56

Auf dem Hügel, auf dem Benitos Einheit Stellung bezogen hatte, stand eine Kapelle mit einem Glockenturm. Die Tür war verrammelt. Benito und Ferrante schlugen sie ein, damit die Männer beten konnten. Zudem bot der Glockenturm einen Ausblick über die gesamte Stadt.

Santiago de Querétaro hatte nicht mehr als vierzigtausend Einwohner. Von den Hügeln waren die Häuser, Klöster und Kirchen so fest umschlossen wie von den Fingern einer Faust. Nur ein Idiot oder ein Verzweifelter wählte eine Stadt, die sich von der Höhe aus so leicht in Schach halten ließ, zu seinem Hauptquartier. Maximilian von Habsburg war kein Idiot. Er hatte Santiago de Querétaro gewählt, weil es die letzte kaisertreue Stadt des Landes war.

Kaum angekommen, hatte er seinen fähigsten General, Marquez, den Tiger von Tacubaya, ausgesandt, um im Süden Truppen zu sammeln und die rund neuntausend Mann in der Stadt zu verstärken. Bisher war Marquez nicht zurückgekehrt, und inzwischen hatten sich die republikanischen Heere unter Escobado und Corona vor der Stadt vereinigt und auf den umliegenden Höhen und Pässen verteilt. Ein drittes Heer, das unter dem Befehl von Porfirio Diaz verblieben war, würde den Kampf um die Hauptstadt ausfechten.

Santiago de Querétaro hingegen, vielleicht die schönste Stadt Mexikos, stand unter Belagerung und unter täglichem Beschuss. Bisher war der Einsatz so reibungslos verlaufen, dass es schwerfiel, die Männer zur Wachsamkeit zu mahnen. Selbst schwere Artillerie hatten sie ohne nennenswerte Gegenwehr in Stellung bringen können. Maximilians neuntausend Mann hatten den dreimal so starken Republikanern wenig entgegenzusetzen, und doch durfte ihnen kein Ausfall gelingen. Porfirio Diaz würde Marquez aufhalten, aber ein weiterer General, der der Stadt entkam, mochte ihnen mit Verstärkung in den Rücken fallen und sie zwischen zwei Fronten einkesseln. Damit wären die Karten noch einmal neu gemischt, der Krieg würde weiter wüten, und dazu besaß das Land nicht mehr die Kraft. Sie mussten ihn hier zu einem Ende bringen.

Benito konnte nicht schlafen. Er war längst fahrig und überwach, ein gefährlicher Zustand für einen Befehlshaber, doch seine Furcht machte jegliche Erholung undenkbar. Ohne Ruhe jagte sein Blick über die Stadt, als bestünde die geringste Chance, dort eine Gestalt auszumachen, ein vertrautes Gesicht. Die steinernen Bögen des Aquädukts schimmerten im Licht der Sterne, und nicht weit davon zog sich das glitzernde Band des Rio Querétaro, der in lebhaften Wellen durch die Stadt trieb. Die Frühlingstage von Querétaro waren golden und sonnig, aber die Nächte waren kalt. Lag sie in einem dieser Häuser wach und fror?

Die Generäle hofften darauf, dass Maximilian, dem in seiner Stellung im Convento La Cruz die Vorräte knapp wurden, nicht mehr lange durchhalten, sondern sich ergeben würde. Andernfalls würde binnen kurzem der Befehl zum Angriff ergehen, und was das für die Bevölkerung der Stadt bedeutete, wollte Benito sich nicht vorstellen. Veracruz, hämmerte es in seinem Kopf ohne Unterlass. Veracruz. Ehe das geschah, musste er einen Ausweg finden.

Warum er sich schließlich entschied, ein Stück nach links den steil abfallenden Hang hinunterzusteigen, um das schmale Flusstal dahinter zu prüfen, wusste er nicht. Vermutlich entwickelte man in etlichen Jahren Krieg ein Gespür und verlor dafür andere Fähigkeiten, die einem später, beim Weiterleben, fehlten. Der Mann, der auf Wache stand, schien im Stehen zu schlafen. Benito trat ihm vor das Schienbein, er fuhr zusammen und salutierte stumm.

Ebenso stumm wies Benito auf das Clairon, das der Mann vor der Brust trug, und ließ es sich aushändigen. Auch das tat er, ohne sich nach Gründen zu fragen. Durch Geröll und in Schlangenlinien um Felsvorsprünge stieg er der schwer einsehbaren Senke um den Fluss entgegen. Als Lösung für sein Problem verwarf er sie sofort wieder. Sie war zu kurz, öffnete sich zu schnell zur Stadtseite hin, so dass er im Nu im Sichtfeld des Gegners stünde und schneller erlegt wäre als ein am Boden hockender Baumstachler. Aber einen Weg musste es geben. Was immer es kostete, er musste in diese Stadt.

Und dann hörte er sie, getarnt durch das Gurgeln des Flusses. Hufschläge von Pferden, die, wenn man das Ohr an die Erde legte, wie entferntes Donnergrollen klangen. Kavallerie. Jenes Gespür ohne Denken, ohne Fragen nach Gründen befähigte zu irrwitziger Schnelligkeit. Benito rannte bergauf, blies im Laufen das Clairon, riss mit der freien Hand den Hinterlader von der Schulter. »Wecken! Aufstellen!«, brüllte er dem Wachmann zu, und einem zweiten, der von links kam, schrie er entgegen: »Auf den Turm! Die Glocken läuten!« Wenn der Ausfall der Kavallerie an mehr als einer Stelle geplant war, mussten sämtliche Mannschaften aus dem Schlaf gerissen werden.

Den Überraschungseinsatz bei Nacht hatte er mit seinen Männern trainiert, bis sie ihm die Schwarze Kotzerei wünschten. Die komplette Einheit stand in Windeseile bereit und in der Senke, wo die ausfallenden Kavalleristen der Enge wegen ihre Linien teilen mussten. Sie fingen sie ab. Auf diese Weise ließ sich mit dreißig Mann ein Pass halten, bis die dröhnenden Glockenschläge Verstärkung herbeiriefen. »Lärm machen«, schrie Benito die Leute an, »blind drauflosfeuern.« Um Munition brauchten sie sich nicht zu sorgen, es waren die Belagerten in der Stadt, denen die Bestände ausgingen, sie selbst hatten Nachschub genug. Benito stand in zwei Schritt Höhe auf einem Vorsprung und feuerte auf die Pferde der linken Flanke. Vielleicht schwächte die Erschöpfung seine Wachsamkeit, vielleicht lenkte die Furcht, die ihn nicht losließ, ihn ab. In jedem Fall sah er das Geschoss, das als lodernder Blitz von rechts durch die Nacht brach, erst, als es zu spät war.

Er hatte auch das mit seinen Männern trainiert. Bei Verstand bleiben, ein Geschoss einschätzen, wenn es auf das eigene Leben zuraste. Woher aber sollte man wissen, wie ein solcher Wahnsinn sich trainieren ließ? Instinktiv warf er sich nach links, presste sich in die Erde des Hangs. In seinem Kopf explodierte ein Lichtball, als die Kugel in seine Seite drang. Kurz nahm der Schmerz ihm die Sinne, aber kurz genug, um sich sogleich auf die Knie zu rappeln, das Gewehr auszurichten und ins Dunkel um sein Leben zu feuern. Es ist nicht schlimm, schrie er stumm seinen Gliedern zu, ein Streifschuss, du stirbst nicht daran. Viel half es nicht, die Glieder hörten nicht auf zu zittern, doch zum Glück machte das wenig Unterschied. In der Nacht ließ sich ohnehin nicht präzise zielen, auch wenn die weißen Hosen von Maximilians Cazadores durch die Schwärze leuchteten.

Als der Morgen graute, war der Ausfall, der eher kühn als klug gewesen war, zurückgeschlagen. Das Gras der Senke war blutdurchtränkt, und dicht bei dicht, bis ans Ufer des Flusses, lagen die Leichen von Männern und Pferden. Die Glockenschläge, dazu gedacht, Gläubige zum Sakrament zu rufen, hatten in der Nacht einen Sturm entfesselt. Von den gut fünfhundert Mann, die der Kaiser in seiner Verzweiflung ausgesandt hatte, war keine Handvoll entronnen, während ihre eigenen Reihen kaum Verluste erlitten hatten.

Benitos Glieder zitterten noch immer. Blut und Schweiß klebten ihm die Kleider an den Leib. Die Wunde, die über seiner Hüfte klaffte, war länger und tiefer, als er gehofft hatte, aber sie stellte keine Gefahr dar. Wenn er sich unvorsichtig bewegte, sickerte noch ein wenig Blut, doch es strömte nicht mehr, und der Schmerz setzte ihm zwar zu, doch er war bei weitem nicht stark genug, um seine Furcht zu übertönen. Der Kaiser würde sich nicht ergeben, er war offenbar entschlossen, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Es würde nicht mehr lange dauern. Er musste in diese Stadt!

»Sie müssen sich hinsetzen, Capitán.« Valverde, der Stabsarzt, war zu ihm getreten und langte nach seiner zitternden Hand. »Sie haben mächtig Blut verloren.«

»Haben Sie keine anderen Sorgen?«, bellte Benito den Mann an.

Der lächelte strahlend. »Offen gestanden nicht, Capitán. Wir haben mehr Ärzte als Verwundete.«

Benito, der wusste, dass er sich kindisch benahm, ließ ihn die Wunde verbinden. Ihm war schwindlig. Die Sonne begann zu brennen, und von neuem brach ihm der Schweiß aus. Vor seinen Augen schien die Hitze zu flimmern, so dass er die Männer, die sich an den Ufern des Flusses bewegten, wie durch verschmiertes Glas sah. »Sie sollten wirklich nicht stehen«, sagte Valverde. »Am besten, Sie kommen mit mir nach oben, und ich setze Ihnen schnell ein paar Stiche.«

»Lassen Sie mich mit Ihrem Schafsdarm in Ruhe.« Benito riss sich los und rannte hinunter zum Fluss, denn er hatte in diesem Augenblick begriffen, was die Männer dort trieben. Sie packten die Leichen der Cazadores an Armen und Beinen und schleuderten sie in die fließenden Wellen. Dabei entstand ein Gelächter und Gejohle wie unter Kindern, die in sommerlicher Hitze am Ufer plantschten.

»Sofort aufhören!«, brüllte Benito. »Habt ihr den Verstand verloren?«

Der Schmerz in seiner Seite zwang ihn, innezuhalten. Ein paar der Männer, darunter Guerrero, drehten sich verwundert um. Scham überfiel ihn. Er betrug sich wie ein Waschweib. An etwas mussten die Männer schließlich ihre Anspannung abreagieren, und wenn sie es an Toten taten, entstand keinem Lebenden ein Schaden. Weshalb nur war er mit einem Magen gestraft, der sich ihm bei jedem Unsinn bis an die Kehle blähte?

»Lassen Sie den Männern doch den Spaß«, vernahm er hinter sich eine Stimme, die einem von Ferrantes Mayors gehörte. »Die Kadaver treiben in die Stadt und machen den Maxen klar, was ihnen blüht, wenn sie so was noch mal versuchen.« Er lachte und klopfte Benito auf die Schulter. »Der Oberst will Sie sprechen. Vermutlich gibt er Ihnen meinen Posten, und verdenken kann ich’s ihm nicht!«

Benito erfasste kaum, was der Mann ihm sagte. Wie gebannt starrte er noch immer auf die Männer, die wieder angefangen hatten Tote ins Wasser zu werfen. Er hatte die Lösung für sein Problem gefunden. Er wusste jetzt, wie er in die Stadt gelangen konnte.

»He, Mann, hören Sie mir überhaupt zu? Sie sollen zum Oberst, und ich an Ihrer Stelle hätte es eilig damit. Für das, was Sie heute Nacht hier veranstaltet haben, kriegen Sie mehr als eine poplige Medaille. Sollte mich nicht wundern, wenn das bis zu Juárez hochgemeldet wird.«

»Tun Sie mir einen Gefallen?«, fragte Benito. »Sagen Sie meinem Cabo, dem Kleinen mit der entzündeten Haut, er soll mir einen von den Toten übriglassen. Einen ziemlich langen, in möglichst kompletter Uniform.«

»Wollen Sie’s machen wie die Matadores? Ihm die Ohren abschneiden?«

»So ungefähr«, erwiderte Benito und begann den Hang hinaufzusteigen. Im Gehen bemerkte er, dass das Zittern heftiger wurde, aber wenn er erst auf dem Weg in die Stadt war, würde es sich sicher legen.

 

Ferrante saß in seinem Zelt vor einem üppig gedeckten Frühstückstisch und rauchte eine Zigarre. Als Benito eintrat, stand er auf. Sein Lächeln war so breit, dass sein Gesicht vollkommen rund erschien. »Sparen Sie sich den Salut. Setzen Sie sich hin.« Weit ausholend wies er über den Tisch. »Ich fand, wir hätten heute mal Grund, es uns wohl sein zu lassen. Diese Hunde wollten sich im Hinterland sammeln, neu geworbene Truppen hinzuziehen und uns in den Rücken schießen. Dafür, dass wir ihnen die Suppe versalzen haben, wird das gesamte Regiment ausgezeichnet, und mir dürfte ein Generalsposten sicher sein.«

Benito war stehen geblieben. Seine Glieder zitterten. All das Herumgerede, die verlorene Zeit bereiteten ihm Höllenqualen.

»Und was machen wir mit Ihnen? Eine Beförderung wollen Sie nicht, einen Orden wollen Sie erst recht nicht – also los, sagen Sie mir, wonach Ihnen der Sinn steht. Ausnahmsweise dürfen Sie dabei Ihrer Unverschämtheit freien Lauf lassen.«

Benito sagte nichts. Im Inneren verfluchte er das Schicksal, das ihn erneut unter Ferrantes Befehl geführt hatte. Jedem anderen Coronel hätte er ohne Hemmungen einen Haufen Lügen erzählt.

»Zum Teufel noch mal«, schimpfte Ferrante. »Stecken Sie sich doch endlich Ihre indianische Hochnäsigkeit in den Hintern! Ich bin stolz auf Sie, geht das nicht in Ihren Kopf? Warum müssen Sie ewig und drei Tage so tun, als würden Sie keinen Menschen brauchen?«

»Tue ich das?«, fragte Benito verblüfft.

»Allerdings. Ich hatte Ihnen übrigens gesagt, Sie sollen sich setzen.«

»Bitte«, murmelte Benito, »erlauben Sie mir, stehen zu bleiben.«

Der Coronel wollte um den Tisch herumkommen, hielt aber auf halbem Weg inne und musterte ihn. »Vortreten«, befahl er ihm barsch. »Bis vor die Stuhllehne.«

Benito trat zwei Schritte vor.

»Hände auf die Lehne«, bellte Ferrante.

Zögernd streckte Benito seine zitternden Hände vor und legte sie auf die Lehne des Stuhls.

»Bitte schön«, sagte Ferrante, »wenn Sie zu stur zum Sitzen sind, bleiben Sie meinetwegen stehen, aber stützen Sie sich auf die Lehne. Ich will nicht, dass Sie mir hier zusammenklappen, und ich darf den Dreck dann wegputzen.«

»Ich bin nicht zu stur zum Sitzen. Ich habe nur Angst …«

»Sie haben Angst, Sie kommen nicht wieder hoch? Die mag berechtigt sein, aber Sie müssen ja auch gar nicht wieder hoch. Bleiben Sie hier oder legen Sie sich in Ihr Zelt, machen Sie, was Ihnen passt. Sie haben Urlaub, bis Sie sich erholt haben. Die Wunde ist doch nicht schwer, oder doch?«

»Nein, gar nicht. Mein Coronel …«

»Hören Sie auf, wie ein Feigling zu stottern«, blaffte Ferrante ihn an. »Ich habe Ihnen im Leben nie ein Haar gekrümmt, und gerade habe ich Ihnen gesagt, Sie sollen sich von mir wünschen, was Sie wollen. Also raus mit der Sprache. Darauf, dass es wieder einmal der größte Unsinn sein wird, bin ich bei Ihnen ja gefasst.«

»Ich will in die Stadt«, sagte Benito.

»Welche Stadt? Die da draußen?« Der Coronel kratzte sich an der Stirn. »Was immer Sie da wollen, das geht nicht. Die Maxen fangen uns jeden Späher weg und hängen ihn so hoch auf, dass wir von hier oben sehen, wie ihm die Zunge aus dem Maul schleift.«

»Meine Leute werfen die toten Cazadores in den Fluss«, redete Benito gegen das Zittern, gegen den Schmerz in der Seite und gegen das Verrinnen der Zeit an. »Sie lassen sie in die Stadt treiben, um die kaiserlichen Truppen abzuschrecken. Einer meiner Capos hält mir einen zurück, ich tausche mit ihm die Uniform und treibe mit den Leichen nach Santiago.«

»Sie sind aber keine Leiche!«, schrie Ferrante. »Sie gehen wie ein Mehlsack unter, Sie verdammter Idiot.«

»Ich kann schwimmen.«

»Soso. Und was können Sie noch? Fliegen?«

»Dann hätte ich das Problem nicht«, erwiderte Benito.

»Nein«, sagte Ferrante. »Gehört das Wort zu Ihrem Wortschatz? Nein, nein, nein. Was Sie mir da erzählen, ist Wahnsinn, und es gibt nicht den geringsten Grund dafür. In spätestens drei Wochen ist diese Stadt unser, dann können Sie darin tun, was Sie wollen.«

»Dann ist es zu spät.«

»Und warum das?«

Benito ließ die Stuhllehne los, richtete sich auf und sah ihn an. »Weil mein Mädchen aus Veracruz in der Stadt ist«, sagte er. »Mit einem kaiserlichen Offizier. Ich wollte sie aus Chapultepec holen, aber ich bin zu spät gekommen. Sie war schon mit ihm auf dem Weg hierher.«

»Augenblick mal.« Ferrante ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen. »Habe ich Sie richtig verstanden? Sie wollen sich als Leiche in die von Maxen besetzte Stadt treiben lassen, um einem Kaiserlichen die Frau zu stehlen. Aber Fieber haben Sie nicht? Und ganz bei Trost sind Sie auch?«

»Nein«, sagte Benito. »Bitte stellen Sie mir keine Fragen. Sie haben mit allem recht, aber ich kann nicht schlafen, und ich kann jetzt auch nicht mehr kämpfen, ich bin toll vor Angst, dass ihr dadrinnen etwas geschieht. Ich weiß auf nichts eine Antwort – ich weiß nicht, wo sie untergebracht ist, ich weiß nicht, ob sie mit mir geht, ich weiß nicht mehr, als dass ich sie da herausholen muss.«

»Mit der Frau aus der Stadt müssen Sie ja auch noch.« Der Coronel stöhnte, und sein ewig spöttisches Gesicht schien bestürzt. »Wie wollen Sie denn das anstellen, Mann?«

»Hinauszukommen dürfte nicht schwierig sein. Ich habe eben die Losung vergessen, und ich will mit einem Mädchen in die Büsche – irgendein Kamerad wird mich schon durchlassen.«

»Sie schlottern am ganzen Leib. Sie verlieren gerade wieder Blut. Verdammt noch mal, Sie gehen mir dabei drauf.«

»Ich bin zäher als Ihr ältester Schuh. Das kommt vom Amarant.«

»Sparen Sie sich Ihre blöden Witze!«, schrie Ferrante.

»Sehr wohl«, sagte Benito und senkte den Kopf. »Bitte lassen Sie mich gehen, mein Coronel. Wir haben bald vierzigtausend Mann auf diesen Hügeln, und ständig kommen weitere hinzu. Sie brauchen mich nicht mehr.«

»Und was ist an dieser Frau von dem Maxen, die Sie wahrscheinlich sowieso nicht will? Haben andere Mütter etwa keine schönen Töchter? Ich habe eine süße Nichte in Orizaba, von mir aus können Sie die haben, nach dem Krieg.«

»Ich weiß das zu schätzen«, sagte Benito, der sicher war, dass ihm jeden Moment die Stimme versagen würde. »Wirklich.«

»Aber Sie wollen nicht.«

Er schüttelte den Kopf, wobei ihn ein Schwindelanfall fast zur Seite warf.

»Dann scheren Sie sich zum Teufel.«

»Danke, mein Coronel.« Es kostete Mühe, sich umzudrehen und die paar Schritte bis zum Zelteingang zu gehen, aber die Luft draußen und das Wasser des Flusses würden das besser machen. Vor der Plane blieb er noch einmal stehen, hielt sich daran fest und drehte sich nach Ferrante, der aufgestanden war, um. »Es tut mir leid«, stammelte er. »Dass ich Ihnen all den Ärger mache, meine ich. Ich wollte nie Soldat werden, ich wusste, ich bin dazu völlig ungeeignet, und ohne Sie säße ich längst im Narrenhaus …«

»Jetzt halten Sie mal den Mund«, sagte Ferrante und wies vor sich auf den Boden. »Kommen Sie hierher.«

Wenn er zuschlägt, lass ihn, beschwor sich Benito und ging die paar Schritte zurück. Es kostet kaum Zeit, und er hat allen Grund dazu.

Der Coronel legte die Arme um ihn und drückte ihn geradezu behutsam an sich. »Gehen Sie mit Gott, Sie verrückter Teufelskerl«, sagte er. »Wenn Sie sie haben, Ihre Katharina, bringen Sie sie zu uns. Wir passen für Sie auf sie auf.«