14.
Venue rührte in seinem Tee, der aus einer Mischung zubereitet war, die man speziell für ihn zusammenstellte. Der Duft von Mandeln und Honig erfüllte die Luft. Hier waren keine Dienstboten, keine Sekretärinnen, weder Angestellte noch Buchhalter.
Das Stadthaus auf der Amsterdamer Prinzengracht war ein schmuckes Gebäude aus Backstein. Dass Venue der Eigentümer war, ließ sich dank eines Labyrinths aus Unternehmen und Pseudonymen nicht ermitteln. Deshalb war das Haus der Zufluchtsort, an den Venue sich zurückziehen konnte, falls seine Welt zusammenbrach – ein Ort, an dem er mehr als fünf Millionen Euro hortete, Diamanten im Wert von weiteren fünf Millionen und ein Waffenarsenal. Das Haus verfügte über einen Bunker, der mit Wasser- und Lebensmittelvorräten ausgestattet war, die für sechs Monate reichten, und war jederzeit benutzbar für den Fall, dass es so aussehen musste, als wäre Venue spurlos verschwunden. Auf einem speziellen Server mit einer undurchdringlichen Firewall befanden sich Sicherungskopien seiner gesamten Firmen-Computerdateien, und daneben stapelten sich konventionelle Papierausdrucke seiner Akten: Dokumente, mit denen er nicht nur seine Konkurrenten, sondern auch seine Angestellten unter Druck setzen oder vernichten konnte. Er nannte sie liebevoll seine »Angstmacher-Akten«, denn es waren Papiere, von deren Inhalt die Leute hofften, dass weder ihre Angehörigen je davon erfuhren noch die Polizei oder die Regierung.
Er zog die erste Akte heraus. Darin ging es um einen seiner Rechtsanwälte, Ray Jaspers, einen Mann, der wesentlich dazu beigetragen hatte, Venues Unternehmen aufzubauen und sein Vermögen anzuhäufen. Die Akte enthielt nicht nur seinen detaillierten Lebenslauf, sondern auch eine Fülle von Informationen über sein Faible für das Glücksspiel und minderjährige Mädchen sowie eine Auflistung der Geldbeträge, die er in seiner Zeit in den USA der Mafia geschuldet hatte. Venue nahm den nächsten Vorgang in die Hand. Darin ging es um einen Mann, den er als seine rechte Hand betrachtete und der Venue noch nie enttäuscht hatte. Es war ein Mann, in dessen Händen Venues Zukunft lag. Als er durch das dicke Dossier blätterte, in dem das gesamte Vorstrafenregister aufgeführt war, sämtliche Raubüberfälle und Morde, legte sich ein Lächeln auf seine Lippen. Venue war zwar ein Mann, von dem behauptet wurde, er sei zu keinerlei Gefühl fähig, aber falls er doch eine weiche Stelle im Herzen hatte, gehörte sie jemandem wie Iblis.
Zwanzig Jahre zuvor, als Venue mit dem Aufbau seines Imperiums begonnen hatte, suchte er nach Menschen, die das Fundament seines Unternehmens bilden sollten, nach fähigen Köpfen, die er brauchte, um seine Ziele zu erreichen. Zum einen waren es Finanzvorstände und Bilanzbuchhalter, Steuerexperten und Juristen, zum anderen aber auch Leute, die keine Universität besucht hatten und deren besondere Begabungen in der Geschäftswelt nicht als die Norm galten. Venues Unternehmenskonzept, das er während seiner Jahre im Gefängnis entwickelt hatte, sah zwingend vor, dass Gesetze gebrochen und Dinge erledigt wurden, für die er selbst zwar qualifiziert war, in die er jetzt aber nicht mehr persönlich verwickelt sein durfte.
Der Mann, der als Straßengangster begonnen hatte und anschließend Priester gewesen war, hatte in der Geschäftswelt seine wahre Berufung gefunden: Drei Jahre nach Venues Entlassung aus dem Gefängnis hatte seine Investment-Firma bereits mehr als zwanzig Millionen Pfund verdient. Er hatte seine angeborene Fähigkeit zu schachern verfeinert, indem er Methoden anwandte, die er auf der Straße gelernt hatte: Druck, Einschüchterung, Bedrohung und Erpressung. Er nutzte die Schwächen seiner Konkurrenten und fand die Stellen, an denen sie verwundbar waren, um sie auszubeuten. Und er suchte nach einem ebenbürtigen Verstand, mit dem er sich in der Umgangssprache der Straße austauschen konnte.
So kam es, dass Venue eines schönen Tages vor zwanzig Jahren in Brighton in der hintersten Ecke eines heruntergewirtschafteten Pubs gesessen hatte, in dem die Winterwinde, die vom Ärmelkanal herüberwehten, durch die undichten Fenster und Türen zogen. In seinem dreiteiligen, anthrazitfarbenen Nadelstreifenanzug, den er sich in London hatte maßschneidern lassen, wirkte er wie ein Fremdkörper unter den Arbeitern des Ortes. Er nippte an einem verschmierten, am Rand abgesplitterten Glas Ale und hörte über den Lärm der vielen Leute hinweg, die an der Theke das Ende ihres Arbeitstages feierten.
Der junge Mann nahm gegenüber von ihm auf der Eckbank Platz. Er war dünn und höchstens eins siebzig groß, sodass er neben dem eins zweiundneunzig großen Venue wie ein Zwerg wirkte.
»Hallo, Chris«, begrüßte Venue ihn.
Der dürre junge Mann saß einfach nur da, und sein kindliches Gesicht zeigte keine Regung, als seine Identität enthüllt wurde.
»Ich weiß, dass du den Namen Iblis vorziehst. Es interessiert mich im Grunde nicht, wie du dich nennst: Christopher Miller, Nuray Millers Sohn, Sprössling von Rusty oder einfach nur der gute alte Iblis. Namen kann man leicht ändern, aber seine wahre Natur kann ein Mann niemals abstreifen.«
»Nennen Sie mir einen guten Grund, warum ich Sie nicht gleich hier und jetzt töten sollte«, erwiderte Iblis. Der große, schwere Mann, der vor ihm saß, schüchterte ihn nicht im Mindesten ein.
»Dafür gibt es zwei gute Gründe«, entgegnete Venue voller Selbstvertrauen und ohne den leisesten Anflug von Furcht in der Stimme. »Zunächst einmal bin ich zwanzig Jahre älter als du. Ich kann dir beibringen, wie du deine Fähigkeiten effektiver nutzen kannst. Du kannst weiter durch die Straßen rennen wie bisher, kannst aus diesem Museum was stehlen und aus jenem Museum was mitgehen lassen, oder du kannst die Messlatte höher legen und Aufträge übernehmen, mit denen du Millionen kassieren kannst.«
»Und der zweite Grund?«
»Ich brauche einen Partner.«
Eine unscheinbare blonde Kellnerin, deren Wangen von der gesunden Meeresbrise gerötet waren, stellte zwei Halbliterkrüge vor die beiden Männer auf den Tisch und zog wieder von dannen.
Iblis trank einen Schluck Ale.
»Ich bin wie du gewesen«, fuhr Venue fort. »Ich habe das Gleiche getan wie du. Ich habe sogar im Gefängnis gesessen, was du bisher vermeiden konntest. Aber was ich früher getan habe, kann ich heute nicht mehr. Ich habe ein Image zu pflegen.«
»Dass Sie einen Anzug tragen, macht Sie lediglich zu einem gut gekleideten Verbrecher«, sagte Iblis. »Ich bezweifle, dass jemand auch nur eine Träne vergießen würde, wenn Sie nicht mehr da wären. Für Ihren Kopf bekäme man wahrscheinlich einen ziemlich guten Preis.« Iblis legte ein langes Jagdmesser auf den Tisch. »Ich könnte Sie auf der Stelle töten.«
»Das sagtest du bereits. Aber meinst du nicht, dass ich klug genug bin, das zu verhindern? Immerhin war ich gescheit genug, hinter deinen wirklichen Namen zu kommen, alles über deine Familie in Erfahrung zu bringen und über die Dinger, die du bis jetzt gedreht hast. Meinst du da nicht, dass ich vorgesorgt habe? Dass meine Sicherheit gewährleistet und dein Tod geplant ist? Meinst du nicht, dass ich das vor diesem Treffen bereits geregelt habe?«
Schweigend saß Iblis da.
»Kein Grund zur Sorge. Wenn ich die Absicht hätte, dich umzubringen, wärest du jetzt bereits tot.«
Iblis legte den Kopf zur Seite und lächelte ihn voller Respekt an. »Wie würde diese Partnerschaft denn aussehen?«
Venue stellte seinen Aktenkoffer zwischen sie auf die klebrige Tischplatte mit den vielen Kerben. »Ich würde deine Dienste ein paarmal im Jahr benötigen, in erster Linie, um Firmenunterlagen, Informationen über Konkurrenten oder Leute zu stehlen, deren Firmen ich aufkaufen möchte.«
»Nicht gerade eine besondere Herausforderung.«
»Nein, aber der Lohn ist groß. Von Zeit zu Zeit könnte es um Kunstwerke gehen. Ich habe eine Vorliebe für gewisse Stücke, besonders wenn sie eine religiöse Bedeutung haben.«
»Oh, ein spiritueller Mann«, höhnte Iblis.
»Spiritueller, als du denkst.«
»Gehe ich recht in der Annahme, dass das Köfferchen aus gutem Grund auf dem Tisch steht?« Iblis machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung des Aktenkoffers.
»Es könnte sich hin und wieder ergeben, dass ich von dir verlangen muss, Taten zu verüben, deren Auswirkungen dauerhafter Natur sind.«
Iblis beugte sich vor. »Zu morden?«
Venue runzelte die Stirn und bejahte die Frage damit, ohne ein Wort zu sagen.
»Ich werde dir pro Jahr fünf Millionen Dollar zahlen. Wenn ich dich gerade nicht brauche, kannst du nach Belieben über deine Zeit verfügen. Brauche ich dich aber, erwarte ich, dass du von einem Augenblick zum anderen alles stehen und liegen lässt und mir auf der Stelle zur Verfügung stehst. Darüber hinaus werde ich dir für jeden Auftrag einen Bonus zahlen, dessen Höhe sich nach der Natur des Auftrags richtet.«
Iblis dachte fieberhaft nach. Venue konnte es sehen.
»Einen Auftrag haben Sie offenbar schon für mich«, sagte Iblis schließlich und zeigte dabei auf den Aktenkoffer.
»Genau so ist es«, erwiderte Venue.
***
Father Francis Oswyn verließ den Supermarkt von Penzance und stellte die Lebensmitteltüten, die er auf dem Arm trug, auf den Rücksitz seines Ford Taurus. Er setzte sich hinter das Steuer und fuhr die fünf Blocks bis zum Haus am Meer, das ein erfolgreicher Steuerberater der Kirche gespendet hatte. Sein Name war Miles O’Banion gewesen; zwei Jahre zuvor war er kinderlos verstorben.
Das getünchte Haus war in den späten Fünfzigerjahren erbaut worden und hatte das Heim einer großen Familie werden sollen. Aus jedem der sechs Schlafzimmer hatte man einen Blick über den Ärmelkanal. Doch O’Banions Ehefrau war im Kindbett gestorben. Er hatte nie wieder geheiratet und sein ganzes Leben seiner Arbeit gewidmet, der Kirche und Gott. Damals war das Haus, dessen Einrichtung aus antiken englischen Möbeln bestand und dessen Wände und Fußböden aus schwarzem Nussbaum waren, in den Sommermonaten ein Ort gewesen, an dem ständig Partys und Feste gefeiert wurden. Dann tummelten sich die Gäste auf den breiten Veranden, die das Haus umschlossen. Die heitere Stimmung währte stets vom Maifeiertag bis zum 1. September, und auf der Gästeliste stand jedes örtliche Gemeindemitglied, ob Freund oder Feind.
Doch seit O’Banions Tod war es ruhig im Haus geworden. Jetzt wurde nicht mehr gefeiert, und statt Lachen waren leise Gebete zu vernehmen.
Oswyn fand Gefallen an dem Reiz, den das Meer im Winter ausübte, an dem dramatischen Unterschied zwischen Ebbe und Flut und an den gewaltigen Wellen, die mit rhythmischem Donnern auf den Strand schlugen und ihn in den Schlaf wiegten.
Während die meisten Menschen inzwischen auf der Suche nach Wärme und Leben aus dem Küstenörtchen in die Stadt geflüchtet waren, entfachte Oswyn ein knisterndes Feuer im steinernen Kamin, nahm sich den neuesten Roman von Stephen King vor und genoss, dass er endlich seine Ruhe hatte. Seit zwei Wochen versuchte er nun schon, das Buch zu Ende zu lesen, war aber immer wieder unterbrochen worden. Jetzt, da er im O’Banion-Haus eingetroffen war, würde er endlich durch die letzten beiden Kapitel kommen und dann mit dem Roman von Robert Masello beginnen, von dem seine Schwester so geschwärmt hatte.
Es war eine mondlose Nacht, und im Haus war es dunkel und still, als Oswyn sich neben dem Feuer in einen großen Ohrensessel setzte und die Stehlampe einschaltete, die direkt daneben stand. Er drehte seinen Körper in Richtung der Flammen, horchte auf das Krachen der Brandung in der Ferne, schlug das Buch auf und lehnte sich zurück.
Den Mann, der sich ihm aus der Dunkelheit näherte, sah er nicht – den Mann, der zwei Stunden im Schutz der Dunkelheit auf ihn gewartet hatte.
Eine starke Hand griff in Oswyns Haar und drückte seinen Körper mit Gewalt im Sessel nach vorn. Schlagartig verlor der Körper des Priesters jedes Gefühl. Seine Arme fielen an den Seiten herunter; das Buch prallte auf den Fußboden. Oswyns Kopf knickte in einem unnatürlichen Winkel nach vorn, sodass sein Kinn auf der Brust lag.
Er hatte die dünne Klinge gar nicht gespürt, die in seinen Nacken eingedrungen war und unter dem obersten Halswirbel den Rückenmarkskanal durchtrennt hatte. Da das Nervensystem nicht mehr funktionierte, versagte sein Zwerchfell, und die Atmung setzte aus. Als ihm die letzte Luft aus der Lunge strömte, brachte er noch die Kraft auf, sich auf seinen Glauben zu besinnen und reuevoll zu beten.
Der Erstickungstod kam langsam. Obwohl sein Körper nichts mehr spürte, fühlte sein Kopf sich an, als würde er jeden Moment platzen. Dunkelheit schob sich in sein Sichtfeld; weiße Lichtpunkte, die wie Sternschnuppen aussahen, huschten durch die Schwärze.
Francis Oswyns letzter Gedanke galt nicht seiner Schwester oder seinen schon vor langer Zeit verstorbenen Eltern, ebenso wenig seiner Kirche oder seinen Freunden. Nein, sein letzter Gedanke galt der Tatsache, dass er nun niemals dahinterkommen würde, wie dieser verdammte Roman von Stephen King endete.
***
Drei Monate später waren auch die sechs anderen Priester tot, die auf Venues Liste gestanden hatten. Es gab keine Spuren, keine Fingerabdrücke, keine Zeugen. Die Behörden fanden an keinem Tatort Indizien. In ganz Europa verbreitete sich das Gerücht, ein Serienmörder habe es auf Priester abgesehen. Es gab jede Menge Theorien – angefangen vom Vergeltungsschlag der Protestanten bis hin zum Einschreiten des Teufels höchstpersönlich. Aber nach sieben Opfern hörten die Morde plötzlich auf, und so wurden die Ermittlungen schließlich eingestellt.
***
Iblis saß in Venues brandneuem Büro in Amsterdam, das im vierten Stock lag und einen Ausblick auf die Keizersgracht bot. Das Unternehmen und das Ansehen des großen glatzköpfigen Mannes waren im Verlauf der sechs Monate, die seit ihrer ersten Begegnung vergangen waren, dramatisch gewachsen. Er hatte jetzt über dreißig Angestellte, die in den Büros und Bürozellen umherschwirrten und sich mühten, ihrem Boss weitere Millionen zu erwirtschaften.
Venue schob Iblis die Bestätigung einer Geldanweisung über den Schreibtisch. »Sieben Millionen. Gib sie nicht auf einmal aus.«
»Ich werde mir in Istanbul eine große Sommerresidenz zulegen«, erklärte Iblis mit einem Lächeln.
»Mal was ganz anderes«, erwiderte Venue. »Ich persönlich habe eher eine Schwäche für die italienische Riviera.«
»Wir haben eben jeder unseren eigenen Geschmack.«
»Wenn du schon da runterfliegst, könntest du etwas für mich ausfindig machen.«
»Und was?«
»Eine Karte. Ich weiß nicht allzu viel darüber.«
»Meinen Sie eine Landkarte?«
»Es gibt sicher Leute, die es so nennen würden.«
»Und was zeigt sie?«
»Das weiß ich nicht genau. Es hat momentan keine Priorität für mich, ist eher ein Zeitvertreib, Neugier. Wie ich schon sagte, ich weiß nicht allzu viel darüber.«
»Wenn Sie wollen, dass ich mehr darüber in Erfahrung bringe …« Iblis erhob sich von seinem Stuhl. »Rufen Sie mich an.«
»Eine Sache noch, bevor du gehst.« Venue stand auf, ging zu dem Fernseher, der auf dem mittleren Bücherregal stand, und schaltete den Videorecorder ein. »Wir sind ein gutes Team, aber ich möchte sicherstellen, dass du verstehst, wer der Besitzer dieses Teams ist, nämlich ich.«
Iblis sah ihn verwirrt an, während der Videofilm begann. Und je weiter er lief, desto zorniger wurde seine Miene. Das Video bestand aus verschiedenen Bildfolgen, die Iblis dabei zeigten, wie er seinen Priesteropfern nachgestellt hatte und in das Haus in Penzance eingedrungen war. Einige Bilder waren Fotografien, die mit einem Nachtsichtgerät aufgenommen worden waren. Keines ließ Zweifel an Iblis’ Identität.
»Mit Furcht lassen sich stets die besten Geschäftsbeziehungen aufbauen.« Venue blickte Iblis mit seinen kalten, gefühllosen Augen an, ging auf ihn zu und baute sich wie ein Bollwerk vor ihm auf. »Aus meiner Sicht ist sie die beste Motivation. Ganz besonders, wenn der andere um sein Leben fürchten muss.«
»Warum tun Sie das?«, fragte Iblis. »Ich habe diesen Auftrag übernommen, ohne Fragen zu stellen. Ich habe die Männer ermordet, die Sie tot sehen wollten.«
»Ich will sicherstellen, dass wir uns verstehen, du und ich.«
»Was wollen Sie damit erreichen?« Iblis musste sich mit Gewalt zurückhalten, um nicht das Messer zu ziehen und Venue die Kehle durchzuschneiden.
»Dass du mir gegenüber loyal bleibst.«
»Loyalität erkauft man sich nicht mit Furcht«, wisperte Iblis und biss die Zähne zusammen.
»Trotzdem glaube ich, dass ich dich jetzt gerade gekauft habe«, erwiderte Venue und lächelte. »Du siehst also, wir sind die beiden Seiten der gleichen Münze. Glaubst du, ich würde mir auch nur eine Sekunde einbilden, du hättest dich mir gegenüber nicht ebenfalls abgesichert? Glaubst du, ich wüsste nicht, dass du Beweismittel zurückbehalten hast, die mich mit den Morden an den sieben Priestern in Verbindung bringen, die mein Leben zerstört haben?«
Iblis saß da und sagte kein Wort.
»Du brauchst hier nichts zu gestehen, aber ich will, dass du begreifst, dass ich zwanzig Jahre länger Erfahrung damit habe, Menschen nach meinem Willen zu beugen. Ich kenne die Grenzen der Belastbarkeit. Du solltest dir bewusst machen, dass ich nie verliere, niemals. Nur um das noch einmal klarzustellen: Ich glaube, dass uns eine gemeinsame, äußerst fruchtbare Zukunft beschieden ist, von der wir beide profitieren werden.«
Venue ging zu seinem Schreibtisch zurück, nahm einen braunen Briefumschlag in die Hand, öffnete ihn und hielt Iblis die Dokumente unter die Nase. »Kommt dir das bekannt vor?«
Iblis starrte auf die Akte. Es waren die Recherchen, die er über die Priester angestellt hatte, über ihre Vorlieben und Abneigungen – Informationen, die er sich zum Teil selbst beschafft, zum Teil aber auch von Venue erhalten hatte. Die Akte enthielt außerdem mehrere Fotos von Venue und gründlich recherchiertes Material, das Venue mit seiner priesterlichen Vergangenheit und den sieben toten Männern in Verbindung brachte, die ihn exkommuniziert hatten.
Iblis’ Pupillen wurden so groß, dass seine Pupillen auf einmal pechschwarz und nur noch von einem schmalen Rand aus gespensterhaftem Blau umkränzt waren. Das Pochen seines Herzens dröhnte ihm in den Ohren, und mit jedem Schlag bahnte die Furcht sich weiter ihren Weg in seine Seele.
»Es gibt nichts, absolut nichts auf dieser Welt, was ich mir nicht beschaffen kann, ob es sich dabei um Macht, Geld oder irgendeinen Menschen handelt. Wenn ich mir problemlos Zugang zu einem Banksafe in Zürich verschaffen kann, um diese Papiere hier herauszuholen – stell dir vor, zu was ich dann fähig bin, wenn jemand mich ärgert.«
Iblis konnte seine Furcht nicht mehr verbergen. Es war das erste Mal, dass er sie spürte, seit er ein Kind gewesen war. Dieser Venue konnte im wahrsten Sinne des Wortes durch Wände greifen, um zu bekommen, was er wollte.
»Wie ich bereits sagte, hätte ich es nicht anders erwartet«, meinte Venue, während er die Dokumente in der Hand schwenkte. »Und ich nehme es dir auch nicht übel. Es ist gescheit, so etwas zu tun, um sich selbst zu schützen. Wenn du nichts getan hättest, hätte ich dich wahrscheinlich getötet, weil du zu naiv wärst, um für mich zu arbeiten.
Damit steht jetzt fest, dass keiner von uns beiden dem anderen traut, und wir wissen, dass jeder von uns die Fähigkeit besitzt, andere zu töten. Ich will lediglich, dass du begreifst, dass du jetzt für mich arbeitest und dass es ein Job fürs Leben ist. Ich werde dich auf das Großzügigste bezahlen, deine Urteilsfähigkeit respektieren, und ich werde dich um Rat bitten. Aber ich hoffe, dass dir klar ist, dass ich die Macht und die Möglichkeiten habe, dein Leben zu beenden, falls ich mich dazu entscheiden sollte.«