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Weiß und erhaben ragten die Mauern der Arena ins Himmelsblau. Valentin kannte blaue Himmel aus seiner Tiroler Heimat, aber etwas, das sich mit dieser gläsernen Klarheit vergleichen ließ, hatte er in bald achtundzwanzig Lebensjahren nie gesehen. Auch Berge wie die, die den Horizont begrenzten, sobald sich zwischen den Häusern der Riesenstadt eine Lücke auftat, kannte er nicht. Er war in den Bergen aufgewachsen und glaubte ihre Größe und ihre Majestät im Blut zu haben, doch diese beiden Gipfel schienen an den Himmel zu rühren. Und so still und friedvoll sie an diesem Sommertag wirken mochten, in ihrem Innern kochte die Glut der Erde. Ihre Namen waren unaussprechlich.

Die Ankunft in Mexiko hatte unter keinem guten Stern gestanden. Dass außer Veracruz keine Stadt des weiten Landes über Gaslicht verfügte, war das kleinste von allen Übeln – hinzu kamen unbefestigte Straßen, Kutschen, die so schwer waren, dass sie auf dem holprigen Boden umstürzten, und Betten voller Ungeziefer. Die erste Nacht in der Hauptstadt musste der Kaiser deshalb auf einem Billardtisch verbringen. Max jedoch hatte alle Unbill mit guter Miene ertragen und seinen Begleitern Mut zugesprochen. Was den tapferen Mann seiner Fassung beraubte, waren nicht die bedrückenden Verhältnisse, sondern der Empfang der Menschen. In Veracruz, wo Valentin frenetischen Jubel erwartet hatte, hatte eisiges Schweigen sie begrüßt. Schwer und lastend hing die Luft, als wäre selbst diese ihnen feindlich gesinnt.

In Puebla und Orizaba war die Aufnahme erfreulicher gewesen, aber hier in der Hauptstadt hatten Rebellen den eigens errichteten Triumphbogen umgeworfen, sobald Max und Charlotte aus der Kathedrale traten. Nur dem Himmel war es zu danken, dass dem Herrscherpaar nichts geschehen war, und dennoch verzichtete Max auf die Verfolgung der Täter. »Ich wünsche, dieses Land durch Großmut zu gewinnen, nicht durch Härte«, erklärte er seinen Offizieren. In seiner Stimme schwang kein Zorn, doch die Trauer war nicht zu überhören.

Heute aber war ein neuer Tag, und heute würde der Traum von Mexiko für Max beginnen. Für Valentin, so schwer es fiel, dies zu begreifen, hatte er bereits begonnen. Er sah noch einmal über die Mauer der gigantischen Arena hinweg ins Blau des Himmels und dann zur Seite, auf seine Begleiterin. Das Lächeln, das etliche Frauen verzückt hatte, wollte sich nicht einstellen. Diese Frau vermochte er nicht anzulächeln, nur anzusehen und innerlich still zu werden wie an dem Tag, als Max Kaiser von Mexiko wurde.

Sie lächelte auch nicht. Die ganze Fahrt über, seit er sie vor dem Palais, in dem sie wohnte, abgeholt hatte, war ihre Miene ernst geblieben. Gesprochen hatten sie auch kaum. »Ihr Haus passt zu Ihnen«, hatte er gesagt. In der Tat, das hohe Schlösschen hinter dem Park, das nichts Zuckriges, Verspieltes an sich hatte, passte zu der fremden Prinzessin, war verwunschen und geheimnisvoll wie der Blick ihrer unglaublichen Augen. Sie sei aus Hamburg, hatte sie ihm erzählt. Er war nicht ganz sicher, wo Hamburg lag, aber dass eine Frau wie sie aus einer so banalen Stadt stammte, vermochte er sich nicht vorzustellen. »Eigentlich doch nicht«, berichtigte sie, »geboren bin ich in Veracruz.«

Das passte besser. Auch wenn Veracruz ihn erschreckt hatte – die Frau erschreckte ihn schließlich auch, und er war kein Mann, der sich leicht schrecken ließ. Trug nicht alles Wundervolle einen Funken des Schreckens in sich? Es hätte ihr Name sein können. Vera Cruz. Sie hieß Katharina.

Vermutlich war sie nicht einmal schön. Groß und schlank war sie und nicht mehr jung. Frauen mit schwarzem Haar hatten ihm nie gefallen. Das ihre, das sie nicht ordentlich frisiert, sondern nur von einem Band gehalten trug, fiel in dichten Massen bis in ihre Taille. Keine anständige Frau hätte solches Haar haben dürfen, schon gar nicht zu solchen Augen. In ihm tobte der Wunsch, die Hände in diesem Haar zu vergraben.

Was ihm geschah, begriff er nicht und versuchte nicht, es zu begreifen. Seine Welt mit ihren Werten und Regeln lag hinter ihm. Dies hier war die neue Welt. Alles war anders, wie aus Fesseln gelöst, selbst das Flimmern der Hitze und der Duft der Luft. Auf den Straßen der Hauptstadt, die dreimal so breit waren wie in Triest, lieferten sich die Kutscher mit ihren Wagen Rennen. Der affenartige Bursche, den man ihm zugeteilt hatte, verstand kein Wort Deutsch und erfasste dennoch im Nu, dass sein neuer Herr an diesen Rennen teilnehmen und als Sieger daraus hervorgehen wollte.

Alles war anders. Er sah die Frau an, die an seinem Arm durchs Tor der Arena schritt, und erkannte, dass es das war, was er gewollt hatte – das Große, das Außergewöhnliche, das erobert werden musste. Das Ende der Banalität. »Wohin gehen wir?«, fragte sie mit ihrer rauhen, beinahe männlichen Stimme.

»Lassen Sie sich überraschen«, erwiderte er und betrat mit ihr den Zuschauerraum der Arena, die sich wie ein antikes Amphitheater vor ihnen auftat.

Der Mexikaner, der sie führte, sprach nur gebrochen Deutsch, war aber wenigstens kein Indio. »Zweiter Ring, Sobrepuertos«, sagte er und wies nach oben auf den Rang, wo es Sitze mit Rückenlehnen gab. »Besser für Neulinge und Damen. Vorne im Barreras spritzt Sand und Blut.«

Erregung packte Valentin. Die Zuschauerreihen waren zum größten Teil bereits gefüllt, und während sie die steinerne Treppe hinauf zu ihren Plätzen stiegen, setzte Musik ein. Es war ein Marsch, der Valentins Soldatenblut in Wallung brachte, aber er war von einer Sinnlichkeit, die europäischen Märschen fremd war. Ein Marsch für die Liebe, durchfuhr es ihn. Sein Arm, auf dem Katharinas Hand lag, spannte sich. Ihre Finger schlossen sich um seinen Muskel, und ihre Blicke trafen sich in wortlosem Verstehen.

Seine Kameraden waren allein gekommen, obwohl die Einladung mit Damen ergangen war. Valentin spürte ihre Blicke, als er Katharina vorstellte. Später würde man ihn fragen, wo er sie aufgetrieben habe, man würde die üblichen Witze reißen, und er würde es sich mit einem Wort verbitten. Was zwischen ihm und Katharina geschah, taugte nicht für Scherze.

Im Niedersetzen berührten sich ihre Schenkel. Das Kleid, das sie trug, gefiel ihm nicht. Es war zu schlicht, hätte Veronika gestanden, doch nicht ihr. Er nahm sich vor, ihr ein Kleid zu schenken, so spektakulär, dass es beinahe verboten war, und im Rot von dunklem Blut. Zum Gedanken an Blut passte der bedrohliche Akkord des Orchesters. Hier geht es um kein Spiel, verkündete die dunkle Tonfolge. Gleich darauf setzte die Musik aus, und dann leitete ein Trommelwirbel einen Triumphmarsch ein.

Das Spektakel begann.

Ein Reiter auf einem Rappen sprengte in die Arena, dass der Sand, in den zwei Kreise gezeichnet waren, aufwirbelte. Er galoppierte bis zu der Stelle, wo die hölzerne Barriere um den Ring unterbrochen war. Dahinter lag ein Tor, und darüber befand sich eine Loge, in der Angehörige der Stadtregierung saßen. Einer von ihnen reichte an einer Stange einen Schlüsselbund hinunter. Valentin wusste nicht, wo er zuerst hinsehen sollte, denn zugleich ritten zwei weitere Reiter in den Ring. »Picadores«, erklärte ihr mexikanischer Führer. Die Männer trugen übertrieben gemusterte Anzüge mit kurzen Jacken und altmodische Lanzen, von deren Schäften rote, weiße und grüne Bänder wehten. Ihnen folgten vier ähnlich gekleidete Männer zu Fuß, bewaffnet mit kurzen, ebenfalls mit Bändern geschmückten Spießen. Sie winkten dem Publikum zu, das ihren Gruß mit gemessenem Applaus bedachte.

Gleich darauf schlug die Gemessenheit in wilden Jubel um. Ein einzelner Mann betrat die Arena, das schwarze Haar mit Brillantine zurückgestrichen und die Kleider – schwarz und golden – so eng auf den Leib geschneidert, dass jeder Muskel den Stoff spannte. Die Zuschauer sprangen von den Sitzen und brüllten: »El Matador! Viva el Matador!« Der Mann erwiderte die Begeisterung lediglich mit einem Heben der Hand. Auf seinem Gesicht lag ein Zug von solchem Hochmut, als ließe alles Lärmen der Welt ihn kalt.

Valentin gehörte nicht zu den Männern, die andere Männer begafften, schon gar nicht Männer mit verlebten Zügen, zu engen Kleidern und zu schwarzem Haar. Dennoch hatte der Matador etwas an sich, das ihn zwang, ihn anzusehen. Es war der Stolz, mit dem er ging, und noch mehr. Die Todesverachtung. Valentin hatte Männer erlebt, die vor der Schlacht heulten, kotzten und nach ihren Müttern schrien. Der Matador aber sah dem Tod mit Kälte entgegen. Während die Musik sich steigerte und der Jubel schwoll, schritt er ungerührt die Barriere ab. Nur wer es selbst schon getan hatte, erkannte, dass seine Lippen ein stimmloses Gebet formten.

Die Musik verstummte. Einen Herzschlag lang herrschte Schweigen, dann zerschnitt das Signal eines Horns die Sommerluft. Die Banderilleros mit den geschmückten Spießen verließen im Laufschritt die Arena. Der Rappenreiter öffnete mit dem Schlüsselbund das Tor, dann wendete er sein Pferd und sprengte im Galopp aus der Arena. Gleichzeitig wichen die Picadores in den äußeren der Kreise zurück. Allein der Matador stand vor dem Tor und erwartete sein Schicksal. Den Stier.

In versammeltem Trab verließ das Tier den Corral. Es hatte keinen Blick für das johlende Publikum und keinen für die Picadores auf ihren tänzelnden Pferden, sondern nur für den Matador. Der Stier verhielt und scharrte mit einem Huf im Sand, dass unter dem schwarzen Fell die Muskeln spielten. Eine kleine Ewigkeit lang standen sie Auge in Auge. Dann griff der Stier an. Mit gezügelter Kraft galoppierte er auf den Mann zu, der ihm ein großes rot-gelbes Tuch als Angriffsfläche bot. Geschmeidig schwang er zur Seite und ließ den Stier ins Leere laufen. Der vollführte ein paar Sprünge, lief sich aus, ehe er stehen blieb und den mächtigen Kopf wandte. Der Matador trat zwei Schritte zurück und überließ den Picadores das Feld.

Unschwer war zu erkennen, dass diese die Aufgabe hatten, den Stier zu reizen und anzustacheln. Sie ritten auf ihn zu, drehten so spät wie möglich um und sprengten ein Stück weit davon, um dann erneut zu wenden und das Tier zu stellen. Ein paarmal ließ der Stier sich darauf ein, setzte aber nur wenig Kraft ein, so dass die Zuschauer begannen ihn auszubuhen. Dann, bei seinem fünften Anlauf, schwenkte er plötzlich nach links aus. Der Picador bemerkte die Bewegung zu spät, warf sich zur Seite und riss das Pferd im Maul, doch ehe das Tier vom Fleck kam, hatte sich das Horn des Stiers in seine Flanke gebohrt. Gepeinigt bäumte es sich auf, warf den Reiter ab und bleckte wiehernd die Zähne.

Der Stier lief bis an die Barriere weiter, drehte sich um und galoppierte auf den Picador zu, der reglos im Sand lag. Spätestens jetzt war auch dem letzten Zuschauer klar, dass dies kein Spiel war, sondern tödlicher Ernst. Ein Trupp Helfer übersprang die Barriere, konnte den Gestürzten jedoch nicht mehr erreichen. Im letzten Moment ritt der zweite Picador so nah an den Stier heran, dass er ihm die Spitze seiner Lanze in den muskelbepackten Nacken bohren konnte. In einer Wolke wirbelnden Sandes schoss der Stier herum und jagte auf den Angreifer zu, der die Lanze losgelassen hatte und davongaloppiert war. Sein gestürzter Gefährte rappelte sich auf und floh hinter die Barriere.

Das Publikum raste. »Viva el Toro!«, erscholl es aus tausend Kehlen. »Es lebe der Stier!«

Valentins Blick fuhr zur Seite. Auf Katharinas Gesicht, in ihren aufgerissenen Augen erkannte er denselben gewaltigen, geradezu heiligen Schrecken, der ihm in der Brust toste. Ihm wurde klar, dass er mit keiner Frau, die er kannte, dieses grandiose Schauspiel hätte teilen können, nicht mit Ildiko, die höchstens den Theatertod der Oper liebte, und schon gar nicht mit der zarten Veronika. Aber mit ihr. Mit Katharina. Ihre Hände schlossen sich umeinander so fest, als wollte einer dem anderen die Knochen brechen. In der Arena setzte der Matador sein Geplänkel mit dem Stier fort, lockte ihn und wich ihm aus, wobei unverkennbar war, dass dies der Vorbereitung diente und der wirkliche Kampf noch ausstand. Ein wenig glichen die beiden einem tanzenden Paar, dem man ansah, dass sein Drehen und Schwingen der Auftakt zu etwas Größerem war.

Wie bei uns, dachte Valentin und wünschte sich, mit Katharina zu tanzen. In der Arena, in der der Tod zum Sprung ansetzte, in der das Blut vom Nacken des Stiers in den Sand troff und das waidwunde Pferd davongeschleift wurde. Ein rotes Kleid sollst du tragen. Und es soll nur der Auftakt sein. Das Signal des Horns beendete die erste Runde.

Die Banderilleros stürmten zur zweiten in den Ring, als ein Trommelwirbel noch einmal Einhalt gebot. Wie ein Mann erhob sich das Publikum beim ersten Ton der Kaiserhymne. Valentin zog Katharina mit sich, hieß sie mit sanftem Druck, den Kopf zu wenden, und zeigte ihr den oberen Rang, wo der Kaiser über den Köpfen der Menge auftauchte. Maximilian von Mexiko. Über ihm nur der weite Himmel und die rote Sonne seines Reiches. »Viva el Emperador!«, ertönte es aus einer heiseren Kehle, und aus unzähligen pflanzte der Ruf sich fort. »Es lebe der Kaiser!«

Auf Maximilians Gesicht breitete sich das Lächeln aus, das ihm in Scharen Herzen gewann. Wir werden es schaffen, rief Valentin ihm in Gedanken zu und drückte Katharinas Hand. Wir werden dieses wundervolle Land umarmen und es uns zu eigen machen.

In der zweiten Runde trieben die Banderilleros den Stier zur Raserei, indem sie ihn mit den rot-gelben Tüchern auf sich lenkten, ihre Körper nach hinten spannten und sie, sobald er nahe genug war, vorschnellen ließen, um ihm die Spieße in den Nacken zu bohren. Anders als der Matador trieben sie durchaus nur ein Spiel, aber eines, das dem Finale den Weg bereitete. Sie waren bedacht, sicheren Abstand zu wahren, doch mit dem Schmerz, den sie dem Stier zufügten, fachten sie den Funken seines Zorns zur Weißglut an. Aus dem Nacken des schwarzen Ungeheuers staken die Spieße, dass er den Kopf senken musste, um die Qual zu ertragen. Blut strömte ihm die Flanken hinunter, doch unermüdlich rannte er gegen seine Widersacher an. »Es lebe der Stier!«, belohnten ihn noch immer einzelne Zuschauer für seine Tapferkeit.

»Es lebe der Kaiser!«, ertönte es dazwischen.

Wenn die Banderilleros dem Stier zu sehr zusetzten, mahnte der Matador sie zur Mäßigung. Er wollte ihn bis an die Grenzen aufgepeitscht. Aber er wollte ihn nicht entkräftet.

Das Horn beendete die zweite Runde.

Einer der kleinen affenartigen Diener eilte herbei und bot Valentin ein Tablett mit zwei Kelchen dar, in denen dunkler Wein funkelte. Valentin tauchte einen Finger hinein, hob Katharinas Hand und ließ einen Tropfen auf ihren Handrücken perlen. Er senkte den Kopf darüber und küsste den Tropfen fort. Erst dann nahm er dem Indio-Jungen die Kelche ab und reichte ihr einen. Der Himmel hinter ihr zerfloss in Flammen. »Auf die Schönheit«, sagte er leise.

Sie erwiderte nur seinen Blick. Der Wein war wie der Kampf in der Arena – schwer und todernst.

Als die dritte Runde begann, war alles Beiwerk verschwunden. Picadores und Banderilleros hatten sich hinter die Barriere zurückgezogen, und der Matador stand allein vor dem Stier. Statt des großen Tuches hielt er nur noch einen roten Fetzen, die Muleta in der einen Hand und in der anderen den Estoque, den Degen. Im Licht des frühen Abends zeichnete sich die Gestalt des Mannes, der seine Furcht überwand und sich der Bestie stellte – der stolz erhobene Kopf, die zurückgelehnten Schulterblätter, die Spannung von Bauch und Schenkel. Die Musik setzte wieder ein, der Marsch von Liebe und Tod, dessen Takt Valentin bis in die feinste Ader spürte. Der Stier, auf der anderen Seite der Arena, spie blutigen Schaum in den Sand. Beiden blieb nur die Wahl zwischen Sterben und Töten. Der Stier senkte den Kopf in den Lauf und griff an.

Ein Raunen ging durch die Menge.

»Mata el Toro!«, brüllte jemand, und auch dieser Ruf pflanzte sich fort. »Töte den Stier!«

Der Matador vermochte den Stier zu lesen, vorauszuahnen, dass er aufs Neue im Galopp den kleinen Schwenk vollziehen würde, der vorhin das Pferd das Leben gekostet hatte. Er beging keine feige Täuschung, spielte dem Publikum keine Gefahr vor, die nicht bestand, sondern blieb stehen, bis die tödlichen Hörner für den Bruchteil eines Herzschlags auf seinen Leib gerichtet waren. Erst dann schwang er zur Seite, vollführte die kleinste Bewegung, die nötig war, um den Hörnern zu entkommen. Vollendeter konnten Tod und Schönheit keinen Tanz eingehen. Wenn der Mann dabei stirbt, dann hat er wenigstens gelebt!

Katharina sprang auf. Wie aus Marmor geschaffen stand sie vor ihm, und der Abendwind spielte mit ihrem Haar. Gebannt sah sie in die Arena hinunter, wo der Stier von neuem angriff. Valentin stand ebenfalls auf und drehte ihr Gesicht zu sich. »Das darf nicht sein!«, kam es von ihren Lippen – ein zum Flüstern gewordener Schrei. »Es darf nicht so schön sein zu töten.«

»Doch«, flüsterte er zurück und vergaß, dass um ihn Menschen waren, dass er von dieser Frau nichts wusste und dass er sie noch gestern nicht gekannt hatte. »Nur Tod und Liebe zusammen sind so schön. Mit keinem kann ich das teilen. Nur mit dir.«

Ihre Blicke umfingen einander, als wären sie allein. Dann wandten beide die Köpfe wieder nach der Arena und sahen zu, wie der Stier die verbleibende Kraft für einen letzten Angriff sammelte. Der Matador sah, dass es das Ende war, und sein Respekt für den Gegner verbot ihm, es hinauszuzögern. Bei den letzten Sprüngen zog er den Estoque, brachte mit einer Drehung im Takt der Musik den kleinstmöglichen Abstand zwischen sich und den Stier und stieß ihm von oben die Klinge zwischen die Schultern.

Die Bewegung des Tiers erlahmte, der schwere Kopf warf sich noch einmal auf, und es lag viel mehr Wehmut als Schmerz darin. Dann knickten ihm die Vorderbeine ein, als würde er sich vor seinem Bezwinger verneigen, der mächtige Körper fiel zur Seite und überließ sich dem Tod. Die Zuschauer sprangen von den Sitzen und brachen in orkanhaften Applaus aus.

Den Rest des Spektakels, die Maultiere, die vor den Leichnam des Stiers gespannt wurden, um ihn durch die Arena zu schleifen, und die Ehrenrunde, die der Matador an der Barriere abging, erlebte Valentin wie im Taumel. Sie waren noch auf ein Essen mit dem Kaiser geladen, und in fliegender Hast beschwor er einen Kameraden, ihn dort zu entschuldigen. Der Kamerad lachte. »Der Kaiser wird’s schon verstehen – wenn’s um Weiberröcke geht, entschuldigt er sich doch selbst ganz gern.«

Valentin musste an sich halten, um ihn nicht zu schlagen.

Ihrem mexikanischen Begleiter befahl er, ihm ein Quartier zu besorgen, das nicht von Insekten wimmelte und in das er eine Dame bringen durfte, aber die Verständigung scheiterte am schlechten Deutsch des Mannes und an der Notwendigkeit, die Dinge gesittet zu umschreiben. Stattdessen verstand ihn Katharina. »Wir können im Haus meiner Freundin bleiben«, sagte sie und nannte seinem Kutscher noch einmal die Adresse.

Die Liebe, die sie in dieser Nacht erlebten, ließ Valentin glauben, er habe zuvor nie geliebt. Mit den anderen war er ein Kind gewesen, ein dummer Bub, der nicht wusste, was er tat. Liebe mit Katharina war wie Stierkampf. Ernst und schön und voller Gefahr. Es blieben Narben zurück, und man konnte dabei sterben, aber wenn man es tat, so hatte man wenigstens gelebt.