36.

Michael kam aus dem Bad. Die Dusche hatte ihm gutgetan. Er fühlte sich wie neugeboren. Zugleich hatte er Schmetterlinge im Bauch, wenn er an KC dachte – ein Gefühl, das er seit Marys Tod nicht mehr gehabt hatte. Seltsamerweise kam es ihm nicht so vor, als betrüge er seine verstorbene Frau. Er hatte sie von Herzen geliebt, und sie hatte seine Liebe bedingungslos erwidert. Michael wusste, dass sie sich für ihn freuen würde; sie hatte förmlich darauf bestanden, dass er noch einmal eine Frau fand. Michael griff nach dem goldenen Ehering, den er um den Hals trug. Er würde ihn zur Erinnerung an Mary immer tragen und niemals aufhören, sie zu lieben.

Michaels Handy riss ihn aus seinen Gedanken.

»Hey«, sagte er, nachdem er rasch sein Handy aufgeklappt hatte.

»Alles okay bei euch?«, fragte Busch.

»Uns geht’s gut. Wie geht es Simon?«

»Der kommt wieder in Ordnung. Er steht zwar unter Schock, und sie haben ihm etwa hundert Nähte am Schädel verpasst, aber ich wage zu behaupten, dass er Schlimmeres gewöhnt ist.«

»Ist er zu sich gekommen?«

»Ja, nachdem sie ihn mit Flüssigkeit vollgepumpt hatten. Er wird ein paar Tage hierbleiben müssen, bis die Schwellung nachgelassen hat.«

»Die Ruhe wird ihm guttun.« Michael schwieg einen Moment. »KC und ich fahren jetzt los, um dich abzulösen.«

»Kannst du mir einen Gefallen tun?«

»Jeden«, erwiderte Michael.

»Drei Cheeseburger, Pommes und eine Cola?«

»Klar doch.« Michael lachte. »Wir sehen uns in einer halben Stunde.«

Michael klappte sein Handy zu, warf sich in seine Sachen und eilte nach unten. Er ging nach draußen auf den Balkon und blickte auf den Bosporus und das Marmarameer, während er versuchte, seine Gedanken zur Ruhe zu bringen.

Schließlich zog er wieder sein Handy hervor und wählte KC an. Es läutete und läutete, aber sie nahm nicht ab. Michael machte sich nicht die Mühe, eine Nachricht zu hinterlassen; stattdessen klappte er das Handy zu und steckte es zurück in die Hosentasche.

Er warf einen letzten Blick auf die Boote, die über jene Wasser glitten, die Europa und Asien voneinander trennten. Dann ging er wieder ins Zimmer, dankbar, dass er die Welt aus jener Perspektive sah, die ihm die liebste war: aus der eines entspannten Mannes. Er ging zum Haustelefon und rief den Zimmerservice an. Er bestellte für Busch drei Hamburger mit Pommes frites und sagte dem Concierge, er brauche das Essen so schnell wie möglich und käme es deshalb selbst in der Küche abholen.

Er nahm seinen Zimmerschlüssel und seine Brieftasche vom Sofatisch, schaltete sämtliche Lampen aus und trat hinter die Bar, wo er die Lederrolle mit dem Sultansstab versteckt hatte.

Er erlebte eine böse Überraschung. Denn an der Stelle, an der er die lederne Transportrolle deponiert hatte, hinter den Kristallgläsern und den Weinflaschen, war nichts.

Der Hermesstab, für den KC Leib und Leben riskiert hatte, war verschwunden.