33. Handy

 

Aila Torbeck

 

Torbeck hatte ein knappes Dutzend Menschen getötet. Schon wieder. Konnte so etwas zur Gewohnheit werden? Nachdem sie mit Wiegner gesprochen hatte, setzte sie sich mit Danielsen über das ComSys in Verbindung. »Wir wurden angegriffen.« Mit dem Satz eröffnete sie das Gespräch.

»Tatsächlich?« Der Vorteil einer Bergfestung lag unter anderem darin, dass man selbst von großen Verwerfungen in der Außenwelt nichts mit bekam. »Und? Ich meine, wie ist es ausgegangen?«

Offensichtlich hatte sie den Professor kalt erwischt. »Wie Sie bemerken, leben wir noch.«

Danielsen lächelte gequält. »Wer hat uns angegriffen?«

»Vermutlich waren es die Amerikaner.«

»Amerikaner? Sind die nicht mit uns verbündet?«

»Ich denke, dass diese Art von Staatsverträgen ihre rechtliche Bindungskraft verloren hat.«

»Ich verstehe. Das sind keine guten Nachrichten. Warum haben die das getan?«

»Oberst Wiegner vermutet, dass sie uns für den Ausbruch der Seuche verantwortlich machen. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Ich denke aber, es ist sinnvoll, wenn wir unsere Erkenntnisse über den Virus mit anderen teilen.« Insgeheim rechnete sie damit, dass der Professor um keinen Preis bereit sei, seine Forschungsergebnisse Fremden zu überlassen. Stattdessen sagte er: »Das klingt vernünftig. Eine Geheimhaltung macht wirklich keinen Sinn mehr. Aber mit wem genau wollen Sie sie teilen? Und wie?«

»Es gibt NATO-Einrichtungen, die einen aktiven Status gemeldet haben, bevor die Rechner ihren Geist aufgaben. «

»Und wenn dort niemand ist, der uns zuhört?«

»Dann spielt es keine Rolle, dass wir die Daten überspielt haben. Es ist unschädlich.«

»Bleibt das Problem des Übertragungskanals.«

»Ich setze meine Hoffnungen auf das Internet.«

»Das kann ich nicht versprechen. Aber gut. Was schlagen Sie vor?«

»Ich ordne an.«

»Ich verstehe. Also, was ordnen Sie an?«

»Prüfen Sie, ob es möglich ist, eine Nachricht über das Internet zu übermitteln. Bereiten Sie ein wissenschaftliches Exposé vor. Wenn Sie damit fertig sind, setzen Sie sich mit Hauptmann Gärtner in Verbindung. Schicken Sie die Nachricht an alle, die Sie erreichen können. Was militärische Anlagen angeht, wird der Hauptmann Ihnen dabei behilflich sein. Dann haben die erst mal etwas zum Nachdenken.«

»Ich werde das veranlassen. Was machen wir, wenn sie uns nicht glauben? Ist eine recht wilde Geschichte.«

»Darüber mache ich mir keine Sorgen. Es ist auch eine recht wilde Welt da draußen.«

Torbeck hatte das Gespräch aus dem Kommandantenraum geführt. Nachdem es beendet war, lehnte sie sich zurück. Ihre Augenlider fühlten sich schwer an. Sie gähnte, massierte sich mit zwei Fingern die Schläfe. Ihre Gedanken sprangen zu ihrer Tochter. Sie musste dankbar sein. Sie hatte Kontakt zu Katta aufnehmen können. Und nicht nur das. Es hatte sich herausgestellt, dass sie sich zumindest vorübergehend in Sicherheit und in Begleitung von mehreren Polizisten befand. Unter den gegebenen Umständen ein Lottogewinn. Sie würde ihr Kind wiedersehen. Ganz sicher. Die Vorstellung beruhigte sie ein wenig. Was war mit Karl? Torbeck verließ ihren Raum und suchte den Bereich des Leitstandes auf, in dem die Einsatzkontrolle für die Außenmission untergebracht war. »Wie sieht es aus?« Eine junge Frau mit Kurzhaarfrisur sah sie kurz an, um sich sofort wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Das silberfarbene U auf ihren Schulterklappen wies sie als Unteroffizier aus. »Echo-Eins marschiert mit Geleit in Richtung Marktplatz. Sie müssten das Zielgebiet jeden Moment erreichen.«

Torbeck nickte. »Ich nehme an, dass bis jetzt alles ruhig war.«

»Sehr ruhig«, sagte die Frau.

»Sie meinen, zu ruhig für Ihren Geschmack?«

Die Soldatin erschrak. »Tut mir leid, ich... »

»Die Frage war ernst gemeint.«

»Ja. Ich finde es zu ruhig.«

Karl sollte ihr bloß keinen Kummer bereiten. Torbeck besah sich das Bild auf einem Flachbildschirm. Es zeigte einen Stadtplan. Drei Dreiecke bewegten sich langsam eine Straße entlang und blieben auf dem Marktplatz stehen. Das war Karl mit seinen Männern. Was sie aber überhaupt nicht zuordnen konnte, waren die Kreise, die überall verteilt auf dem Plan in einem kleinen Radius hin und her hüpften. Es schien, als würden sie wackeln oder vibrieren. Ein Kreis befand sich mitten in einem Haus. In der nächsten Sekunde sprang er in den Vorgarten, besuchte die Straße und verschwand zurück in das Gebäude. »Was ist das?«

Vor dem Bildschirm saß ein Oberfeldwebel. »Die hüpfenden Kreise?«

»Genau.«

»Das sind Handyortungen. Die Peilungen springen, weil die Drohne die Position nur ungefähr feststellen kann. Exakte Ortungen sind nur mit Dreieckspeilung möglich. Dafür bräuchten wir eine zweite Drohne.«

»Das sind Handys?«

»So ist es.«

Dann müssen dort Menschen sein. Was auch immer gestern geschehen war, die meisten Leute trugen ihr Handy bei sich. Warum sollten sie es auf der Flucht oder im Versteck wegschmeißen? Andererseits. Auch die Infizierten hatten sicher noch ihr, Mobiltelefone in der Tasche. Ihr wurde kalt. »Im Bereich der Kirche sind eine ganze Menge von Kreisen«, stellte sie fest.

»Richtig. Das will das Außenteam jetzt aufklären.«

»Was? Sie haben sie mitten hineingeschickt?« Erst jetzt begriff sie das Risiko.

»Das hat der Oberst entschieden.«

Das war verrückt. Niemand konnte wissen, wie diese Peilungen einzuschätzen waren. Es sprach einiges dafür, dass sie sich in die Höhle des Löwen begaben. Sie würde diesen Irrsinn sofort unterbinden. Das würde...

Der Feldwebel links von Torbeck saß schlagartig kerzengerade auf seinem Drehstuhl. »Was ist?« Dann sah Torbeck es auch. Sie beobachtete, wie ein Kreis aus einem Haus auf die Straße hüpfte. Aber statt sich zurückzuziehen, sprang er weiter die Straße entlang. Es war nicht der Einzige. Die Kreise gerieten in Bewegung und ihr Ziel war eindeutig der Marktplatz.