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»Sie ist in einem Krankenhaus in Camden gestorben«, sagt Lewis, als wir uns im Pub treffen.

Oh Gott. Triti existiert wirklich. Hat existiert.

Einen Moment lang kann ich gar nichts sagen. Wieder ein Beweis dafür, dass Soul Beach echt ist. Trotz allem, was ich über Danny herausgefunden habe, mache ich mir manchmal immer noch Sorgen, dass sich da jemand nur einen ziemlich ausgeklügelten Scherz erlaubt. Oder dass meine Vorstellungskraft vollkommen willkürliche Ereignisse aus den Tiefen meines Hirns hervorkramt, von denen ich vielleicht mal gelesen habe oder über die im Fernsehen berichtet wurde, und ich jetzt völlig den Verstand verliere.

Aber dass ich über Triti etwas gelesen habe, ist sehr unwahrscheinlich. Und damit hat Lewis bewiesen, dass ich nicht verrückt bin. Und mich so zu seinem größten Fan gemacht.

Endlich finde ich meine Stimme wieder. »Bist du auch ganz sicher, dass sie es ist?«

»Hundertprozentig. Ich habe sie über die Sterbeurkunden im System des Einwohnermeldeamts gefunden. Definitiver geht’s nicht.«

»Ist das denn öffentlich zugänglich?«

Lewis lächelt. »Das nun nicht gerade. Aber die Sicherheitsvorkehrungen auf deren Spiegelserver sind unglaublich mies. Ich bin in weniger als einer Minute durch die Verschlüsselung durchgekommen.«

Er wühlt in seiner Messenger Bag.

Mir fällt das Gucci-Emblem ins Auge. »Ist das ’ne echte? Die kosten doch vierhundert Pfund, oder?«

Lewis runzelt die Stirn. »Die Marke ist mir egal, so oberflächlich bin ich nicht. Ist nur einfach so, dass das Ding wirklich mehr aushält als die No-Name-Teile.«

Zufällig weiß ich allerdings, dass die Tasche aus der aktuellen Saison ist – Cara hofft nämlich, dass ihre Mum ihr so eine zu Weihnachten kauft, wenn sie nur heftig genug mit dem Zaunpfahl winkt –, und darum frage ich mich, wie er jetzt schon wissen will, dass die Tasche länger halten wird als eine billigere. Aber die Zettel, die er herausgeholt hat, lenken mich zu sehr ab. Ich will danach greifen.

»Moment, Moment!« Es scheint, als wollte er seinen Triumph so lange auskosten wie möglich. »Das Seltsamste ist, dass in der Autopsie ein indisches Mädchen namens Triti Pillai beschrieben wird, sechzehn Jahre alt und ernsthaft unterernährt. Sie zeigt alle üblichen Zeichen einer Essstörung, darunter am auffälligsten die Säureschäden an ihren Zähnen.«

»Kapier ich nicht. Was hat das denn mit einer Essstörung zu tun?«

»Magensäure ist ein bösartiges Zeug. Wenn man andauernd kotzen geht, faulen einem irgendwann die Zähne weg.«

»Oh.« Ich denke an Tritis strahlend weiße Zähne und ihr schüchternes Lächeln. »Ist ja grauenhaft. Aber was ist daran seltsam?«

Endlich reicht er mir das Dokument und deutet auf den untersten Absatz.

Ich lese laut vor. »Todesursache: Myokardinfarkt, vermutlich ausgelöst durch unentdeckten kardialen Defekt genetischen Ursprungs.«

»Im Klartext: Herzinfarkt. Also im Grunde eine natürliche Ursache. Die behaupten, ihr Herz hätte einfach wegen einer ererbten Schwäche schlappgemacht. Da wird mit keinem Wort erwähnt, dass die Magersucht oder Bulimie den Körper daran gehindert haben könnte, mit dieser Schwäche klarzukommen. Ich bin ja kein Experte, aber ist doch schon merkwürdig. Warum haben sie das als Todesursache angegeben, wenn sie sich doch ganz offensichtlich zu Tode gehungert hat? Alles, was mir dazu einfällt, ist, dass die Ärzte behauptet haben, sie sei eines natürlichen Todes gestorben, damit die Familie in Ruhe trauern konnte. Das heißt, ihre Leute waren entweder sehr überzeugend oder sehr einflussreich.«

Bei Meggies Untersuchung war die Presse überall. Binnen Sekunden war das Ganze vorbei, vertagt, bis der Mörder gefasst würde. Dad ist allein hingegangen und die Fotos, die sie dort von ihm gemacht haben, sind das Schrecklichste, was ich je gesehen habe. Er sieht aus wie ein Geist.

»Aber das ist doch gut, oder?«, sage ich zu Lewis.

»Na ja, so gut eben irgendwas sein kann, wenn einem die Tochter wegstirbt. Aber noch seltsamer ist, dass du überhaupt davon erfahren hast. Es ist ja nie darüber berichtet worden, weder in den Zeitungen noch im Fernsehen. Ich hab überall gesucht. Offiziell war sie nur ein Teenager, der eines natürlichen Todes gestorben ist. Nichts Außergewöhnliches. Also, wie hast du davon gehört?« Er wartet darauf, dass ich etwas sage.

»Vielleicht … vielleicht hat es in einer Zeitung gestanden, die keine Webseite hat?«, schlage ich zaghaft vor.

Lewis lächelt nicht. »Oder vielleicht hast du mir nicht alles gesagt?« Wieder wartet er und starrt mich an, als wäre ich eine besonders hartnäckige Festplatte.

Tja, starren kann ich auch. Auf keinen Fall werde ich ihm erzählen, woher ich das mit Triti weiß. Ich erwidere seinen Blick so eindringlich, dass die Leute vom Nachbartisch, wenn sie uns denn beobachten würden, glauben müssten, wir wären entweder ineinander verliebt oder würden uns abgrundtief hassen.

Mir ist noch nie aufgefallen, wie ähnlich diese beiden Gefühle von außen aussehen.

Er blinzelt zuerst. »Egal, das ist sowieso nur die halbe Story. Wenn du die ganze haben willst …« Er dreht die Zettel um und dort ist, in seiner wirren Handschrift, eine Adresse in Camden notiert. »Na, Lust auf einen Tagesausflug in die Slums von Nord-London?«