53.

Michael steckte den Stab in die Einbuchung, die sich in der Mitte der schwarzen Tür befand, und befestigte die Klammern. Der Stab passte perfekt, fügte sich nahtlos in den Rest ein. Er war das fehlende Stück, das die grauenvollen Darstellungen auf der Tür vervollständigte. Michael hatte derartige Szenen noch nie gesehen; die Gestalten waren so lebensecht, als wären sie auf die Tür gesprungen und dort erstarrt. Die Teufel und Dämonen fletschten die Zähne, spreizten ihre Klauen und folterten die Menschen, die den unteren Teil der Tür bevölkerten, darunter Frauen und Kinder. Es war ein furchtbarer Anblick.

Michael kämpfte gegen eine heftige Übelkeit an. Er wusste nicht, ob sie vom Stab herrührte oder vom Anblick der verzweifelten Kinderaugen, in denen sich das nackte Grauen spiegelte.

Plötzlich war ein bedrohliches Geräusch zu hören, ein dumpfes Grollen, das aus dem Boden und aus den Wänden dröhnte. Der ganze Berg schien zu beben, als hätte Michael mit seinem Tun ein Erdbeben ausgelöst. Michael konnte es mit jeder Faser seines Körpers spüren. Es war Furcht erregend, als würden sämtliche Toten, die auf Erden begraben lagen, gleichzeitig die Stimmen erheben, voller Zorn, dass man sie geweckt hatte.

Plötzlich sah Michael, dass sich auf der Tür etwas bewegte. Die Schlangen, die um den Stab geschlungen waren, begannen sich zu winden, bewegten sich aus eigener Kraft, als wären sie lebendig, gruben sich in die Holzschnitzereien und verschmolzen mit der Tür.

Ein keuchender Laut drang aus den Ritzen der Tür. Es klang wie der rasselnde Atem des Todes, war aber genau das Gegenteil: Es war der Atem des Lebens. Was immer sich hinter dieser Tür befand, sog die Luft in sich auf, die man ihm zu einer Zeit versagt hatte, an die niemand mehr sich erinnern konnte.

Iblis trat vor die Tür, griff mit beiden Händen nach dem Stab und zog daran. Die Tür gab ohne Widerstand nach und schwang auf. Eine Woge heißer Luft strömte nach draußen. Einer der Wachhunde trat vor und leuchtete mit seiner Taschenlampe in die pechschwarze Finsternis. Eine Steintreppe wurde sichtbar. Es war keine Treppe im herkömmlichen Sinne mit gleichmäßig hohen und breiten Stufen, die fachmännisch gemeißelt waren. Was sie hier vor sich sahen, war eine Treppe, die von der Natur in den Stein geschlagen und von Menschenhand vergrößert worden war.

»Erzähl uns hinterher, was du gefunden hast«, sagte Iblis.

Michael starrte den dürren Mann an und hätte ihn am liebsten in zwei Teile zerbrochen.

»Falls du Angst hast, schicke ich Cindy gerne mit«, spottete Venue.

Michael blickte auf Cindy, die kläglich schluchzte und ihre verstümmelte Hand an sich presste. Die Wunden hatte sie mit einem Teil ihrer Bluse umwickelt, der inzwischen völlig durchgeblutet war. Michael sah den Schmerz in ihrem Gesicht, die Hoffnungslosigkeit.

»Hier.« Iblis nahm eine der Fackeln von der Wand und reichte sie Michael. »Das schafft ein angenehmeres Ambiente.«

»Willst du es denn nicht als Erster sehen, du Hurensohn?«, wisperte Michael bebend vor Zorn.

»Jeder Bergmann hat seinen Kanarienvogel«, erwiderte Iblis.

Michael hörte, dass die beiden Wachhunde, die hinter ihm standen, ihre Waffen entsicherten.

»Silviu und Gianni werden dir auf den Fersen bleiben, damit du nicht auf die Idee kommst, da unten irgendeine krumme Tour abzuziehen.«

Michael blitzte Iblis zornig an, riss ihm die Fackel aus der Hand und trat durch die Tür.