22.

Der Boeing Business Jet rollte aus dem Hangar. Sein weißer Rumpf funkelte im goldenen Licht der Morgendämmerung. Im Schritttempo rollte er über das leere Flugfeld, hob um 6.15 Uhr von der Startbahn ab und flog nach Westen.

Busch stand im Innern des nunmehr gähnend leeren Hangars und beobachtete, wie der Jet immer kleiner wurde, bis er nur noch ein Nadelkopf am Himmel war. Er rieb sich die Augen und richtete seinen müden Blick auf den gelben Fiat, der ihm vom Hotel aus gefolgt war. Iblis saß nicht am Steuer; Busch hatte auch nicht erwartet, dass er die Überwachung vierundzwanzig Stunden am Tag selbst durchführte. Der Fahrer war ein großer, dunkelhaariger Türke mit eingefallenem Gesicht. Er stand gegen den Fiat gelehnt. Sein Blick war ebenfalls auf das Flugzeug gerichtet, das in der Ferne verschwand. Busch beobachtete, wie der Mann seinen Kaffee austrank, den leeren Becher auf den Boden warf, wieder in seinen Wagen stieg und davonfuhr.

Damit würde Iblis sich jetzt erst einmal allein auf KC konzentrieren, was Michael und Busch die Möglichkeit bot, sich frei zu bewegen und auf das vorzubereiten, was vor ihnen lag.

»Was für eine Benzinverschwendung«, schimpfte Busch.

»Sie fliegen ja nur nach Griechenland. Heute Abend sind sie wieder zurück«, erwiderte Michael.

»Trotzdem ist es Verschwendung von Zeit und Geld.«

»Nicht, wenn es mir Iblis vom Hals hält. Solange er meint, ich hätte das Land verlassen, hat er keine Ahnung, was wir vorhaben.«

Michael stand im hinteren Teil des Hangars vor einer langen Werkbank. Die Ataturk Private Corporation vermietete die Gebäude und Arbeitskräfte an die Schickeria und den Jetset der Geschäftswelt und bot ihnen alles Mögliche, von kompletter Wartung durch staatlich geprüfte Mechaniker bis hin zum Wiederauffüllen der Kühlschränke und Bars der Luxusflugzeuge. Michael hatte die Leute für den ganzen Tag bezahlt und deshalb den großen Raum mit den Werkzeugen und dem Zubehör ganz zur eigenen Verfügung.

Er hob die drei schweren, schwarzen Reisetaschen auf die Werkbank, die sich über die gesamte hintere Wand erstreckte. Nachdem er bei jeder Tasche die Reißverschlüsse aufgezogen hatte, förderte er systematisch den Inhalt zutage. Aus der ersten Tasche brachte er sechs Rollen mit Kernmantel-Kletterseilen, zwei Klettergurte und vier Karabinerhaken zum Vorschein, dazu einen kleinen Werkzeugsatz mit einem Schraubenzieher, einem Multifunktionswerkzeug und einem kleinen Brecheisen, außerdem die vier Transportrollen aus Leder. Er griff in die nächste Tasche und zog vier Pistolen heraus, Magazine, vier Schachteln Munition, ein Sturmgewehr mit Laser-Zielfernrohr und zwei Holster. Er legte sie neben zwei Tauchmesser mit Gummigriffen, vier Walkie-Talkies und die Kletterausrüstung.

»Stehlen wir eine Karte, oder fangen wir einen Krieg an?«, fragte Busch, trat neben Michael und zog eine der Taschen zu sich herüber.

»Nun mach mal halblang. Ich weiß ja noch gar nicht, was wir alles brauchen.«

Busch zog eine große Plastiktüte aus der Tasche, die prall gefüllt war mit kleinen schwarzen Dosen.

»Tragbare Alarmanlagen«, erklärte Michael. »Sind wie Stolperdraht. Sie senden ein Funksignal, wenn die Laserschranke durchbrochen wird.«

»Sieh zu, dass Jeannie so ein Ding nie in die Finger kriegt. Bisher meint sie immer noch, ich käme jeden Abend um dreiundzwanzig Uhr nach Hause.«

Michael grinste, während Busch vier elektronische Chips zutage förderte, nicht größer als Roulette-Jetons. Er schaute sich einen davon genauer an und sah, dass an der Seite die Abkürzung »GPS« eingraviert war.

»Hast du Angst, du könntest dich verlaufen?«

»Diese Dinger helfen mir jedes Mal, meine Hunde wiederzufinden. Ich klemme sie ihnen an die Halsbänder, wenn wir wandern gehen.«

»Du bist seit zwei Jahren nicht mehr wandern gegangen«, erwiderte Busch mürrisch.

»Oh. Ist der Herr unpässlich um halb sieben in der Frühe?«, fragte Michael. »Das hast du davon, wenn du dich bis zwei Uhr nachts herumtreibst.«

»Danke, Mama.« Busch schüttelte den Kopf. »Und ja, ich hab mir die Zähne geputzt.«

»Einer muss sich ja um dich kümmern, wenn du von deiner Frau weg bist.« Michael nahm einen der Chips in die Hand. »Wir sollten jeder einen haben für den Fall, dass einer von uns verloren geht. Die Signale kommen hier an.« Michael hielt einen kleinen Flachbildempfänger in die Höhe, den man aufs Armaturenbrett aufsetzen konnte. »Funktioniert überall.«

»Überall?«

»Zumindest überall auf der Erde.«

»Erinnere mich daran, dass ich keins von diesen Dingern mit mir führe.«

»Zu deiner Information: Big Brother beobachtet uns bereits. Heutzutage installiert man sehr viel preiswertere Chips in jedes Mobiltelefon und kann deinen Aufenthaltsort dank der Handymasten jederzeit bestimmen. Es ist ziemlich schwierig geworden, völlig von der Bildfläche zu verschwinden.«

»Vielen Dank für die Vorlesung, George Orwell.«

Aus der letzten Tasche zog Michael etwas heraus, das wie aufgerollter Fensterkitt aussah.

»Meine Güte!«, rief Busch. »Du hattest Plastiksprengstoff im Flugzeug?«

Michael machte sich nicht die Mühe, zu Busch aufzusehen. Er zog als Nächstes drei Stücke C4 aus der Tasche und legte sie neben die Rolle.

»Du hättest uns vom Himmel pusten können!«

»Sei nicht albern.« Michael hielt Busch einen Beutel mit kleinen elektronischen Sprengkapseln unter die Nase. »Solange die hier nicht in ihrem Gekröse stecken, kann nichts passieren.«

»Du wirst die Nachbarn wecken mit dem Zeug.«

»Nur, wenn ich es benutze.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass KC allzu glücklich wäre, wenn du dich in die Luft jagst.«

»Ich sage ja nicht, dass ich es benutzen werde. Ist nur zur Sicherheit.«

»Hast du schon eine Idee, wie KC den Deckel von dem toten Knaben hieven soll?«

»Du meinst den Deckel von Selims Gruft?« Michael steckte seinem Freund die handgezeichnete Skizze eines komplizierten Etwas zu, das aussah wie eine Rube-Goldberg-Maschine.

»Sieht toll aus«, meinte Busch nach einem kurzen Blick auf das Blatt Papier. »Okay, ich gehe los und treib was zum Frühstück auf. Mal sehen, was für Leckerbissen die hier zu bieten haben. Hoffentlich auch ganz normale Eier mit Speck.«

Busch ging durch den großen Hangar und verschwand in der riesigen Küche auf der anderen Seite.

Michael nahm seine Skizze in die Hand und machte sich auf den Weg in den Lagerraum der Flugzeugwartung, in dem es alles gab, was man für Flugzeug- und Autoreparaturen brauchte, von Ventilen und Klappen über Öl und Ledersitze bis hin zu Instrumenten und Armaturen. Michael richtete seine Aufmerksamkeit auf die Geräte an der Rückwand und nahm sechs lange Gummischläuche herunter, die mit Stoff umhüllt waren. Sie waren extrem haltbar und wurden für die hydraulischen Kontrollsysteme von Jets benutzt. Dann nahm er mehrere Stücke Kupferrohr und vier Rahmenstützen aus Aluminium, dazu ein paar Messinganschlüsse und eine Handpumpe.

Er trug alles zur Werkbank und legte die Teile vor sich aus. Anschließend strich er das Blatt Papier mit seiner Skizze glatt und studierte sie eine Zeit lang. Schließlich zog er den Gasschweißbrenner zu sich herüber, entzündete die Flamme, die eine Temperatur von dreitausendzweihundert Grad hatte, und machte sich an die Arbeit.