37. Drohne

 

Aila Torbeck

 

Das gleichgültige Auge der Kamera übertrug den eingefrorenen Terror in hochauflösenden Bildern. Die A3 glich einem erstarrten Fließband. Unzählige, durch Massenkarambolagen ineinandergeschobene Autos verstopften die Fahrspuren in beiden Richtungen. Türen standen offen. Aufgeplatzte Koffer und Taschen hatten ihren Inhalt über den Teer ausgeschüttet. Unter einer Brücke verglühten die Reste einer Lkw-Ladung. Träge wickelte sich eine blauschwarze Rauchsäule an den Betonpfeilern entlang, drehte sich schraubenförmig in den Himmel. Zwischen dem bunten Blech der Autos lagen Leichen. Männer, Frauen, Kinder. Auf den zur Autobahn angrenzenden Wiesen lagen verstreut Kleidungsstücke herum, als hätte sie ein nächtlicher Sturm von der Leine gerissen. Die Kamera vergrößerte einen Ausschnitt und offenbarte, dass die Kleidungsteile mit toten Körpern gefüllt waren. Die Drohne drehte nach Norden, folgte der A661 in Richtung Frankfurt. Langsam schwenkte die Kamera zum Horizont. In der Ferne glitzerten die Glasfassaden der Wolkenkratzer im Sonnenlicht. Zwischen ihnen stiegen Rauchsäulen in den wolkenlosen Himmel. Am Stadtrand glitten die ersten Häuser vorbei. Brände hatten sich ausgebreitet. Die Flammen fraßen sich durch die Wohnhäuser, sprangen in ihrer Gier über die Straßen hinweg in den nächsten Block.

Torbeck starrte seit einer Stunde regungslos auf den Bildschirm. So schlimm hatte sie es sich nicht annähernd vorgestellt. Nachdem das Außenteam Fenris erreicht hatte, hatte sie die Drohne in Richtung Frankfurt geschickt. Sie sollte die Stadt aufklären, eine Fluchtroute für Katta finden. Aus diesem Grund war es besser, dass Wiegner sich in Quarantäne befand. Er hätte sie sofort durchschaut. Eine Großstadt aufzuklären war logisch. Aber warum Frankfurt? Stuttgart lag näher. Davon abgesehen. Weshalb untersuchte sie nicht als Erstes die abgestürzten Flugzeuge ihrer Angreifer? Die Wracks der abgeschossenen Kampfmaschinen wären ein erstes wichtiges Ziel gewesen. Womöglich irrten gerade einige verwirrte Kampfpiloten durch den Wald. Sie festzusetzen und zu befragen wäre sicher keine dumme Idee. Auch wenn das bedeutet hätte, dass sie wieder jemanden nach draußen hätte schicken müssen. Wenn sie sich von persönlichen Interessen leiten ließ, durfte das keiner erfahren. Nicht einmal Wiegner. Gerade nicht Wiegner.

Die Drohne erreichte den Main. Torbeck zuckte zusammen. »Was ist das?«

Es gab Bewegung im Bild. »Sehen Sie das? Links unten.« Die Kamera schwenkte zurück, vergrößerte einen Bildausschnitt. An der Mainpromenade rannten Menschen. Sie waren zu viert. Hinter ihnen ein Pulk von Verfolgern. Es sah aus wie der Massenstart bei einem Triathlon. »Vergrößern Sie die vier.« Torbeck erkannte zwei Männer und eine Frau. Die Frau hielt ein Mädchen an der Hand. Die Fliehenden blickten hektisch über ihre Schulter. Es schien, als kämen sie kaum von der Stelle. Das Kind stürzte. Einer der Männer blieb stehen und zog es auf die Beine. Sie würden es nicht schaffen. Torbeck hielt die Luft an.

»Generalmajor?« Das war Theißen. Er bedachte sie mit einem fragenden Blick. Sie wusste, was er von ihr wollte. Was sollte sie tun? Auf ihre Bitte hin hatte Theißen die Drohne mit zwei Hellfire-Raketen bestücken lassen. Zweimal 48 Kilogramm PBXN-112 Sprengstoff, umgeben von einem Aluminiummantel. Die Raketen waren thermobare Waffen mit enormer Hitzewirkung. Die Drohne war als Aufklärungsmodell gedacht, aber die nötigen Modifizierungen waren aufgrund der modularen Bauweise problemlos durchzuführen. Schon bei den Ereignissen im Dorf hatte Torbeck kurz davorgestanden, die Raketen einzusetzen. Es hatte jedoch an Gelegenheit gemangelt. Das Gedränge war zu dicht gewesen. Eine Rakete unterschied nicht zwischen Freund und Feind. Hier sah es anders aus. Zwischen der Vierergruppe und den Infizierten klaffte immer noch eine beträchtliche Lücke.

Die Waffen sollten Katta beschützen. Die Drohne war in Frankfurt angekommen. Nur wenige Hundert Meter trennten sie von ihrer Tochter. Und jetzt sollte sie ihren einzigen Trumpf aus der Hand geben? Die Raketen konnten Kattas Leben retten.

Mittlerweile versuchten die beiden Männer das Mädchen zu tragen, kamen auch so nicht schneller von der Stelle. Die Optik der Drohne zoomte näher an die Männer heran. Der Ältere hatte das Mädchen am Oberkörper gefasst. Der Jüngere trug sie an den Beinen. Das Kind schwebte auf dem Rücken zwischen ihnen. Sie sah direkt in die Kamera.

»Halten Sie die Verfolger auf. Feuererlaubnis für beide Waffensysteme.«

»Verstanden. Angriffskurs für Drohne wird berechnet.«

Die Lücke am Ufer wurde kleiner.

»Ziel ist erfasst.«

Die Frau hatte mittlerweile einen Vorsprung vor den Männern und dem Kind. Die trugen immer noch das Mädchen zwischen sich, obwohl sie nicht die Spur einer Chance hatten. Die Drohne flog eine Kurve, brachte sich in Position.

»Abfeuern der Waffensysteme in fünf, vier, drei, zwei, eins.«

Einer der Männer stolperte. Die drei stürzten zu Boden, blickten nach hinten. Der Ältere deutete auf die Frau. Der Jüngere zögerte, rannte alleine weiter.

»Feuer, Feuer, Feuer.«

Der ältere Mann hatte sich über das Kind gebeugt, versuchte es mit seinem Körper zu schützen. Torbeck sah die Raketen nicht. Dafür ihre Auswirkungen. Die Drohne hatte sich in einen Drachen verwandelt und eine Wand aus reinigendem Feuer gespuckt, die alles verdampfte. So schnell die Feuerwand stand, so schnell brach sie in sich zusammen. Zurück blieb ein Stück geschwärzte Welt mit brennenden Flecken. Torbeck ließ die Luft aus ihren Lungen. Ihre Schultern sackten nach unten. Die Flüchtenden hatten sich von dem Schock erholt. Gemeinsam liefen sie weiter, blickten jetzt nicht mehr nach hinten, sondern in den Himmel. Der ältere Mann winkte. Auch wenn er die Drohne nicht sehen konnte, so wusste er, dass die Rettung von oben gekommen war. Hatte sie die Menschen gerettet? Wohl kaum. Sie hatte ihnen ein wenig mehr Zeit verschafft. Zeit wofür? Um zu leiden?

»Wie lauten die Befehle?«

»Verlassen Sie die Gruppe.« Sie wollte nicht sehen, was mit ihnen weiter geschah. Ab jetzt konnte sie ohnehin keine Hilfe mehr leisten. Nur noch beobachten. »Gehen Sie auf Höhe und klären Sie die Stadt auf. Ich will sie kartografiert haben.«

»Verstanden.«

»Ich bin in meinem Raum.« Torbeck betrat den Kommandantenraum und setzte sich an den Schreibtisch. Tut mir leid, Katta. Tut mir wirklich leid. Aber sie hatte keine Wahl gehabt. In einem Wutanfall schlug sie mit den Fäusten auf die Schreibtischplatte. Sie sah auf die Uhr und bemerkte, dass sie überfällig war. Mit ihrem Anruf bei Katta war sie fast eine Stunde im Verzug. Wie hatte ihr das passieren können? Als sie Kattas Nummer wählte, drückte ihr die Angst den Hals zu. Was, wenn sie nicht abnahm? Vielleicht war etwas geschehen? Es klingelte dreimal, dann hörte sie zu ihrer Erleichterung Kattas Stimme. »Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?« Sie ließ ihre Tochter gar nicht erst zu Wort kommen.

»Ja. Alles in Ordnung. Hier hat sich nichts verändert.«

»Was ist mit den Männern? Lassen die dich in Ruhe?«

Katta lachte kurz. »Mama. Die haben andere Sorgen. Wirklich. Alles gut.« Pause. »Hast du was erreicht? Kannst du etwas für uns tun?« Angst schwang in Kattas Stimme.

»Vielleicht. Ich hoffe es. Schatz, kannst du mir bitte diesen Fieber geben. Wir wissen nicht, wie lange die Leitung stabil bleibt.«

»Ja, einen Moment.«

Sie hörte ihre Tochter rufen. Kurz darauf meldete sich der Polizist.

»Ich höre«, sagte er.

»Ich habe eine Drohne nach Frankfurt geschickt. Sie wird das Stadtgebiet aufklären und nach einem Fluchtweg suchen. Einen Weg, den Sie mit einem Fahrzeug benutzen können.« Torbeck hatte Angst, dass sich Fieber damit nicht zufriedengab. Vielleicht hatte er komfortablere Hilfe erwartet.

»Wann kann ich mit einem Ergebnis rechnen?« Seine Stimme offenbarte keine Emotionen.

»Das kann ich nicht genau sagen. Ich werde mich morgen früh um 0900 melden. Haben Sie noch Strom?«

»Bis jetzt ja. Ist die Drohne bereits in Frankfurt?«

»Ja.«

»Wie sieht es aus?«
Torbeck schilderte, was sie gesehen hatte. Die Ereignisse am Mainufer ließ sie aus. »Sie müssen aus der Stadt raus.« Damit beendete sie ihren Bericht.

»Das ist mein Plan. Ich erwarte Ihren Anruf. Sollten Sie bis 10 Uhr nicht angerufen haben, machen wir uns ohne Ihre Hilfe auf den Weg. Wir haben kein Wasser mehr.«

»Ich verstehe. Geben Sie mir meine Tochter.«

»Warten Sie.«

Sekunden später vernahm sie Kattas Stimme.

»Katta, was... «

»Warte mal.«

»Was ist?«

Torbeck hörte Stimmengewirr.

»Katta?«

Das Poltern von schweren Gegenständen.

Was war da los?

»Katta, sag was.«

Torbeck hielt sich das freie Ohr zu und versuchte aus den gedämpften Geräuschen das Geschehen herzuleiten. Rannten sie eine Treppe hinauf?

Es wurde still.

»Mein Gott, Katta.«

»Mama. Schau aus dem Fenster.«

»Was denn für ein Fenster? Katta?« Die Verbindung war weg. Sie wollte ihre Tochter gerade erneut anwählen, als sich das ComSys zu Wort meldete. Am Ton erkannte sie, dass es dringend war. Sie nahm das Gespräch an. »Was?«

»Sie müssen sich das ansehen.«

Torbeck legte das Satellitentelefon weg und verließ ihren Raum. Kaum auf dem Leitstand angekommen, kam ihr eine Soldatin entgegengerannt. »Frau Generalmajor. Da auf der Bildwand.« Aufgeregt deutete sie über ihre Schulter.

Torbeck sah nichts. »Die Bildwand ist schwarz«, stellte sie fest. Eigentlich sollte sie die Bilder der Drohne zeigen. »Haben wir einen Ausfall der Drohne?«

»Nein«, sagte Theißen. »Die Bildwand ist nicht schwarz. Es ist nur sehr dunkel.«

Jetzt sah Torbeck es auch. Wenn man genau hinsah, erkannte man die Umrisse von Häusern. »Ist die Kamera defekt?«

»Das habe ich zuerst vermutet. Aber die Fehlererkennung der Drohne meldet, dass alles in Ordnung ist«, antwortete Theißen.

»Es ist 18:02 Uhr. Da sollte es noch eine Weile hell bleiben. Mal abgesehen, dass die Sonne nicht von einer Sekunde auf die andere verschwindet. Ist das eine Sonnenfinsternis?« Nein, das war Quatsch. Eine totale Sonnenfinsternis galt als gesellschaftliches Großereignis. Das hätte schon vor Wochen in der Zeitung gestanden. Die Soldatin, die Torbeck fast über den Haufen gerannt hätte, meldete sich zu Wort. »Das habe ich gerade überprüft. Definitiv keine Sonnenfinsternis.«

»Moment, ich versuche mal was«, sagte Theißen.

»Was haben Sie vor?«, wollte Torbeck wissen.

»Der Nachthimmel ist sehr lichtschwach. Wenn man dort oben etwas sehen will, dann muss man zu einem Trick greifen. Ich werde die Drohne verlangsamen und die Kamera auf einen Punkt am Himmel fixieren. Damit müsste ich für den Bildausschnitt eine längere Belichtungszeit hinbekommen. Dann können wir vielleicht etwas erkennen.« Torbeck wartete. »Ich habe es gleich.« Der Hauptfeldwebel sah konzentriert auf den Bildschirm vor sich. »Jetzt. Ich lege das Signal der Drohne nach vorne.«

Torbeck starrte zur Bildwand. »Was ist das?« Als Erstes fielen ihr die Sterne auf. Aber da waren nicht nur Sterne. Eine Handvoll parallel liegender Streifen verteilte sich über den Bildschirm.

»Vielleicht Meteoriten«, sagte Theißen.

»Suchen Sie sich einen anderen Ausschnitt.«

Eine knappe Minute später wechselte das Bild. Wieder Sterne. Wieder Streifen. Das Schauspiel wiederholten sie zweimal mit gleichem Resultat.

Dann wurde es hell. Die Sterne verblassten zusammen mit den Streifen und die Kamera zeigte einen Himmel, wie man ihn von einem frühen Abend im Mai erwartete. »Rufen Sie mir jemanden aus der Forschung.« Torbeck konnte mit dem, was sie gesehen hatte, nichts anfangen.

»Ich glaube nicht, dass wir einen Astrophysiker in der Anlage haben«, sagte Theißen.

»Holen Sie Dr. Keim.« Dem Mathematiker traute Torbeck am ehesten zu, sich mit solchen Dingen auszukennen.

Es dauerte zehn Minuten, bis Keim den Leitstand erreichte. Seine Kleidung war so extravagant wie gewohnt. Er sah sich die Aufzeichnungen an, stellte Fragen, ließ sich die Bilder erneut zeigen. Dann sah er auf die Uhr und spulte zum Schluss einige Male in dem Videomaterial hin und her. Schließlich sagte er: »Tja.«

»Können Sie damit etwas anfangen?«

»Natürlich nicht.«

»Wie meinen Sie das?«

»Damit kann man nichts anfangen.«

»Versuchen Sie es trotzdem.«

»Okay.« Er kratzte sich an der Stirn. »Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste ist, dass die Lichtquelle, also die Sonne, für elf Minuten aufgehört hat zu leuchten.«

»Das ist unmöglich. Was ist die zweite?«

»Die Sonne wurde verdeckt.«

»Das klingt vernünftiger.«

»Nur im ersten Moment. Der einzige Körper, der dafür infrage kommt, ist der Mond. Das ist aber nicht möglich. Es sei denn, seine Position wurde verändert.«

»Wie kann man den Mond verschieben?«

»Das weiß ich nicht. Ich finde es nur plausibler als die erste Alternative. Eine nachvollziehbare Erklärung ist es nicht. Man bräuchte eine gigantische Energiemenge, um die Bahn eines so massereichen Körpers zu verändern. Außerdem müsste es sehr langsam vonstattengehen, da die Trägheitskräfte den Mond ansonsten in Stücke reißen würden. Das wiederum wäre längst bemerkt worden. Ganz abgesehen davon, dass eine elf Minuten lange Sonnenfinsternis viel zu lange ist, um vom Mond verursacht worden zu sein.« Der Mathematiker atmete hörbar aus. »Somit bleibt nur eine spezielle Variante der zweiten Möglichkeit.«

»Die wäre?«

»Nicht der Mond, sondern ein unbekannter Köper hat sich vor die Sonne geschoben und sie verdunkelt.«

»Was für ein Körper?«

»Ein ziemlich großer, würde ich meinen.«

»Ist das möglich?«

»Das muss es wohl. Es sei denn, Sie bevorzugen die Mondverschiebungsvariante oder präferieren die Theorie, dass sich die Sonne aus- und eingeschaltet hat.«

»Wo kommt dieser Körper her?«

»Das kann ich nicht sagen.«

»Was sind die möglichen Konsequenzen?«

»Das hängt von verschiedenen Parametern ab. Wohin bewegt sich der Körper? Wie groß ist seine Masse? Da er gewaltig sein muss, käme eine Kollision mit der Erde dem Weltuntergang gleich. Soweit lehne ich mich mit meiner Einschätzung aus dem Fenster. Der Rest ist reine Spekulation. Ich kann Ihnen weder sagen, woher er kommt, noch wohin er will oder warum er überhaupt da ist, wo er ist.«

»Was ist mit den Streifen?«

»Ich würde sie für Meteoroiden halten. Möglicherweise sind es Begleiter des Körpers. Da wir keine Sternwarte zur Verfügung haben, werde ich Ihnen nicht mehr sagen können.«

»Dieser Körper stammt nicht aus unserem Sonnensystem. Ist das richtig?«

»Wenn wir seine Existenz als wahr voraussetzen, lautet die Antwort: Ja.«

»Ist das überhaupt möglich?«

»Ich bin kein Astronom. Aber ja, das ist möglich. Im interstellaren Raum wird es Abertausende Planeten geben, die durch Katastrophen aus ihrem Sonnensystem gerissen wurden. Zum Beispiel kann die extrem nahe Passage eines anderen Sterns das Gravitationsgefüge eines Sonnensystems empfindlich stören und einen Planeten zwingen abzudriften. Es verhält sich nur so, dass eine Galaxie wie unsere Milchstraße hauptsächlich aus leerem Raum besteht und nur zu einem winzig kleinen Teil aus Himmelskörpern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Irrläufer das Sonnensystem erreicht, ist äußerst gering. Stellen Sie sich vor, dass eine Taube am Himmel fliegt. Sie schießen mit verbundenen Augen eine Murmel mit einer Zwille ab, ohne eine Vorstellung zu haben, wo sich die Taube gerade befindet. Keiner würde darauf wetten, dass Sie das Tier treffen. Geht man davon aus, dass die Taube sich in Reichweite Ihrer Zwille befindet, ist es aber nicht unmöglich. Wenn man sich bei einer Wette zwischen Ihrem Schuss auf die Taube und dem Eindringen eines planetaren Irrläufers in das Sonnensystem entscheiden müsste, würde ich den dringenden Rat geben, sein gesamtes Vermögen auf Ihre Schießkünste zu setzen.«

»Wenn ein so großer Körper in das Sonnensystem eindringt, dann kann er doch nicht unentdeckt bleiben.«

»Höchstwahrscheinlich nicht. Aber wie gesagt, mir fehlen die Daten, um konkrete Aussagen treffen zu können. Den möglichen Transit vor der Sonnenscheibe haben Sie leider nicht aufgenommen. Damit hätte ich etwas anfangen können.« Er schien zu überlegen. »Wie ist das Wetter?«

»So wie in den letzten Tagen. Heiß und keine Wolke am Himmel.«

Keim zog die Stirn in Falten.

»Warum?«

»Weil die Annäherung eines solchen Körpers gravierende Auswirkungen auf die Erde haben müsste. Ich denke da an eine Verschiebung der Erdachse oder die Störung des planetaren Magnetfeldes. Solche Veränderungen sollten als Erstes am Wetter zu erkennen sein. Wetterleuchten, Stürme, Springfluten.«

»Wir wissen nicht, wie es andernorts aussieht. Aber hier ist nichts davon zu merken.«

Er schüttelte den Kopf. Schließlich seufzte er, stand auf und verließ den Leitstand mit den Worten: »Ich muss nachdenken.«

Als er fast aus der Tür war, drehte er sich um. »Die Drohne sollte heute Nacht den Mond aufnehmen. Vorsichtshalber. Wäre interessant zu wissen, ob er dort ist, wo wir ihn vermuten.«