Benny ließ Nix schlafen, bis der ganze Wald in ein rosa Licht gehüllt war. Er sondierte die Gegend, auf der Suche nach Anzeichen für Zombies. Und nach Hinweisen auf Lilah oder Tom. Auch vom Greenman fehlte jede Spur. Für den Augenblick sah es so aus, als hätten er und Nix den Wald vollkommen für sich allein. Sanft berührte er Nix’ Gesicht mit dem Daumen und streichelte ihre Wange. Dann hob er den Rand des Verbands vorsichtig an, um die lange Schnittwunde und die feinen Stiche zu untersuchen. Die Wunde war leicht gerötet und geschwollen, sah aber ansonsten gut aus.
Nix stöhnte leise und öffnete dann die Augen. Grüne Augen. Nicht grün und golden und schwarz. »Hi«, sagte sie fast scheu und lächelte ihn an.
»Selber hi.«
»Wie spät ist es?«
»Eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang.«
Nix streckte sich, setzte sich auf und gähnte herzhaft. Dann hielt sie sich die gewölbte Hand vor den Mund und atmete hinein. »Igitt. Ich habe einen Affenatem.«
»Meiner riecht schon eher wie der von einem Gorilla«, meinte Benny.
Die Rucksäcke mit ihren Sachen waren in der Raststätte. Vielmehr in deren Asche. Sie besaßen nicht mehr als das, was sie in ihren Westen und den Taschen ihrer Jeans bei sich trugen: Streichhölzer, ein kleiner Verbandskasten, Messer, Kadaverin. Keine Zahnbürsten und auch nichts zu essen.
Benny reichte Nix seine Feldflasche. Sie nahm einen Schluck und spülte gründlich ihren Mund aus. Nachdem sie das Wasser ausgespuckt hatte, forderte sie ihn auf, seine Weste auszuziehen und das Hemd zu öffnen. Er zögerte – nicht aus Scham, sondern weil er nicht wirklich wissen wollte, wie schlimm die Verbrennung war. Heute Morgen schmerzte die Wunde weniger stark, aber vor seinem inneren Auge sah er ständig Bilder von verbrannten Knochenenden, die aus brandigem Fleisch herausragten.
Die eigentliche Brandwunde war beinahe enttäuschend: Drei Linien mit Brandblasen, keine breiter als ein Bleistift und gerade einmal zwei Zentimeter lang. Die Haut rund um die Verbrennungen war geschwollen, zeigte aber keine Anzeichen einer Entzündung.
»Du wirst es überleben«, verkündete Nix, nachdem sie die Wunde mit einem Stück Verbandsstoff gereinigt hatte.
»Tut auch gar nicht mehr weh«, behauptete er, doch er wusste, dass sie ihm nicht glaubte. Plötzlich knurrte sein Magen so laut wie ein hungriger Zombie. »Wir müssen was zu essen auftreiben.«
Sie zogen die Holzschwerter aus Bennys Teppichmantel und kletterten vorsichtig vom Baum herunter. Der Abstieg war mühsam und schmerzhaft, denn beide fühlten sich steif und waren ziemlich mitgenommen. Als sie endlich im Gras landeten, hielten sie abrupt inne.
Am Fuß des Baumstamms lag etwas. Jemand hatte mehrere faustgroße Steine zu einem geschlossenen Kreis angeordnet und ein großes, handgeschnitztes Holztablett daraufgestellt. Das Tablett war mit großen, sauberen Blättern bedeckt, unter denen ein herrlicher Duft hervorströmte. Nix hob die Blätter an und schnappte erstaunt nach Luft. Und auch Benny starrte mit offenem Mund auf das Tablett: Goldgelbes Rührei und Bratkartoffeln türmten sich auf der Holzfläche und daneben lag ein Berg frischer Erdbeeren.
»Was …?«, setzte Benny an und schaute sich um. »Wer …?«
»Wen kümmert’s?«, meinte Nix und schaufelte sich eine Handvoll Rührei in den Mund. »Oh Mann … das reicht für zehn Leute.«
»Wir sind doch schon wach, oder?«
Nix lachte und schob Benny etwas Rührei in den Mund. Es war zwar kalt, schmeckte aber köstlich.
»Ergibt das irgendeinen Sinn?«, wunderte sich Benny, während er sich noch eine Ladung Rührei hineinschaufelte.
Nix schüttelte den Kopf und zuckte dann die Achseln. »Vielleicht. Könnte jedenfalls sein. Denk mal drüber nach.«
Es dauerte zwei Portionen Eier und drei dicke Bratkartoffeln, bis Benny begriff. »Mann, bin ich langsam!«
»Echt? Ist ja ganz was Neues«, erwiderte sie, die Backen voll wie ein Eichhörnchen.
»Der Greenman!«
»Fragt sich nur, warum?«
»Er ist ein Freund von Tom.«
Nix nickte. »Warum ist er nicht geblieben, um mit uns zu reden?«
»Keine Ahnung. Ich wünschte, ich wüsste, wo er lebt. Tom meinte, dass er hier irgendwo eine Hütte hat. Aber wahrscheinlich gut versteckt. Der Typ gilt nicht gerade als sehr gesellig.«
Sie aßen noch eine Weile weiter, dann meinte Nix: »Gott … es gibt so viele offene Fragen. Was ist mit Tom und Chong? Wo steckt Lilah? Wer hat gestern Abend die Dosen abgenommen? Und was ist mit diesem Irren, diesem Preacher Jack?«
Benny lächelte. »Seit wann glaubst du denn, dass ich wüsste, was Sache ist?«
»Es gibt für alles ein erstes Mal.«
»Vielleicht. Aber heute bestimmt nicht«, erwiderte er und rieb sich die Augen. »Okay … also, wie sieht der Plan aus?«
»Plan?«, fragte sie. »Hast du denn keinen?«
»Äh … wie kommst du darauf, dass der Typ, der keine Antworten hat, plötzlich der Typ mit einem Plan ist?«
»Ich hab auch keinen«, räumte Nix ein.
»Okay.«
Gemeinsam sahen sie sich um und starrten in den Wald, als würden dort wie durch Zauberei die Antworten erscheinen.
»Wir könnten hierbleiben und abwarten, ob der Greenman vielleicht zurückkommt.«
Benny schüttelte den Kopf. »Das glaub ich nicht. Er hat gestern Abend nicht auf uns gewartet und er ist auch nicht zum Frühstück geblieben.«
Nix seufzte. »Vielleicht sollten wir zurückgehen und einen Blick auf das Feld und die Raststätte werfen. Aus der Ferne, meine ich, um die Lage zu peilen.«
»Okay«, meinte Benny und seine Miene hellte sich auf. »Hört sich nach einem guten Plan an.«
Sie verputzten die letzten Reste Rührei und Bratkartoffeln und stopften sich die Taschen mit Erdbeeren voll. Dann wischten sie das Tablett mit Blättern sauber und lehnten es gegen den Baumstamm. Und Benny schrieb »DANKE!« in die Erde.
Als er sich umdrehte, sah er, dass Nix ihn beobachtete. Ein mattes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und ihr Blick wirkte irgendwie entrückt.
»Was ist?«, fragte Benny.
Sie blinzelte, und er glaubte zu sehen, wie in ihren Augen die Jalousien heruntergelassen wurden. »Nichts.«
In der Stadt hätte Benny sich damit zufriedengegeben, aber er hatte das Gefühl, dass er die Version von sich selbst, die sich davor scheute, solche Fragen zu stellen, irgendwie hinter sich gelassen hatte. Also hakte er nach: »Nein … da war etwas. Die Art, wie du mich angesehen hast. Was ist los?«
Die Vögel in den Bäumen zwitscherten fast fünf Sekunden, ehe Nix antwortete. »Neulich in der Stadt … auf eurem Dach … da habe ich dich gefragt, ob du mich liebst. Hast du es ernst gemeint?«
Benny bekam einen trockenen Mund. »Ja.«
»Seitdem hast du es nicht mehr gesagt.«
Er wollte etwas zu seiner Verteidigung vorbringen, erwiderte aber stattdessen: »Du auch nicht.«
»Nein«, gab sie kleinlaut zu und blinzelte in das morgendliche Sonnenlicht. »Vielleicht … wenn der Aufbruch aus der Stadt leichter gewesen wäre …«
Benny wartete.
»… dann wäre es wahrscheinlich auch einfacher gewesen, es zu sagen«, beendete Nix den Satz. »Aber hier draußen …«
»Ich weiß«, sagte er. »Mir geht es genauso.«
»Du verstehst es?«, fragte sie erleichtert. »Ich habe es versucht, aber ich finde einfach nicht die richtigen Worte.«
Mach schon, flüsterte seine innere Stimme. Sag ihr die Wahrheit.
Benny nickte. »Ich denke schon. Zumindest … verstehe ich, warum ich es nicht gesagt habe. Seit wir die Stadt verlassen haben, stecken wir andauernd in Schwierigkeiten. Unser ›Campingausflug‹ ist nicht gerade ein Knaller. Hier draußen ›Ich liebe dich‹ zu sagen … bitte lach nicht, aber das wäre so, als würde ich meinen Teppichmantel ausziehen und in einen Haufen Zombies rennen. Wenn ich es laut ausspreche, fühle ich mich verletzlich. Ist das bescheuert?«
Nix schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Jetzt darf ich eine Frage stellen«, verkündete Benny, und obwohl Nix sich versteifte, ließ er sich nicht beirren. »Wünschst du, ich hätte es nicht gesagt? Überhaupt nicht, meine ich.«
Ein seltsames Licht flackerte in den Tiefen ihrer grünen Augen auf. »Wenn du meinst, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist, dann versuch es noch einmal, und dann werden wir ja sehen, was passiert.«
Benny hätte diese Bemerkung in seiner Unsicherheit beinahe falsch verstanden, aber seine innere Stimme gab ihm einen anderen Rat. »Darauf kannst du dich verlassen«, versprach er schließlich.
Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. »Also … hast du Lust auf einen Spaziergang?«
»Na ja … entweder das oder mein Zimmer aufräumen, aber da mein Zimmer ein Baum ist …«
Er nahm ihre Hand und gemeinsam gingen sie unter dem kühlen Blätterdach hindurch. In den Bäumen zwitscherten die Vögel und auf dem Gras unter ihren Füßen funkelte der Morgentau. Die ersten Bienen des Tages flogen summend zwischen den Blumen umher, um ihrer uralten, wichtigen Aufgabe nachzukommen: Nektar zu sammeln und Pollen von einer Blüte zur anderen zu tragen. Schwärme von Mücken stiegen in Spiralen aus dem Gras auf und wirbelten durch das schräg einfallende Sonnenlicht. Das Erwachen des Waldes hatte etwas Magisches und Überwältigendes. Weder Benny noch Nix sagten etwas, denn sie konnten ihre Reaktion auf die überbordende Schönheit nicht in Worte fassen und wollten den entsetzlichen Erlebnissen und Gedanken, die schwer auf ihrem Herzen lasteten, keinen Raum geben.
Trotz des beruhigenden Gefühls, das ihnen die warme Hand des jeweils anderen schenkte, kamen sie sich unglaublich allein vor. Verlassen. Obwohl sie wussten, dass Tom, Lilah und Chong sich irgendwo im selben Wald aufhielten, schien es, als seien alle anderen Menschen auf einem anderen Planeten. Mountainside, ihr Zuhause, war Millionen von Kilometern entfernt. Und der Jumbojet konnte sich auf der anderen Seite der Welt befinden oder auch nur ein Hirngespinst aus einem alten Traum sein.
Der steinige Pfad schlängelte sich zwischen Bäumen und Sträuchern hindurch und abgesehen vom Geruch der Asche in der Luft deutete nichts auf die Ereignisse des vorigen Abends hin. Dann bogen sie um eine Kurve und all das änderte sich.
»Mein Gott …«, flüsterte Nix fast atemlos.
Das Feld existierte nicht länger, vor ihnen lag eine einzige gewaltige Mondlandschaft. Bäume waren zu Stümpfen niedergebrannt, Büsche in Asche verwandelt worden, die Raststätte nur noch ein verkohltes Gerippe.
Aber das war nicht das Schlimmste. Bei Weitem nicht. Überall – auf dem Feld, auf den Findlingen, auf der Betonplatte an der Tankstelle – lagen haufenweise Leichen. Letzte Nacht hatte es sich noch um lebende Tote gehandelt, doch jetzt waren sie einfach nur tot, ihre Lebenskraft ausgelöscht durch die Feuersbrunst, die Benny mit einem winzigen Streichholz entfacht hatte.
Alles war so still. Eine trostlose Weite aus Asche und zersplitterten Knochen. Nix wandte sich ab.
Benny senkte den Kopf. »Tut mir leid«, sagte er leise.
Nix berührte seinen Arm. »Es ist nicht deine Schuld. Du wolltest nicht …«
»Doch, Nix.« Er schaute sie an und strich ihr eine rote Locke aus dem Gesicht. »Ich habe das Feuer gelegt, weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen. Ich habe sie alle getötet, all diese …«
»Zoms, Benny. Es sind Zombies. Du kannst sie nicht töten.«
»Ich weiß … aber …«
Sie schaute ihn verwundert an. »Was?«
»Sie waren einmal Menschen.«
»Ich weiß.«
»Was ist, wenn …« Benny hielt inne und holte tief Luft, als er an die fürchterliche Hitze und die Flammen dachte, die sich so rasend schnell auf trockener Haut und alter Kleidung ausgebreitet hatten. »Was, wenn sie es spüren konnten?«
»Das können sie nicht, Benny«, erklärte Nix sanft. »Sie sind tot.«
»Wir wissen nicht, was sie sind. Die Toten sind tot, sie bewegen sich nicht, sie verwesen und zerfallen zu Staub. Aber die Zombies … laufen herum. Klar, sie greifen Leute an, aber genau darum geht es ja. Tote Menschen können das nicht … also was sind die Zoms nun wirklich? Warum stöhnen sie? Versuchen sie, irgendwie zu kommunizieren? Wollen sie etwas sagen? Oder … tut es weh, ein Zombie zu sein?«
»Ob es wehtut?«
»Das, was mit ihnen passiert ist und noch immer passiert. Die Verletzungen, an denen sie gestorben sind, die Verwesung … ob sie das spüren können?«
»Sie verwesen, Benny. Ihre Körper laufen herum, aber da ist keine Intelligenz mehr.«
Er schüttelte den Kopf. »Das wissen wir nicht mit Sicherheit, Nix – und tu nicht so, als wüssten wir es. Tom hat gesehen, wie sie Türknäufe gedreht haben und Treppen hinaufgestiegen sind. Er sagt, einige von ihnen würden Sachen aufheben und sie als Waffen benutzen. Stöcke und Steine zum Beispiel. Der Zombie letzte Nacht hat gegen die Tür gehämmert. Das bedeutet etwas. Es bedeutet, dass etwas in ihnen vorgeht.«
»Benny, auch ein Eichhörnchen hebt Dinge auf. Eine Katze schlägt nach Fliegen. Das bedeutet doch nicht …«
»Genau das meine ich!«, rief er. »Selbst wenn sie nur wie ein Eichhörnchen oder eine Katze sind … selbst wenn sie nicht klüger wären als ein Käfer, Nix … auch Käfer spüren Schmerzen.«
Sie schüttelte den Kopf und schaute zu den verrenkten Leichnamen in der Asche. »Nein«, erklärte sie schließlich. »Du machst dich verrückt, wenn du so denkst. Tom hat Tausende von Zombies befriedet. Er hat nie etwas davon gesagt, dass sie Schmerz empfinden.«
»Woher will er das wissen?«
»Tom würde es wissen«, sagte sie entschieden. Benny hörte ihre Worte, aber er hörte auch etwas in ihrer Stimme. Einen Anflug von Zweifel.
Lass es gut sein, flüsterte seine innere Stimme. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt.
Er nickte, und Nix wirkte erleichtert, denn sie glaubte, er stimme ihr zu. Benny trat auf das Aschefeld und ging langsam hinüber zur Raststätte. Das Haus war völlig zerstört. Nur noch die vordere Mauer stand, der Rest war ein Haufen Schutt. Benny legte einen Finger auf die Außenwand. Sie war fast kalt und mit einem dünnen Rußfilm bedeckt. Wieder nickte er und dachte über alles sehr sorgfältig nach. Dann schrieb er mit dem Zeigefinger eine Botschaft in den Ruß.
T / L / C
Uns geht es gut. Hoffen,
euch auch.
Ziehen weiter. Ihr wisst, wo ihr
uns findet.
KWK
B / N
»KWK?«, murmelte Nix. »Klug wie Krieger?«
»Ja. Er soll wissen, dass wir das anwenden, was er uns beigebracht hat.«
»Also … gehen wir nach Osten?«
»Ich denke schon«, antwortete Benny. »In Richtung Yosemite. Entweder das oder zurück in die Stadt. Ich will auf keinen Fall hier warten. Ich weiß nicht, was all die Zombies letzte Nacht hierhergetrieben hat, und ich will es auch gar nicht herausfinden.«
Er hatte ihr noch nichts von dem Mann erzählt, den er inmitten der Zombies gesehen hatte. Der Mann, von dem er ziemlich sicher war, dass es sich um Rotaugen-Charlie handelte. Wie konnte er Nix sagen, dass der Mörder ihrer Mutter noch immer da draußen herumlief, noch immer frei durch die Wälder streifte?
Benny wusste, dass er es ihr bald sagen musste. Aber nicht hier und nicht jetzt.
Nix berührte die Wand unterhalb der ersten Reihe. T für Tom, L für Lilah und C für Chong. »Mom hat diese drei Buchstaben immer als Abkürzung für ›Treue, Liebe und Charme‹ benutzt.« Sie wandte sich ab. »Aber das war in einer anderen Welt.«
»Ja, das stimmt«, pflichtete er ihr bei.
»Wir gehören dort nicht mehr hin.«
»Nein.«
Sie kniff die Augen zusammen und warf einen prüfenden Blick auf den Weg, der vor ihnen lag. Vorbei an den verkohlten Ruinen und über die weite, grüne Fläche des Waldes hinweg zu den Bergen im Osten. »Es ist komisch, aber ich dachte eigentlich, dass dieser Teil – der Aufbruch, meine ich – das Einfachste sein würde. Ich hatte natürlich damit gerechnet, dass es später härter werden wird, aber ich dachte, das hier wäre … keine Ahnung … irgendwie normal. Wir sind etwa eine Million Mal hier draußen bei Bruder David gewesen … und befinden uns nicht einmal 20 Meilen von zu Hause entfernt.«
»Ich weiß nicht, ob überhaupt irgendwas einfach sein wird, Nix.«
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, die Unterlippe zwischen ihre regelmäßigen, weißen Zähne geklemmt. »Benny … wenn du jetzt sagst ›Lass uns umkehren‹, dann komme ich mit. So wahr mir Gott helfe … ich kehre auf der Stelle um.«
Benny schaute ihr in die Augen, drehte sich dann zur Seite und blickte über das verbrannte Feld zu dem Pfad, der hinauf in die Hügel im Nordwesten führte. Schließlich holte er tief Luft und ließ diese wieder aus den Lungen entweichen, ehe er sich erneut Nix zuwandte. »Du hast es selbst gesagt, Nix«, meinte er. »Wir gehören dort nicht mehr hin.«
Zweifel verdüsterten ihr Gesicht. »Gehören wir denn hierher?«
»Keine Ahnung.« Benny kniete sich hin und wischte sich mit einer Handvoll verwelktem Gras den Ruß vom Finger ab. »Vielleicht gehören wir nirgendwohin. Aber ich muss dir sagen, dass es uns bereits zu viel gekostet hat, hierherzugelangen, um jetzt noch umzukehren. Wir müssen weitermachen, Nix.«
»Wir müssen nichts beweisen, Benny.«
»Doch, irgendwie glaube ich schon, dass wir das müssen.« Dann lächelte er – das erste richtige Lächeln, seit sie von dem Baum heruntergeklettert waren. »Aber frag mich nicht, was.« Und dann küsste er sie. Zuerst ganz zart auf die Naht, die über ihrer Augenbraue verlief, und schließlich fester auf den Mund.
Nix erwiderte seinen Kuss – und nicht nur aus einem Reflex heraus. Sie küsste ihn, weil sie ihn küssen wollte. Dann trat sie zurück und musterte ihn mit ihren grünen Augen, die voller Rätsel steckten. Ausnahmsweise hatte Benny einmal das Gefühl, einige von ihnen zu verstehen.
Er lächelte und streckte ihr die Hand entgegen. Nix ergriff sie und gemeinsam wandten sie sich von dem niedergebrannten Friedhof der Toten ab und marschierten in Richtung Osten. Die Straße vor ihnen war überwuchert von Unkraut und Gräsern, aber die Sonne schimmerte auf jedem Halm wie eine Verheißung.
Als sie das Feld verließen, bemerkten sie die Gestalt nicht, die hinter einer Gruppe angesengter Kiefern hervortrat. Ein großer Mann in einem schwarzen Mantel, dünn wie eine Bohnenstange und mit weißem Haar, das im heißen Wind flatterte. Er sah den beiden Teenagern nach, die die Straße entlanggingen.
Der Mann huschte so leise wie ein Schatten über das Feld zur Raststätte. Dann hielt er inne, las mit seinen kalten Augen die Botschaft und lachte leise in sich hinein.
Die Lippen gespitzt, blieb er lange an der Wand stehen und dachte über die Worte nach, die dort geschrieben standen. Schließlich wischte er sie mit der flachen Hand weg, sodass nur verschmierter Ruß übrig blieb. Der Mann drehte sich um und schaute auf die Straße. Nix und Benny waren inzwischen nur noch zwei winzige Punkte, die schließlich vollständig im Wald verschwanden.
Der Weißhaarige lächelte und folgte ihnen, so leise wie der Tod.
Tom über das Befrieden von Zombies
Tom Imura: „Man kann einen Zombie dadurch ausschalten, dass man seinen Hirnstamm mit einer Kugel durchtrennt. Dieselbe Wirkung erreicht man mit einem Schwert, einer Axt oder durch ausreichende Gewalteinwirkung mit einem stumpfen Gegenstand. Wenn man den Hirnstamm jedoch nur leicht verletzt, werden lediglich einige Funktionen des Zombies lahmgelegt … so kann er möglicherweise nicht mehr beißen oder das Gleichgewicht halten. Das lehrt uns: Der wirkliche Ausschalter für einen Zombie sind der Hirnstamm und das motorische Rindenfeld.“
