sie an die Wand. Ihr Körper befand sich im Schockzustand und zitterte.

»Cindy«, flüsterte KC, hockte sich neben sie und strich ihr mit der Hand über die Stirn und durch das kastanienbraune Haar, als wäre sie ein kleines Mädchen.

Langsam wandte Cindy ihr den Kopf zu. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie begriff, dass sie ihre Schwester vor sich hatte.

Cindy umklammerte KCs Hand noch fester. »Er ist mein Vater. Wie konnte er da …?«

KC wusste nicht, was sie sagen sollte. Wie sollte sie auf die Enttäuschung reagieren, die in der Stimme ihrer Schwester mitschwang?

»Es tut mir leid«, flüsterte Cindy.

»Nein, mir tut es leid«, erwiderte KC leise.

Plötzlich schossen Cindy Tränen in die Augen. »Er hat mich hier zurückgelassen, KC. Damit ich hier sterbe. Unser eigener Vater.«

»Ich schaffe dich hier raus.«

»Nein.« Cindy schüttelte den Kopf. »Du musst Michael finden. Sie werden ihn töten.«

»Ich schaffe dich hier raus«, wiederholte KC und blickte dabei auf Cindy, auf das viele Blut, das sie verloren hatte, und auf ihre blasse Haut.

»Es tut mir leid, dass ich dich verurteilt habe für das, was du getan hast, um für mich zu sorgen.« Cindys Stimme war schwach. »Du hast alles für mich aufgegeben. Gib Michael nicht auch noch auf.«

»Pssst«, entgegnete KC, um sie zu beruhigen, so wie sie es früher auch immer getan hatte, als sie beide noch jünger gewesen waren, damals, als das Leben ihnen die Mutter entrissen hatte und sie plötzlich ganz allein gewesen waren. KC nahm Cindy fest in die Arme, und erst da sah sie die Wunde in Cindys Bauch. Sie starb nicht am Blutverlust, den sie wegen der abgeschnittenen Finger erlitten hatte, sondern an inneren Verletzungen.

In KCs Armen verlor Cindy das Bewusstsein. KC drückte sie nur noch fester an sich, wiegte sie, beruhigte sie. Verzweiflung erfasste sie. Jetzt stand sie kurz davor, alles zu verlieren: Cindy, Michael …

»He.«

KC drehte sich um und sah Busch im Türrahmen stehen. Als er Cindy erblickte, nahm sein Gesicht mitleidige Züge an. Er kam herein und kniete sich neben KC.

»Ich werde Michael holen«, flüsterte Busch.

»Nein«, sagte KC vehement. »Das kann ich selbst.«

»Das lasse ich nicht zu. Du musst dich um deine Schwester kümmern.«

»Ich kann nichts für sie tun.« KCs Stimme bebte, und sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. »Iblis wird dich töten, sobald er dich sieht. Ich kann an ihn ran, Paul.« Mit flehendem Blick sah KC ihn an. »Ich muss es tun.«

»Alleine schaffst du es nicht.«

»Kümmere du dich um Cindy«, bat KC.

Busch atmete tief ein. Es dauerte eine ganze Weile, bis er die Luft wieder ausstieß. Dann hob er Cindy behutsam aus KCs Armen und erhob sich. Dabei blickte er hinunter auf die regungslose Cindy, deren Gesicht an das eines Kindes erinnerte. Schließlich blickte er KC wieder an. »Du holst ihn da raus, und dann kommst du wieder hierher zurück, oder ich komme dir hinterher. Verstanden?«

»Danke, Paul.« KC küsste ihre Schwester auf die Stirn und rannte aus der Tür.