15.

Michael, Busch und KC waren wieder in Michaels Hotelsuite. Überall auf dem Fußboden standen Tabletts mit Speisen. Sie gingen Simons voluminösen Dokumentenstapel durch, in dem es um den Topkapi-Palast, die Hagia Sophia und den mysteriösen Stab von Selim II. ging.

Busch hatte bereits drei Hamburger vertilgt, denn er hatte beschlossen, die lokalen Köstlichkeiten wie Schafskäse und gewürztes Lamm zu meiden.

»KC«, sagte Michael, »ich weiß, dass man uns aufgefordert hat, die Finger von der Karte zu lassen, aber du hast mir immer noch nicht erzählt, was du darüber weißt. Wenn wir Cindy zurückbekommen und Simon rechtzeitig finden wollen, musst du mir alles erzählen.«

KC nickte. Michael konnte den Schmerz in ihren Augen sehen, denn es bereitete ihr Mühe, sich zu konzentrieren. Doch sie nahm sich zusammen, trank einen Schluck aus der Wasserflasche, band sich ihr langes blondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und wandte sich Michael und Busch zu.

»Die ersten Landkarten waren keine Karten von Städten oder Staaten, sondern von Himmeln«, sagte KC. »Karten von den Sternen, die man an den Wänden der Höhle von Lascaux im Süden Frankreichs gefunden hat. Der Mensch hat immer nach Orientierungshilfen gesucht, ob nun durch Worte oder durch Karten. Einige betrachten die Bibel als eine Art Landkarte, die den Menschen in den Himmel führen wird. Gleiches gilt für den Koran und die Torah. Für manche sind sie spirituelle Landkarten für die Seele.

Bis zum heutigen Tag sind Karten die am häufigsten plagiierten Dokumente auf Erden, da es eine verbreitete Gewohnheit ist, Informationen von älteren Karten abzupausen. Wenn Piraten früher ein Schiff kaperten, suchten sie zuerst nach Karten, denn sie waren von viel größerem Wert als ein Schatz oder Gold, denn Karten konnten sie in bislang unbekannte Teile der Welt führen und sie zu den Herrschern der Meere machen.

Landkarten waren immer das Erste, was gehandelt wurde, wenn Schiffe in einen Hafen einliefen. Für Land- und Seekarten wurden Höchstpreise gezahlt, da sie Aufschluss gaben über die Geheimnisse der Meere – nicht nur über Ziele, auch über die geographische Lage tödlicher Korallenriffe, Unterwasserfelsen, die den Schiffsrumpf zerschmettern konnten, und gefährlicher Untiefen und Uferstreifen.

Die Karte des Piri Reis basiert auf zahllosen älteren Karten. Kemal Reis, Piris Onkel, war ein Korsar. Man geht davon aus, dass viele der Informationen, die in der Karte seines Neffen enthalten sind, von den Land- und Seekarten stammen, die er geraubt hat, während er die Ozeane umsegelte.«

»Geraubt?«, fragte Busch. »Was für ein Typ war er denn? So einer wie Errol Flynn?«

»Korsaren waren Piraten, und die haben geplündert«, erwiderte KC, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.

»Ich dachte, ›Reis‹ bedeutet ›Admiral‹.«

»Kannst du dir für deine Flotte einen besseren Admiral wünschen als einen Mann, der die Meere kennt wie seine Westentasche? Das Osmanische Reich und viele andere Länder – Spanien, England, Frankreich – erlaubte Korsaren, im Namen der Krone als Freibeuter zu segeln, die einen Großteil ihrer Beute behalten durften, weil sie die Versorgungswege der Feinde störten.

Da Kemal ein sehr erfolgreicher Korsar war, erbeutete er viele Seekarten. Aus diesen und anderen Karten, die sich in Piris Besitz befanden – einige stammten aus der Bibliothek von Alexandria, andere aus der Byzantinischen Bibliothek –, stellte er seine eigene Karte zusammen. Die Sache ist nur, dass die Karte des Piri Reis, die im Topkapi-Palast ausgestellt ist und die man 1929 auf dem Palastgelände wiedergefunden hat, lediglich ein Teil der echten Piri-Reis-Karte ist. Ungefähr die Hälfte.«

»Und?«, fragte Busch.

»Er hat seine Karte mit sehr viel Mühe und Liebe angefertigt, und er hat sie nicht für Geld gezeichnet, oder weil man ihn dazu angestellt oder der Sultan es ihm befohlen hatte, sondern aus purer Leidenschaft. Er hat sie aus neuen, alten und historischen Karten zusammengestellt – manche behaupten, sogar aus Karten, um die sich Mythen rankten. Er hat seine Karte – die vollständigste ihrer Zeit – auf eine große Gazellenhaut gezeichnet. Mehr als hundert Jahre später gab es noch immer nichts Gleichwertiges. Er hat nicht nur die Gebirgszüge der Anden und des Himalaja dargestellt, sondern auch die größten Flüsse der Welt, und er hat das gesamte Dokument mit teilweise historischen, teilweise sagenhaften Vermerken versehen. Es gab Darstellungen von Heiligen Stätten und von Orten der Finsternis, von Tieren aus der Mythenwelt, von Kulturvölkern und Wilden. Es war ein Meisterwerk von historischer Bedeutung.

Dann aber wurde ihm bewusst, dass seine Karte den Weg zu den bislang unerforschten Meeren und Flüssen öffnen würde, sodass man Dinge entdecken würde, die isoliert lebende Kulturen vor fremden Eroberern als Heiligtümer verborgen hatten. Daraufhin zerriss Piri die Karte in zwei Teile. Den westlichen Teil schenkte er 1517 Sultan Süleyman I. Obwohl dieser Teil in der Mitte Afrikas endete – von der östlichen Hälfte behauptete man, sie sei zerstört worden –, galt die Karte als unvergleichliches Geschenk und wurde als ein sichtbares Zeichen für die Vorherrschaft des Osmanischen Reiches betrachtet, sowohl zu Land als auch auf den Weltmeeren.

Piri behielt die andere Hälfte. Je älter er wurde, desto größer wurde seine Furcht, die Karte könne in die falschen Hände fallen. Deshalb gab er den östlichen Teil, den asiatischen Teil, seinem Freund, dem Großwesir Mehmet, zur Aufbewahrung.

Wie ich Michael bereits erzählt habe, waren die meisten Menschen, die im Harem lebten, und viele der Wesire des Sultans ursprünglich als Gefangene oder als Sklaven aus christlichen Ländern nach Konstantinopel gekommen. Bei ihrer Ankunft im Palast wurden sie gezwungen, zum Islam überzutreten. Obwohl alle den Koran studierten und an den Gebeten teilnahmen, hieß das noch lange nicht, dass sie die religiösen Überzeugungen aufgaben, die sie in ihren Herzen trugen. Stellt euch vor, ihr würdet gefangen genommen und gezwungen, zu einer fremden Religion zu konvertieren. Würdet ihr das bereitwillig tun, den neuen Glauben mit Freuden akzeptieren und alles aufgeben, was ihr jemals gelernt habt?

So entwickelte sich eine geheime Solidarität zwischen christlichen Eunuchen, Konkubinen und Wesiren. Der oberste schwarze Palasteunuch, ein Kızlar Agˇası namens Attawa, ließ mit Hilfe von Mehmet im Keller des Harems eine Kapelle errichten, die man durch die geheimen Tunnel und Gänge der Eunuchen erreichte, die in den Palast hinein- und herausführten. Es war eine Täuschung, die man mit dem Tod bestraft hätte, wäre sie herausgekommen, doch für die wahren Anhänger ihres Glaubens war es das Risiko wert.

Die Kapelle war klein und hatte einen Altar, der die Bedürfnisse der Christen und Juden stillte, die man nicht nur aus ihren Familien und ihrer Heimat gerissen hatte, sondern auch aus ihrem Glauben. Sie lag versteckt am Rand einer Zisterne, die sich unter dem zweiten und dritten Innenhof des Topkapi-Palasts befand, einem Relikt aus den Byzantinischen Zeiten.

Nach dem Tod von Sultan Selim II. mussten Entscheidungen getroffen werden. Mehmet wurde älter, und beim obersten Palasteunuchen kam es früher oder später zu einem Machtwechsel. Also beschlossen Mehmet und Attawa, dass es Zeit sei, ihre Kapelle zu schließen und sie spurlos verschwinden zu lassen. Und gab es einen besseren Ort, um etwas zu verstecken, als einen Raum, der nicht mehr existiert?«

»Warum hat Piri denn sein Meisterwerk zerrissen?«, fragte Busch.

»Ich habe keine Ahnung. Doch was immer der Grund war – es hat Simon in Angst und Schrecken versetzt. Und ich hatte zuvor noch nie erlebt, dass Simon sich vor etwas gefürchtet hat.«

»Um ehrlich zu sein«, warf Michael ein, »interessiert es mich nicht, warum die Karte in zwei Teile gerissen wurde oder wohin sie führt. Sie ist das beste Druckmittel für unsere Verhandlungen, um deine Schwester und Simon zurückzubekommen.«

»So sehr ich da auch mit dir übereinstimme, Michael – Iblis ist mehr als gefährlich.«

»Sind wir das etwa nicht?«, fragte Busch.

KC überlegte einen Moment. »Nicht so wie er.«

Michael schaute KC an. Als er den Ausdruck in ihren Augen sah, erblickte er darin eine panische Angst vor diesem Mann, vor diesem Lehrmeister, der sie in den geheimen Künsten unterwiesen und sie auf niederträchtige Weise betrogen hatte. Er sah den Schmerz, den sie wegen ihrer entführten Schwester empfand, die Angst um deren Leben.

»KC«, sagte Michael leise, »er glaubt, du wärst allein. Er hat nicht die geringste Vorstellung, wer ich bin und wer Busch ist. Er ahnt nicht, dass ich ihm die Karte unter der Nase wegstehlen könnte.«

»Wenn wir die Karte stehlen, wird er meine Schwester töten«, wandte KC ein.

»Denk genau nach, KC. Gibt es diese Karte nur einmal? Gibt es keine Kopien?«

KC schüttelte den Kopf. »Simon hat gesagt, es gäbe nur diese eine.«

»Dann müssen wir sie uns beschaffen, bevor Iblis es tut. Die Karte ist alles, was du hast. Sie ist dein einziges Druckmittel. Sie werden das Risiko nicht eingehen, sie zu verlieren. Ich verspreche dir, Cindy wird nicht sterben, wenn du die Karte hast. Deshalb dürfen wir keine Zeit verlieren. Wenn er ein so guter Dieb ist, wie du behauptest, hat er bereits alles geplant. Und wenn dem so ist, muss ich an die Karte herankommen, bevor er sie in die Finger kriegt.«

»Was willst du damit sagen?«

»Ich werde die Karte stehlen«, erwiderte Michael.

»Wieso wusste ich, dass du das sagen würdest?« Busch lehnte sich zurück.

»Das kann ich nicht zulassen«, sagte KC.

»Doch. Nur musst du zur gleichen Zeit den Stab holen. Allein. Kannst du das?«

»Du hast keine Vorstellung, was er meiner Schwester antun wird. Er wird sie foltern …«

Michael hob beide Hände.

»So hart es klingt, aber ich muss dich bitten, jetzt nicht weiter an deine Schwester zu denken. Das Gleiche gilt für Simon. Sie sind am Leben. Wenn wir uns den Kopf über die beiden zermartern, können wir uns nicht konzentrieren und gehen alle drauf.«

KC atmete tief durch und nickte. »Gut, aber ich sage, wo es langgeht.«

»Auf gar keinen Fall.«

»Es geht um meine Schwester!«

»Das stimmt«, erwiderte Michael. »Deshalb habe ich den klareren Kopf.«

»Du bist schon viel zu lange aus dem Geschäft«, wandte KC ein.

»Das stimmt nicht so ganz«, mischte Busch sich ein.

»Ich dachte, Michael hätte vor Jahren Schluss damit gemacht.«

»Hat er das gesagt?« Busch hatte Mühe, nicht zu lachen.

»Wir werden als Team arbeiten«, sagte Michael. »Du holst den Stab, ich die Karte. Wir müssen das aber schnell auf die Reihe bekommen, innerhalb von höchstens sechzig Stunden, und wir müssen beide Diebstähle zur gleichen Zeit begehen.«

»Und wenn einer von euch geschnappt wird?«, warf Busch ein.

»Das passiert nicht«, erwiderten Michael und KC wie aus einem Mund.

»Großartig«, meinte Busch. »Ihr zwei gebt sogar die gleichen Antworten.«

»Wenn Iblis von dir erwartet, KC, dass du den Stab innerhalb von drei Tagen stiehlst, wird er sich die Karte vorher holen«, sagte Michael.

»Woher willst du das wissen?«

»Sobald du den Stab gestohlen hast, werden die Sicherheitsvorkehrungen dermaßen verschärft, dass es alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Erzähl mir über Iblis. Was für ein Dieb ist er?«

»Er hat keinerlei Bedenken, dir ein Messer in den Nacken zu stoßen und zuzuschauen, wie du ausblutest.«

»Das ist ja schon mal beruhigend«, meinte Busch.

»Außerdem ist er extrem misstrauisch. Ich gehe jede Wette ein, dass er in diesem Moment dieses Hotel hier beobachtet«, fuhr KC fort.

»Dann müssen wir ihm morgen früh den Eindruck vermitteln, dass ich das Land verlasse.« Michael wandte sich an Busch. »Du musst uns ein anderes Hotel suchen. Es muss so aussehen, als wäre KC allein.«

KC stand auf. »Simon ist der Einzige, der die Hagia Sophia wirklich kennt.«

»Wir kriegen das auch so hin.« Michael blickte in KCs grüne Augen. »Ich verspreche es dir.«

Busch blätterte durch den Stapel Papiere, der vor ihm lag, und förderte eine Karte der ehemaligen Moschee zutage. Er hielt KC den Grundriss hin, doch schüttelte sie den Kopf, schaute auf die Armbanduhr und ging zur Tür. »Es ist schon halb vier, und aufs Lesen habe ich eh keinen Bock mehr.«

»Willst du in die Hagia Sophia?«

»Wohin sonst?«, sagte KC.

»Ich treffe dich in fünf Minuten unten in der Halle. Wir können zu Fuß gehen.«

»Ich dachte, Iblis würde das Hotel bewachen«, gab Busch zu bedenken.

»Ich hoffe es«, gab Michael zur Antwort. »Wenn er mitbekommt, dass wir beide einen Spaziergang zur Hagia Sophia machen, ist das ein Vorteil für uns. Er wird denken, dass KC sich ein Bild von der Lage machen will.«

»Aber genau das will sie doch«, entgegnete Busch.

»Deshalb wird er annehmen, dass sie sich von seiner kostbaren Karte fernhält und seine Anweisungen befolgt.«

»Fünf Minuten«, wiederholte KC und öffnete die Tür. Ohne die Männer noch einmal anzusehen, verließ sie das Zimmer.

Kaum dass die Tür ins Schloss gefallen war, starrte Busch Michael an. Michael kannte diesen Blick. Es war der klassische Busch-Blick, der verärgerte Enttäuschung vermittelte – ein Blick, den Michael zum ersten Mal gesehen hatte, als Busch sein Bewährungshelfer gewesen war; genau der Blick, mit dem er Michael bedacht hatte, als er herausfand, dass Michael gegen die Bewährungsauflagen verstoßen und damit sein Versprechen gebrochen hatte.

»Verdammt, hier geht es um Simon!« Michael konnte sich kaum noch beherrschen.

»Ich weiß«, erwiderte Busch zornig »Er ist auch mein Freund. Aber er spielt ständig mit dem Feuer. Willst du jedes Mal seinen Hintern retten? Du hast ihm erst vor vierundzwanzig Stunden das Leben gerettet. Jetzt steckt er schon wieder in Schwierigkeiten. Und ich weiß, worauf das Ganze hinausläuft: Du wirst dabei auf der Strecke bleiben!«

»Wenn wir Simon nicht helfen, wird er sterben. Und was ist mit KCs Schwester? Hast du die schon vergessen? Sie hat mit der ganzen Sache nichts zu tun, aber auch ihr Leben steht auf dem Spiel. Wie willst du das rechtfertigen?«

»Michael, ich habe eine Landkarte. Sie hängt in meinem Keller an der Wand und ist übersät mit bunten Reißzwecken, mit denen die Orte gekennzeichnet sind, an denen ich schon mit dir war. All die Orte, von denen ich niemals gedacht hätte, dass ich sie jemals besuchen würde. All die Orte, an denen wir um Haaresbreite dem Tod von der Schippe gesprungen sind. Ich will keine weiteren Reißzwecken mehr in die Karte stecken müssen. Und weißt du was? Wenn ich schon sterben muss, dann zu Hause.«

»Dann nimm das Flugzeug«, sagte Michael. »Ich bitte dich nicht, uns zu helfen. Flieg nach Hause zu deiner Familie. Du hast schon mehr als genug getan.«

»Das ist Quatsch, und das weißt du. Erwartest du ernsthaft, dass ich nach Hause fliege, wenn es gilt, deinen Arsch zu retten?« Er seufzte. »Verrat mir nur eines: Um wen geht es dir in erster Linie? Um Simon, um KCs Schwester oder um KC?«

Michael antwortete nicht.

»Tust du das für sie? Um sie zu beeindrucken? Zu beschützen?«

»Es geht um Simon.«

»Ich weiß. Und ich weiß auch, dass du niemals zulassen würdest, dass er zu Schaden kommt. Das gilt aber auch für KCs Schwester.« Busch schwieg einen Moment. »Wie gut kennst du KC?«, fragte er dann.

»Was soll das denn heißen?«

»Wann bist ihr zum ersten Mal begegnet? Vor einem Monat? Und schon bist du bereit, dein Leben für sie aufs Spiel zu setzen? Sie ist eine Diebin, und ich bin nicht so unbedingt dafür, Dieben zu trauen, Anwesende ausgeschlossen.« Busch hielt kurz inne. »Besonders nicht, wenn sie Frauen sind. Wir wissen einen Dreck über ihre Vergangenheit, und ihre süße kleine Schwester haben wir gerade erst kennengelernt, aber schon rennen wir los, um sie zu retten. Ich will nicht sagen, dass hier was faul ist, aber …«

»Was willst du dann sagen? Denkst du, sie legt mich rein? Meinst du, sie hat das alles geplant, damit ich ihr helfe?« Michael versuchte, nicht aus der Haut zu fahren. »Und selbst wenn ich KC nicht vertrauen würde – da ist immer noch Simon. Wie oft hat er uns den Hals gerettet? Ich werde ihn nicht im Stich lassen.«

»Ich habe nichts davon gesagt, dass du jemanden im Stich lassen sollst«, lenkte Busch ein. »Aber könntest du deine Gefühle in diesem Fall ausnahmsweise mal an der Garderobe abgeben?«

Michael wusste genau, was Busch meinte. Busch war sein bester Freund. Er kannte ihn besser, als er sich selbst kannte. »Ich kann nicht noch einmal ertragen, dass mir das Leben eines Menschen zwischen den Fingern zerrinnt. Das halte ich kein zweites Mal aus, Paul.«

»Liebst du sie?«

Michael atmete tief durch. »Das weiß ich nicht. Aber sie hat dafür gesorgt, dass ich wieder etwas empfinde. Und ich bin nicht bereit, das aufzugeben.«

»Verstehe. Aber du bist hier in einer Welt, die dir fremd ist, die ganz anders ist als irgendeiner der anderen Orte, an denen du warst. Das hier ist Istanbul. Du hast deine Dinger in den USA durchgezogen, in Europa, in Russland, aber nicht hier. Hier denken die Menschen anders, handeln anders, sprechen eine andere Sprache. Nur …«

»Nur was?«, fragte Michael.

»Nur töten werden sie dich hier wie überall sonst auf der Welt.«