52. Last Man Standing

 

Karl Wiegner

 

Das ComSys an der Wand erwachte mit einem Dreiklang zum Leben. Wiegner schlug die Augen auf. Er war eingeschlafen. Hastig sprang er von der Liege, rannte zur Wand und nahm das Gespräch an. »Ja.«

»Mein Gott, Karl.«

»Aila. Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Warte kurz.« Wiegner hörte Stimmen im Hintergrund, Schritte, dass Zischen einer Tür. »Karl, bist du noch da?«

»Ja.«

Er hörte sie schluchzen. »Es tut mir so leid. Ich kann dir...«

»Ist okay. Ist alles in Ordnung.«

»Ist es nicht. Wir haben...«

»Ihr habt die Forschungsabteilung isoliert.« Pause. »Du wirst deinen Grund gehabt haben.«

»Die Anlage wurde sabotiert.«

»Von wem?«

»Kranz.«

Wiegner lachte trocken. »Wie in aller Welt hat sie das angestellt?«

Torbeck erklärte es ihrem Freund was geschehen war.

»Gärtner ist vom MAD?« Das schien Wiegner an der Geschichte am meisten zu überraschen. Nach einer kurzen Unterbrechung sagte er: »Du hast richtig gehandelt. Ich bin stolz auf dich.«

»Stolz?«

»Glaube mir, ich kenne genug Pfeifen, die schon bei ganz anderen Situationen die Nerven verloren hätten. Du bist handlungsfähig geblieben und hast getan, was getan werden musste.«

Eine Zeit lang schwiegen sie sich an.

»Was ist mit Katta?«

»Katta?« Es klang, als hörte sie den Namen zum ersten Mal.

»Aila, was ist mit deiner Tochter?«

»Ich weiß es nicht. Wir haben den Kontakt verloren.«

»Tut mir leid.«

Schweigen.

»Ich habe getötet«, sagte Wiegner.

»Ich weiß.«

Natürlich wusste sie das. Hier hingen überall Kameras. Wie konnte er das vergessen. Er hob den Kopf, fand die nächste Kamera und winkte hinein.

»Lass das. Ich finde das nicht lustig.«

»Aila, tust du mir einen Gefallen?«

»Natürlich. Jeden.«

»Wenn wir unser Gespräch beendet haben, schaltest du bitte die Kameras ab.«

»Was hast du vor? Karl, tu das nicht.« In ihrer Stimme schwang Panik.

»Was soll ich machen? Ich will hier drinnen nicht elendig verrecken. Bitte, Aila. Schalte die Kamera ab. Ich möchte alleine sein.«

»Nein. Ich ... Warte mal kurz. Bitte, da ist ein wichtiges Gespräch.«

»Ich warte. Ich habe Zeit.«

»Versprich mir das du wartest.«

»Ich verspreche es.«

»Ich melde mich gleich bei dir. Nur eine Minute.«

Wiegner stand auf und sah sich in der Krankenabteilung um. Vielleicht fand er Schmerzmittel, mit denen er sich eine Überdosis verpassen konnte. Er spürte kein Verlangen, sich selbst mit einem Skalpell in Scheiben zu schneiden. Bei dem Gedanken an die Schmerzmittel machte sich seine Schulter bemerkbar. Nach einigen Minuten gab er es auf. Mit dem, was er gefunden hatte, ließen sich allenfalls Kopfschmerzen kurieren. Das reichte nicht, um sich einzuschläfern. Das Com-System meldete sich. »Ich bin da«, sagte er.

»Karl. Ich brauche dich.«

»Meine Möglichkeiten sind limitiert.«

»Dr. Keim ist in Gefahr. Er ist bei ZERBERUS.«

»In Gefahr? Das gilt für uns alle. Tut mir leid für ihn.«

»Er hat eine Nachricht gefunden. Eine Nachricht, die im Virus versteckt ist.«

»Was für eine Nachricht?«

»Ich weiß es nicht. Aber er ist davon überzeugt, dass sie uns retten kann. Er will sie an die Außerirdischen senden.«

»Was denn für Außerirdische?« Da hatte er wohl einiges nicht mitbekommen. Kranz eine Terroristin, Außerirdische, Botschaften im Virus. Aila erklärte es ihm. Wiegner hörte ihr zu. Dann sagte er: »Da gönnt man sich eine kleine Pause und schon geschehen die verrücktesten Dinge. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Stimmt das wirklich?« Eine außerirdische Invasion. Das überraschte ihn nicht so sehr, wie es sollte.

»Es sieht so aus.«

»Und Keim meint, das interessiert die Außerirdischen, wenn er ihnen eine Nachricht sendet?«

»Er argumentiert, dass eine versteckte Botschaft einen Sinn haben muss. Schlimmer kann es nicht mehr werden. Außerdem ist es das Einzige, was wir tun können.«

»Warum sendet er die Botschaft nicht?«

»Weil ZERBERUS noch nicht mit der Berechnung fertig ist. Mehr kann ich dir nicht sagen. Keim steht unter Druck. Es war nicht leicht mit ihm zu sprechen. Er ist nicht alleine. Danielsen ist zu ihm gekommen. Verletzt.«

»Danielsen hat sich infiziert?«

»Er wollte Keim zur Rede stellen. Jedenfalls ist der Virus bei Danielsen ausgebrochen. Keim konnte sich im Kontrollraum einschließen und sitzt fest.«

»Also müssen wir rein und ihn da rausholen.«

»Genau.«

Wiegner dachte nach. »ZERBERUS ist nur von der Forschungsabteilung zu erreichen. Die Abteilung ist isoliert. Aber innerhalb der Abteilung können die Türen von euch geöffnet werden.«

»So sollte es jedenfalls sein.«

»Gut, dann öffnet die Türen und lasst meine Jungs zu mir kommen.«

»Das geht nicht.«

»Warum?«

»Geh zur Schleuse.«

Wiegner ging durch die Krankenabteilung und betrat den Flur. Die Schleusentür zur Quarantänestation stand offen. Sie hätte sich direkt hinter ihm schließen müssen. Solange die nicht geschlossen war, war es unmöglich die Quarantänestation zu erreichen, die anderen Schleusentüren würden sich nicht öffnen lassen.

»Was ist da los?«

»Das liegt an dem Computervirus, den Kranz in das System eingeschleust hat. Er wirkt sich auf das gesamte Schließsystem aus. Bei den Schleusen sind die Auswirkungen allerdings am größten. Es könnte Tage dauern, bis wir das in den Griff bekommen.«

»Ich bin alleine.«

»Ja.«

»Was ist mit den anderen Türen?«

»Die meisten können wir öffnen.«

»Die Kameras funktionieren?«

»Die meisten.«

»Dann machen wir es so. Ihr öffnet die Türen abschnittsweise für mich und sagt mir vorher, wie es hinter den Türen aussieht und ich kämpfe mich bis zu ZERBERUS durch.«

»Das ist Selbstmord.«

»Ich bin schon tot.«

»Du hast keine Waffe.«

»Auf den Fluren gibt es überall verbaute Feuerlöscher. Dort sollte auch eine Axt zu finden sein.«

»Mit einer Axt willst du dich da durchkämpfen?«
»Ein Sturmgewehr wäre mir lieber.«

»Das lasse ich nicht zu.«

»Was ist die Alternative?«

»Willst du das wirklich machen?«

»Will ich nicht. Aber das ist es doch, was du von mir möchtest.«

»Karl, es tut mir so leid.«

»Nicht jetzt.«

»Warte. Ich melde mich gleich wieder bei dir.«

Wiegner setzte sich auf den Boden, lehnte sich gegen die Wand und schloss die Augen. Die Idee grenzte an Wahnsinn. Es war richtig, dass er nichts zu verlieren hatte. Das änderte aber nichts daran, dass er sich bei dem Gedanken an seinen Plan fast in die Hosen machte. Er zuckte zusammen, als das Com-System piepte.

»Wir konnten keinen Weg finden, der frei ist.«

Das hatte er befürchtet.

»Die erste Tür können wir gefahrlos öffnen. Der Gang ist leer. Dort gibt es auch eine Klappe in der Wand mit einem Feuerlöscher. Ob da eine Axt hängt, wissen wir nicht. Es sollte so sein.«

Er stand auf. »Dann müssen wir loslegen.«

»Karl?«

»Ja.«

»Ich liebe dich.«

»Ich weiß.«

»Nicht so, wie du denkst.«

»Ich weiß, Aila. Alles ist gut. Mach die beschissene Tür auf.«