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Ich kämpfe darum, meine Augen offen zu halten, aber zum Schlafen bin ich trotzdem zu aufgeregt. Ich muss nachsehen, was ich über Triti herausfinden kann. Und nach dem, was Danny gesagt hat, fühle ich mich, als wäre ich wichtig. Wie etwas Besonderes. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten – vielleicht auch zum ersten Mal in meinem ganzen Leben – kann ich vielleicht tatsächlich etwas bewirken.

Ich ziehe meinen Laptop auf die Bettdecke. Meine Nachttischlampe ist aus, damit Dad kein Licht unter der Tür hindurchscheinen sieht, wenn er um zwei Uhr zu seiner allnächtlichen Wanderung durchs Haus aufbricht. Im Licht des Bildschirms surfe ich durchs Internet.

Google verrät mir, dass Triti ein Hindu-Name ist, der besonderer Moment oder Wunsch bedeuten kann. Aber als ich der Suche Magersucht hinzufüge oder Schülerin London, erscheint nichts. Ich kann doch nicht jetzt schon aufgeben, besonders nach dem, was Danny gesagt hat: Ich sei der einzige Mensch, der …

Vielleicht befinde ich mich ja auf der ganz falschen Fährte. Triti hat selbst gesagt, sie sei ein Niemand gewesen, aber was hält die Gäste eigentlich davon ab, Geschichten zu erfinden, sich eine völlig neue Identität zuzulegen, wenn sie am Strand ankommen? Tote Menschen können schließlich immer noch lügen und betrügen. Wie hat Danny es noch ausgedrückt? Was immer wir auch sind, Engel jedenfalls nicht.

Mir schwirrt der Kopf. Der Mensch, über dessen Todesumstände ich am meisten weiß, ist Danny, also sehe ich mir die Nachrichtenmeldung über seine Beerdigung noch einmal an, falls ich beim ersten Mal irgendeinen Hinweis darauf verpasst habe, warum er am Soul Beach gelandet sein könnte.

Nichts zu machen: Da sind nur dieselben schluchzenden Klassenkameraden und derselbe respektvoll flüsternde Reporter und dieselben riesengroßen Fotos eines gut aussehenden, fröhlichen Danny Cross, der der Kamera sein millionenschweres Lächeln präsentiert.

Doch dann sehe ich unter Ähnliche Berichte einen neuen Eintrag.

Neuigkeiten im Fall Cross: Video aufgetaucht!

Ich klicke darauf. Die Seite lädt einen Moment, dann keuche ich auf.

Danny beim Grillen. Mit einem Mädchen.

»Dieses exklusive Video des Erben von Cross Enterprises, Danny Cross, zeigt zum ersten Mal, wie sehr der schreckliche Verlust nicht nur seine Familie trifft, sondern auch die vielen jungen Menschen, die Amerikas neuen Stern am Himmel der Geschäftswelt geliebt haben.«

Die Reporterin scheint sehr zufrieden mit ihrer Enthüllung, auch wenn es sich bloß um ein Handyvideo mit schlechter Auflösung und ruckeligem Bild handelt.

Danny hat den Arm um ein zierliches Mädchen mit kastanienbraunem Haar gelegt. Ist es das Mädchen von der Beerdigung? In dem Film war sie zu weit weg, um es mit Sicherheit sagen zu können.

»Küss sie, Dan. Ein Kuss für die Kamera!«, instruiert ihn der Typ mit dem Handy.

Danny zögert zuerst, aber dann beugt er sich vor und gibt dem Mädchen einen ganz kurzen, sanften Kuss auf den Mund.

»Diese Bilder, die nur Wochen vor dem Flugzeugabsturz aufgenommen wurden, bei dem der achtzehnjährige Daniel und der Pilot seines Vaters ums Leben kamen, zeigen einen selbstbewussten, glücklichen jungen Mann. Aber war es gerade dieses Selbstbewusstsein, das ihm zum Verhängnis wurde?«

Die Handykamera schwenkt von Danny zu ein paar anderen, nicht toten und nicht reichen Jugendlichen und der Bericht wechselt zu Bildern der verstreuten Wrackteile des Flugzeugs. Beim Aufprall hat sich die Maschine mit der Schnauze in den gelben Wüstensand gegraben, sodass das Heck emporragt wie eine verlassene Wippe.

Es folgt ein Interview mit einem Ermittler, der erklärt, die Zerstörung sei so heftig, dass sich vermutlich nie herausfinden lasse, was wirklich geschehen sei, aber es gebe Zeugen, die berichteten, Danny habe schon vor dem Abflug das Steuer übernommen.

Dann kann sich die Reporterin vor Aufregung kaum noch halten. »Und XCT Live News ist im Besitz eines weiteren exklusiven Fotos, das diese Berichte bestätigt.«

Ein Foto. Danny im Cockpit des Flugzeugs seines Vaters, das größer ist, als ich erwartet hatte: Die Luftaufnahmen des Wracks konnten die Dimensionen nicht vermitteln. Das Bild wurde von jemandem aufgenommen, der vor dem Flugzeug stand, und auf dem Platz neben Danny ist ein bulliger Mann mit einem zu breiten Lächeln zu sehen, der den Arm besitzergreifend über die Lehne des Pilotensitzes gelegt hat.

Irgendetwas an diesem ganzen Bericht verstört mich. Es ist dasselbe Gefühl wie damals, als das alles anfing und ich nicht aufhören konnte, auf Meggies erste E-Mail zu starren, ohne jedoch zu erkennen, dass die Zeit, zu der sie abgeschickt wurde, ihrem Todesdatum entsprach.

»Dieses Foto, aufgenommen am Nachmittag des verhängnisvollen letzten Fluges, erweckt den Anschein, dass Danny bereits vor dem Start beschlossen hatte, das Flugzeug seines Vaters zu steuern. Mit schrecklichen Konsequenzen für den Piloten, ihn selbst, seine Familie und, wer weiß, vielleicht sogar ganz Amerika?«

Zu den letzten Worten der Reporterin, einem übertrieben dramatischen Flüstern, das selbst Sahara nicht so perfekt hingekriegt hätte, wird noch einmal das Handyvideo gezeigt.

Ist es das Foto, das mir solches Unbehagen einflößt? Oder etwas anderes?

Die Meldung endet und ich klicke noch mal auf Anfang, diesmal aber schalte ich den Ton aus, nicht nur, weil ich der hysterischen Reporterin mittlerweile am liebsten den Hals umdrehen würde, sondern auch, um mich besser auf die Bilder konzentrieren zu können, falls mir irgendetwas entgangen ist.

Und als ich mir den Bericht noch einmal ansehe, wird mir klar, was mich so irritiert hat: sie. Das zierliche braunhaarige Mädchen – die Art, wie sie ihren zarten kleinen Arm um seine Taille gelegt hat, den Blick anhimmelnd auf ihren steinreichen Hauptgewinn gerichtet.

Da ist absolut nichts zwischen den beiden. Jeder Idiot kann das sehen. Diese dämliche Reporterin bläst die Geschichte nur maßlos auf.

Als Danny das Minimädchen küsst, verschwindet meine Wut und wird durch ein anderes Gefühl ersetzt – das Gefühl zu fallen. War es so für Danny, als er zu Boden trudelte? Oder …

Bei der letzten Aufnahme, die in dem Moment einfriert, als seine Lippen auf ihre treffen, fällt mir wieder ein, was Stacie auf Laurels Party zu mir gesagt hat, und endlich ist mir alles klar. Wie kann ein Mädchen, das so gut in der Schule ist wie ich, im wahren Leben bloß so dämlich sein? Es ist gar nicht die Videoaufnahme. Es ist auch keine unheilvolle Vorahnung oder sonst ein mysteriöser Hinweis.

Es ist, schlicht und ergreifend, Eifersucht.