3.

Der Range Rover holperte über die von Schlaglöchern übersäte Straße, die sich wie eine Schneise durch die nächtliche Wüste von Akbikistan zog. Paul Busch beschleunigte den Wagen trotzdem auf hundertdreißig Stundenkilometer, weil er diesem trostlosen Teil der Welt so schnell wie möglich entfliehen wollte. Er war dankbar für die gute Federung des Wagens, die ihnen die Schlaglöcher erträglicher machte. Mit seiner Länge von eins fünfundneunzig und einem Gewicht von mehr als hundert Kilo passte Buschs Körper so gerade eben in den Fahrersitz.

Busch ritt wesentlich lieber in Hawaii auf den Wellen, als zwei ausgebrochene Häftlinge und ihren Befreier aus diesem Wüstenland herauszukutschieren. In den vergangenen achtzehn Monaten hatte er sich körperlich wieder in Form gebracht, joggte jeden Tag zehn Kilometer und war stolz darauf, dass er beim Bankdrücken wieder sein eigenes Körpergewicht stemmen konnte. Erfreulich waren auch die Kommentare, die seine Frau Jeannie über sein immer besseres Aussehen machte. Sie behauptete sogar, er sähe wieder ganz so aus wie damals, als er noch blutiger Anfänger bei der Polizei gewesen sei. Doch Busch hatte die leise Befürchtung, dass sie mit diesen Schmeicheleien nach einem dritten Kind angelte.

Paul behauptete gern, er sei Barkeeper im Valhalla, obwohl seine Frau es vorzog, ihn als Gastronomen oder zumindest als Eigentümer der Bar zu bezeichnen. Nach zwanzigjähriger Dienstzeit hatte Busch seinen Abschied von der Polizei genommen und war mehr als zufrieden mit seiner neuen Beschäftigung, Getränke auszuschenken und eine mittlerweile florierende Bar zu führen. Was einst ein heimeliges Speiserestaurant gewesen war, hatte sich zu einem Treff gemausert, der manchmal eine Woche im Voraus ausgebucht war. Für die Bar brauchte man selbstverständlich keine Reservierung, doch sie war immer bis zum letzten Platz mit Singles besetzt, die auf der Suche nach ihrer nächsten Eroberung waren.

Obwohl die Bar ihm ein einträgliches Leben bescherte, spielte Busch immer noch jede Woche Lotto und steckte das hoffentlich Glück bringende Zettelchen in seine Hosentasche – und das, obwohl hinten in seiner Schublade mit den Socken eine unbezahlbare Rubinhalskette aus Russland versteckt lag, ein Erinnerungsstück an eine lebensbedrohliche Heldentat, die Busch gemeinsam mit Michael vollbracht hatte. Man hätte die Halskette für ein kleines Vermögen verkaufen können, doch hatte Busch beschlossen, sie vorerst unter den Socken mit dem Rautenmuster liegen zu lassen. Er war der Ansicht, dass die Vorfreude auf die Erfüllung eines Wunsches oft schöner war als die Erfüllung des Wunsches an sich. Das Leben war angenehmer, wenn man hatte, was man brauchte, aber trotzdem noch ein paar Wünsche blieben, die bislang unerfüllt waren. Das hielt das Leben in Schwung und die Hoffnung am Leben.

Busch war ein zufriedener Mann, obwohl er immer noch die Zeiten vermisste, da er für die Polizei Verbrecher gejagt, Unrecht in Recht verwandelt und arrogante Mistkerle eingebuchtet hatte, die sich einbildeten, sie stünden über dem Gesetz.

Seine Einstellung, das Gesetz sei dazu da, um eingehalten zu werden, hatte in der Vergangenheit zu Konflikten zwischen ihm und Michael geführt, besonders zu der Zeit, als er Michaels Bewährungshelfer gewesen war und die Verantwortung dafür getragen hatte, dass Michael ein gesetzestreuer Bürger blieb. Doch es waren Michaels uneigennützige Taten im Dienst an anderen gewesen, die Busch damals erkennen ließen, dass manchmal gegen Gesetze verstoßen werden musste, um einem höheren Wohl zu dienen.

Michael war sein bester Freund, so etwas wie ein kleiner Bruder. Und wie die meisten kleinen Brüder hatte Michael die Angewohnheit, Schwierigkeiten wie magisch anzuziehen. Oft musste Paul ihm dann beistehen, um ihn aus dem Dreck zu befreien. Und so kutschierte er Michael auch diesmal wieder aus dem Schlamassel, mit dem einzigen Unterschied, dass eine junge Frau in die Sache verwickelt war.

Als Busch auf die Rückbank des Range Rovers blickte, war ihm immer noch nicht so richtig ins Bewusstsein gedrungen, dass KC mit Simon in diesem Gefängnis gewesen war. Das hatte sie beide überrascht, ihn ebenso wie Michael. Busch hatte KC zweimal in New York getroffen. Sie war perfekt für Michael: schön, intelligent, mit Sinn für Humor. Busch war glücklich, dass sein Freund wieder eine Partnerin hatte.

Er fand es amüsant, Michael und KC streiten zu sehen wie ein altes Ehepaar. Er beobachtete, wie die beiden aufeinander losgingen, sich Wortgefechte lieferten, einander beschuldigten und kritisierten und sich in Selbstüberschätzung ergingen. Busch hatte nicht den geringsten Zweifel, dass sie perfekt zueinander passten.

»Hast du Schmerzen?«, fragte Michael, als er die blauen Flecken und Schürfwunden an ihrem Arm sah.

»Geht so«, sagte sie, obwohl man sehen konnte, dass das nicht stimmte. Sie war wund und blau, ihr Gesicht verschmiert, und an ihrer Nase klebte angetrocknetes Blut.

»Gibt es irgendetwas, was du mir zu erzählen versäumt hast?«, fragte Michael

»Was?«, fuhr KC ihn an, drehte den Kopf weg und schaute aus dem Fenster.

Michael versuchte, nicht aus der Haut zu fahren. Er starrte weiter auf ihren Hinterkopf, auf ihr blondes Haar, das schmutzig und verfilzt war. Dann streckte er versöhnend die Hand nach ihr aus. Doch in dem Moment, da die Hand sich ihrer Schulter näherte …

»Was jetzt?«, meinte KC, immer noch zum Fenster gewandt, als könne sie spüren, dass Michael sich ihr näherte.

Michael zog die Hand zurück.

»Was willst du von mir hören?« Sie drehte sich zu ihm um.

Michael kochte endgültig über. »Du willst eine Beraterin sein?«

»Hör mal, ich …«, begann KC.

»Du arbeitest gar nicht für die Europäische Union.« Michael wandte sich an Simon. »Wie konntest du uns zusammenbringen, ohne mir das zu sagen?«

Auch KC wandte sich nun an Simon und wurde nun ebenfalls laut. »Wie kommt es, dass du mir nichts gesagt hast?«

Simon saß auf dem Beifahrersitz. Die Fragen dröhnten ihm in den Ohren. Stur blickte er auf die nächtlich dunkle Straße vor ihnen, sagte kein Wort und hielt sich aus der Schlacht heraus.

»Wie kommt es, dass Simon dir was nicht gesagt hat?«, fragte Michael.

KC wandte sich ihm wieder zu. Ihre grünen Augen funkelten. »Hör bloß auf. Ein Mann, der eine Wach-und Schließgesellschaft betreibt, hat das Know-how und das nötige Kleingeld, um vom Himmel zu schweben, in ein Gefängnis einzubrechen, es in die Luft zu jagen und mit zwei Leuten im Schlepptau zu fliehen?« Sie wandte sich wieder an Simon. »Fandest du es toll, uns zwei zusammenzubringen?«

Simon blickte flüchtig zu Busch, der ihn seinerseits anschaute, ihm aber nicht zu Hilfe kam. Stattdessen legte er mitleidig den Kopf zur Seite, bevor er das Steuerrad noch fester umklammerte.

»Okay«, ließ KC es endlich gut sein und beruhigte sich. »Ich arbeite nicht für die EU, und du besitzt kein Sicherheitsunternehmen.«

»O doch«, sagte Michael. »Ein Unternehmen, mit dem ich mir auf anständige und legale Weise meinen Lebensunterhalt verdiene.«

»Träum weiter.« KC hob beide Hände. Dann schaute sie wieder aus dem Fenster.

Der Range Rover fuhr durch eine verrostete Stacheldrahtabsperrung und auf ein Flugfeld. Es gab keinen Radarturm, keine Abfertigungshalle. Die Scheinwerfer des Wagens waren die einzige Beleuchtung weit und breit. Ihre Lichtkegel erfassten eine Gruppe von fünf Privatmaschinen, die am anderen Ende des Flugfelds standen und von acht bewaffneten Männern bewacht wurden. Sie trugen hellgraue Hosen und Hemden; sie alle zielten mit ihren Gewehren auf den Range Rover. Busch betätigte mehrmals hintereinander das Fernlicht und gab auf diese Weise das vereinbarte Zeichen. Die Männer entspannten sich.

Busch brachte den Wagen neben den Wachleuten zum Stehen, und sie öffneten die Türen. Busch stieg aus und reichte dem Anführer eine Rolle Bargeld. Michael, KC und Simon verließen den Wagen und folgten Busch, der auf das größte der fünf Flugzeuge zuhielt und über die Gangway lief.

KCs Augen weiteten sich, als sie den Boeing Business Jet genauer betrachtete. Die Stirn gerunzelt, drehte sie sich zu Michael um. »Das muss ja ein ganz besonderes Sicherheitsunternehmen sein.«