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»Du weißt, ich würde dich nie unter Druck setzen, Ali. Aber …«

Wir sitzen auf Robbies Bett. Nachdem er von ein paar Jungs aus seiner Schule die Neuigkeiten über Tim gehört hat, hat er mir eine SMS geschrieben und darauf bestanden, dass ich zu ihm komme. Aber irgendwie sind wir auf direktem Weg in das Gespräch hineingestolpert, das wir seit Monaten gemieden haben.

Aber … ihm ist klar, dass ich nicht mehr mit ganzem Herzen bei der Sache bin, und das muss seinem Ego einen ziemlichen Dämpfer verpassen.

Aber … wenn wir uns küssen, spüre ich, wie mein Körper dichtmacht, oder schlimmer noch, mir graut sogar davor. Das habe ich ihm natürlich nicht gesagt, aber er ist schließlich nicht blöd.

Aber … er weiß genau, wie ich früher auf ihn reagiert habe, und merkt, dass ich mich inzwischen sofort verkrampfe, wenn er mich berührt. Dann hört er auf und wir setzen uns wieder hin und tun so, als wäre nichts passiert. Als wir frisch zusammen waren, konnten wir über alles reden. Jetzt ist uns alles nur noch unangenehm.

»Willst du, dass wir Schluss machen?«, frage ich.

»Nein«, antwortet er und merkt wahrscheinlich gar nicht, dass er beim Leugnen nickt. »Ich weiß, das ist nicht das Wichtigste in einer Beziehung, aber du bist nun mal so hübsch und toll und ich will –« Er bricht ab. »Tut mir leid.«

Ich lege meine Hand auf seine. »Du musst dich nicht entschuldigen. Wir sind schließlich nicht fünfzig, oder? Wir sollten eigentlich Spaß haben.«

»Wir waren doch immer so ein super Paar.«

Waren. Ich sauge die Luft scharf ein, als mir klar wird, dass er in der Vergangenheitsform spricht. Mir einzureden, ich würde mich wer weiß wie erwachsen verhalten, wenn er Schluss machen will, ist eine Sache. Mich tatsächlich in dieser Situation zu befinden, eine ganz andere.

»Ich hab dich lieb, Robbie.«

Aber wenn ich ihn so lieb hätte, würde ich ihn auch wollen. Vielleicht bin ich ja nur noch verliebt in meine Erinnerungen an die Gefühle, die er in mir heraufbeschworen hat, damals, bevor alles den Bach runterging. Jetzt fühle ich gar nichts mehr. Nur noch, wenn ich am Soul Beach bin.

»Ich dich auch, Alice.«

Er ist den Tränen nah und seine unwiderstehlichen Lippen sind fest aufeinandergepresst vor Anstrengung, nicht zusammenzubrechen. Ich kann nicht zulassen, dass er weint. Ich weiß, was ich für ihn tun muss. Ich schließe die Augen.

»Aber nur weil wir uns noch mögen, heißt das nicht, dass es nicht vorbei ist, Robbie. Wir hätten uns schon vor Monaten getrennt, wenn ich dir nicht leidgetan hätte. Hey, ich bin ein großes Mädchen, ich komme schon klar. Spätestens, wenn wir mit der Uni angefangen hätten, wäre es sowieso zu Ende gewesen. So läuft das doch immer.«

Er starrt mich an, kann nicht glauben, was er da hört. Da sind wir schon zu zweit. Es überrascht mich, wie leicht es mir fällt, das Biest zu spielen.

»Denkst du das wirklich?«, fragt er schließlich.

Ich zucke mit den Schultern. »Ich habe zusehen müssen, wie meine Eltern angefangen haben, sich zu hassen, seit Meggie tot ist, aber die sind auch verheiratet. Sie müssen versuchen, alles wieder zu kitten. Wir nicht. Manchmal ist ein sauberer Bruch einfach das Beste.«

Robbie weiß nicht, was er sagen soll. Vielleicht ist er erleichtert. Nach ein paar Sekunden schwinge ich die Beine vom Bett und ziehe meine Schuhe wieder an.

Das hier ist alles meine Schuld, warum also warte ich immer noch darauf, dass er etwas sagt, was uns rettet? Aber er sieht mich noch nicht mal an. Ich beuge mich vor, um ihn zu küssen, weil es mir in dieser Situation das Richtige zu sein scheint, und aus Gewohnheit küsst er mich zurück, leidenschaftlich, bis ich zurückweiche.

»Nein.«

Ich gehe durch die Tür und die Treppe runter und drehe mich nicht mal um, als ich höre, wie Robbies Mutter aus der Küche kommt und fragt, ob ich Kaffee und ein Stück von ihrem selbst gebackenen Karottenkuchen möchte.

Jetzt bin ich wieder auf mich allein gestellt und die Dämmerung färbt die Straßen noch grauer als zuvor. Ich schließe die Augen und stelle mir sehnsüchtig die Wellen vor, die mich daran erinnern, dass das Leben aus mehr besteht als nur aus dieser beschissenen Realität.

Aber das, was ich höre, sind nicht die Wellen. Es ist Meggie.

»Florrie.«

Und im Geiste antworte ich ihr: Ich komme schon …