38. Chronisch
Demir Kara
Demir öffnete die Augen und schnellte nach oben. Sein Herz hämmerte. Hatte er einen Albtraum gehabt? Er konnte sich nicht erinnern. Ihm tat alles weh. Bevor sie sich hingelegt hatten, hatten sie eine Reihe von Spinden aufgebrochen und eine Menge Kleidungsstücke gefunden. Die dienten ihnen nun als Matratzenersatz. Neben ihm schliefen Katta und Bilal. Die drei lagen im mittleren der drei Büros des Arbeitsbereichs. Der Rest der Gruppe hatte sich über den gesamten Bürotrakt verteilt. Demir sah auf seine Uhr. Es war 03:24 Uhr.
Draußen knallte es. Das waren Schüsse. Demir sprang auf die Füße. Er sah durch die Tür zu seiner rechten. Im angrenzenden Raum erkannte er eine Gestalt, die am Fenster stand. »Die schießen seit etwa 10 Minuten«, sagte der Schatten. Demir konnte die Stimme nicht zuordnen. Als er näher kam, erkannte er Steller. »Wer schießt da?«
»Keine Ahnung.« Der Polizist beobachtete mit einem Fernglas die Umgebung. »Wie sind nicht die Einzigen, die in der Scheiße stecken.«
»Und?«
»Und was?«
»Wonach hältst du Ausschau?«
»Sieh es dir selber an.« Nachdem Steller ihm das Glas gereicht hatte, setzte Demir es an die Augen und ließ seinen Blick in Richtung Hauptbahnhof wandern. Im Gegensatz zum Tag war einiger Betrieb auf der Straße. Für einen flüchtigen Moment bekam Demir den Eindruck, dass es sich um Passanten handelte, die durch die Gegend schlenderten. Als er die Szene näher betrachtete, fiel ihm auf, dass die Menschen in willkürlichen Schleifen und Kreisen umherliefen. Abgesehen von diesem gruseligen Schauspiel, irritierte ihn noch etwas anderes an dem Bild. Aber er kam nicht darauf, was es war.
»Ich habe sie beobachtet. Sie teilen sich das Gebiet auf und patrouillieren«, sagte Steller. »Wenn einer von ihnen eine Wahrnehmung hat, schlägt er Alarm und alle in seiner Nähe folgen ihm.«
»Woher weißt du das?«
»Vorhin lief dort hinten ein Hund entlang.« Steller zeigte in Richtung der Straßenbahnhaltestelle am Südeingang des Bahnhofhauptgebäudes. »Anscheinend hat das Tier Geräusche gemacht. Einer dieser Verrückten ist hingerannt. Die anderen in seinem Umfeld schlossen sich sofort an.«
»Was ist mit dem Hund passiert?«
»Nichts. Als sie ihren Irrtum bemerkten, sind sie wieder abgedreht. Wir müssen uns nur als Hunde verkleiden. Dann sind wir ruckzuck aus der Stadt verschwunden.«
»Du meinst wirklich, dass die Wache gehen?«
»Für mich sieht es so aus.«
»Ich dachte, die Infizierten könnten nicht klar denken.« Sollten die doch in der Lage sein, mehr zu tun als schreiend hinter ihnen herzurennen? Das wollte sich Demir lieber nicht vorstellen.
»Ich glaube nicht, dass das mit Denken zu tun hat. Ist mehr eine Instinkthandlung.«
Demir berichtete Steller von seinen Erfahrungen aus dem Commerzbank-Tower. »Die standen im Treppenhaus. Wie ausgeschaltet. Als würden sie schlafen.«
»War es dort dunkel?«
»Schattig.«
»Ein paar Dinge haben wir gelernt. Sie sind nicht in der Lage gezielt zu handeln. Sie schmieden keine Pläne, sie verstellen sich nicht. Wir brauchen uns keine Sorgen darüber machen, ob sie uns auflauern oder sich anschleichen. Sie können keine logischen Schlüsse ziehen. Sie haben nicht gesehen, dass wir in das Gebäude geflohen sind und haben uns sofort vergessen. Dass wir nur hier sein konnten, haben sie nicht begriffen. Außerdem gehen sie dem Sonnenlicht aus dem Weg. Möglicherweise ruhen sie am Tag, wofür sie sich möglichst dunkle Plätze aussuchen. Sie treten in Massen auf. Das bedeutet, dass ein Fluchtversuch aus der Stadt bei Tageslicht die vernünftigste Option ist.«
»Immerhin.« Demir gab Steller das Fernglas zurück. Schweigend sahen sie aus dem Fenster. »Die schießen nicht mehr«, stellte Demir nach einer Weile fest. Demir sah Steller von der Seite an. »Darf ich dich was fragen?« Der Polizist reagierte nicht. »Glaubst du, dass wir sterben?«
»Natürlich. Du hast es doch gehört. Die ganze Welt sieht so aus.«
»Ich kann mir das einfach nicht vorstellen.«
Steller hatte das Fernglas wieder an die Augen gehoben. »Hast du Familie?«, fragte Demir.
»Nein.«
»Niemanden?«
»Nein. «
»Du kannst dich glücklich schätzen, dass du alleine bist.«
»Was ist mit dir?«
»Ich mache mir große Sorgen um meine Mutter. Ich muss sie holen.«
Steller nahm das Glas herunter. »Wo ist sie?«
»Ich weiß es nicht. Sie müsste zu Hause gewesen sein, als das hier losging.«
»Wo ist das?«
»Sindlingen.«
Steller dachte kurz nach. »Rauchst du?«
»Ja.«
Steller reichte Demir das Fernglas. Er zeigte mit einem Finger in Richtung Bahnhof. »Siehst du dahinten den Zigarettenautomaten?« Demir nickte. »Was schätzt du, wie weit er weg ist?«
»Vielleicht dreihundert Meter.«
»Ich wette mit dir, dass du es nicht schaffst, dahin zu gehen, dir Zigaretten zu ziehen und lebend zurückzukommen.«
»Scheiße.«
»Wie willst du es dann bis nach Sindlingen schaffen? Selbst wenn. Was willst du dann machen?«
»Aber wir müssen morgen doch sowieso gehen.«
»Richtig. Ich denke auch nicht, dass wir das schaffen. Allerdings sind wir eine Gruppe und bewaffnet. Du bist alleine und ich kann mir nicht vorstellen, dass Fieber dir eine Waffe überlässt.«
»Ich muss. Es ist meine Mutter.«
»Liebt dich deine Mutter?«
»Bei allem, was sie für mich getan hat, muss sie das.«
»Wenn ich einen Sohn hätte und der würde in einer solchen Situation nach mir suchen, statt sich in Sicherheit zu bringen, ich würde ihm eine scheuern.«
»Ich habe keine Wahl.«
»Du wirst bei dem Versuch sterben.«
Demir beneidete den grimmigen Mann. Wenn er wirklich alleine war, dann war das ein Vorteil. Auch wenn Einsamkeit an sich ein bedauernswerter Zustand war, so musste es unter diesen Bedingungen eine Erleichterung sein, sich um niemanden sorgen zu müssen. Davon abgesehen stimmte etwas nicht mit dem Kerl. Er konnte es in seinen Augen sehen. »Warum lebst du noch? So wie du denkst, sollte Selbstmord für dich der einzige Ausweg sein.«
Steller griff in seine Hosentasche und drückte Demir eine Patrone in die Hand. »Was ist damit?«
»Schau dir den Boden an.«
»Es ist zu dunkel.«
Steller gab ihm ein Feuerzeug. Im Licht der Gasflamme konnte Demir einen kleinen eingestanzten Punkt am Patronenboden erkennen. »Meinst du das?«
»Ja.«
»Und?«
»Die Patrone hat nicht gezündet. Sie sollte eigentlich in meinem Kopf stecken.«
»Du hast versucht, dich umzubringen?«
»Ja.«
»Wann?«
»Gestern.«
»Bevor das hier losging?«
»Ja.«
Demir gab die Patrone zurück. »Hältst du das für ein Zeichen?«
Steller zuckte mit den Schultern. »Ich warte ab.«
Eine Zeit lang sagten sie nichts. Demir brach als Erster das Schweigen. »Ich habe geahnt, dass etwas nicht mir dir stimmt. Für solche Dinge habe ich ein Gespür.«
»Was sagt dir dein Gespür noch?«
»Dass dieser Fieber ein gefährlicher Mensch ist.«
»Nicht so laut.«
Pause.
»Und? Wirst du es wieder versuchen?«
Steller zuckte mit den Schultern.
»Warum wolltest du sterben?«, fragte Demir.
»Das geht dich nichts an.«
»Tu es nicht.«
»Warum interessiert dich das?«
»Weil ich nicht mit diesem Irren alleine sein will.«
Steller lachte leise auf. »Denkst du, dass ich nicht verrückt bin?«
»Bist du es?«
Pause.
»Du hältst ihn also für verrückt«, sagte Steller.
»Du etwa nicht?«
»Vor ungefähr fünfzehn Jahren bin ich noch Streife gefahren. Ich war damals Anfang zwanzig. Es war in einer lausig kalten Nacht im Januar. Wir bekamen den Auftrag ans Mainufer zu fahren. Ein Passant hatte gemeldet, dass ein Mann und eine Frau vom Eisernen Steg in den Main gesprungen waren. Wir kamen als zweite Streife an. Gemeinsam zogen wir die beiden aus dem Wasser. Sie hatten es tatsächlich bis zum Ufer geschafft. Dass die das bei der Kälte überlebt hatten, glich einem Wunder. Es stellte sich heraus, dass das Mädchen sich das Leben hatte nehmen wollen. Der Mann hatte das beobachtet und war ohne Zögern hinterher gesprungen. Eine Wahnsinnstat. Und dann wurde es verrückt. Ich habe die Personalien des Mannes überprüft und dabei festgestellt, dass der Kerl bereits zehn Jahre wegen zweier Vergewaltigungen im Bau gesessen hatte. Ich sprach ihn darauf an und er erklärte mir, wie selbstverständlich, dass er das Mädchen verfolgt hatte, um sie zu überfallen. Der Typ wollte sie vergewaltigen. Ich weiß nicht, warum er mir das so offen gesagt hat. Vermutlich stand er unter Schock. Jedenfalls sah er, wie sie ins Wasser sprang und entschloss sich sie zu retten. Ich war total verwirrt und fragte ihn, warum er das getan hatte. Weißt du, was er gesagt hat?«
»Was?«
»Sie brauchte meine Hilfe.« Steller ließ den Satz kurz im Raum stehen. »Ich will dir damit sagen«, setzte er fort, »dass du in Extremsituationen keine Ahnung hast, wie sich ein Mensch als Nächstes verhalten wird. Und das hier ist die extremste Situation, die ich je erlebt habe.«
»Also ist Fieber nicht verrückt?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass du verdammt vorsichtig sein
solltest. Und Bilal noch viel mehr.«
Die beiden schwiegen und sahen aus dem Fenster. Dann setzte Demir erneut an: »Du denkst, dass Bilal ein Arschloch ist?«
»Der Gedanke ist mir gekommen.«
»Er ist ein Arschloch. Aber er kann nichts für den Tod des Polizisten.«
»In Fiebers Wahrnehmung hat er aber die Ursache gesetzt.«
»Aber das ist n...«
»Hör zu. Sorge einfach dafür, dass er seine Klappe hält. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde könnt ihr später einreichen.«
»Ich versuche es.«
»Was ist mit dem Mädchen? Seid ihr beide ein Paar?«
»Bilal und ich haben doch gesagt, dass wir sie nicht kennen.«
»Das habt ihr. Das bedeutet aber nicht, dass es auch stimmt. Möglicherweise wolltet ihr sie schützen.«
»Du kommst aus deiner Bullenrolle auch nicht raus, oder? Nein. Ich habe Katta gestern kennengelernt.« Demir schüttelte den Kopf. Kennengelernt. Wie das unter diesen Umständen klang.
»Pass auf sie auf.«
»Ich bin mir nicht sicher, wer hier auf wen aufpasst.«
»Tu es einfach.« Steller sah in den Himmel. »Was glaubst du, was das bedeutet?«
Demir beugte sich nach vorne und blickte aus dem Fenster nach oben. Jetzt wo es Nacht war, konnte man die Streifen wieder gut erkennen. »Ich habe keine Ahnung. Was denkst du?«
»Ein Meteoritenschwarm. Ich hoffe, dass es keine größeren Einschläge gibt. Falls doch, brauchen wir uns um unsere Flucht keine Gedanken mehr machen.« Steller sah durch das Fenster schräg nach oben. »Meteoriten und Kometen haben schon immer das Böse angekündigt.«
»Dann sind sie diesmal spät dran. Was ist mit dieser Sonnenfinsternis? Ich habe so etwas noch nie gesehen. Eigentlich dachte ich, dass es ein faszinierender Anblick sein müsste. Aber mir hat es nur Angst gemacht.«
»Ich glaube nicht, dass es eine Sonnenfinsternis war.«
»Warum nicht?«
»Weil ich davon nichts gehört habe. Das ist doch merkwürdig. Ich meine, das ist eine große Sache. Die Leute flippen bei einer Sonnenfinsternis total aus. Manche bereisen die halbe Welt, um eine zu sehen.«
»Was könnte es sonst gewesen sein?«
»Ich weiß es nicht.«
Natürlich wusste er es nicht. Aber man stellte solche Fragen. Bevor Fieber die Nachtruhe befohlen hatte, hatten sie sich alle gegenseitig mit den verrücktesten Ideen beworfen. Apropos befehlen. Demir hatte mitbekommen, dass Steller der Dienstgradhöchste war. Konnte der Mann daraus nicht Profit schlagen? Nein, der Gedanke war Unfug. Davon würde Fieber sich nicht beeindrucken lassen. Aber trotzdem. Demir hatte das Gefühl, dass der SEK-Chef Steller akzeptierte. Dessen Meinung schien ihm wichtig zu sein. Die beiden hatten sich unter vier Augen unterhalten. Er war sich ziemlich sicher, dass Steller dafür gesorgt hatte, dass Bilal noch lebte. Der Zivilbulle war auf jeden Fall kein böser Mensch. Jedenfalls im Moment nicht. »Die werden uns nicht in den Bunker lassen.«
»Nein«, sagte Steller.
»Dir ist das klar?«
»Es liegt auf der Hand. Im Bunker werden sie ziemlich strenge Vorschriften haben.«
»Denkst du, dass die anderen das wissen?«
»Wenn sie nicht völlig verblödet sind.«
»Dann macht das alles überhaupt keinen Sinn. Was wollen wir dort?«
»Hoffnung. Außerdem sitze ich persönlich lieber irgendwo im Schwarzwald herum, statt in dieser lausigen Stadt.«
Hoffnung. Stirbt die nicht als Letztes? Demirs Kopf fühlte sich leer an, die Müdigkeit griff nach ihm. »Ich leg mich wieder hin.«
Steller nickte. Demir stand auf und bemerkte plötzlich die ungewöhnliche Stille. »Die Computer sind aus«, stellte er fest. Jetzt kapierte er, was ihm beim Blick aus dem Fenster gestört hatte. Es war zu dunkel. Die Straßenlaternen leuchteten nicht mehr. Nur am Bahnhofsgebäude funktionierten noch einige Lampen.
»Das ist vor ungefähr einer Stunde passiert.«
»Der Strom ist weg?«
»So sieht es aus.«
»Warum hast du uns nicht geweckt.«
»Wozu? Um den Moment mit einer Flasche Sekt zu feiern?«
»Und jetzt?«
»Nichts. Wir haben keinen Strom mehr. Das Gute ist, dass wir uns keine Gedanken mehr machen müssen, wann er endlich ausfällt.«
»Scheiße.« Demir stand unschlüssig herum. »Ich leg mich wieder hin.«
»Ich weiß.« Steller grinste.
»Was?«
»Das hast du mir bereits gesagt.«
»Ich bin völlig durch den Wind.« Demir drehte sich um und suchte seinen Weg durch die Dunkelheit. »Pass auf dich auf«, sagte er. Er bekam keine Antwort. Nachdem er sich wieder hingelegt hatte, starrte er gegen die Decke und dachte an seine Mutter. Was für ein Sohn war er, wenn er nicht versuchte, seine eigene Mutter zu retten? Natürlich hatte Steller recht. Er würde es nicht einmal zur nächsten Kreuzung schaffen. Aber auch wenn er wusste, dass das eine realistische Einschätzung war, so fühlte es sich wie eine billige Ausrede an. Er grübelte vor sich hin und versank in Schuldgefühlen. Schließlich schlief er ein.
Als Demir erneut die Augen aufschlug, brannte die Sonne unangenehm auf sein Gesicht. Mit der flachen Hand schlug er sich gegen die Stirn und versuchte die Fliege zu erwischen, die ihn dort gekitzelt hatte. Er setzte sich auf und rieb sich die Augen. Die Polizisten hatten sich im Nebenraum versammelt und aßen ihr Frühstück aus Schokoriegeln. Der Schlafplatz von Bilal war leer. Katta hingegen schlief noch. Demir stand auf und ging zur Toilette. Als er die Spülung betätigte, kam kein Wasser. Natürlich nicht.
Als er zurück zu seinem Nachtquartier schlich, blieb sein Blick an Katta hängen. Sollte er sie wecken? Er ließ es bleiben. Bilal tauchte auf. »Wo warst du?«, fragte Demir.
»Im Spindraum bei den Duschen.«
»Wir haben keinen Strom mehr und kein Wasser.«
»Das weiß ich auch.«
»Was wolltest du dort?«
»Geht dich nichts an.« Bilal setzte sich auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand.
»Wie hast du überlebt?« Die Frage brannte Demir ein Loch in den Kopf. Er musste sie an den Mann bringen.
»Alter, darüber will ich nicht reden.« Bilal schloss die Augen.
»Komm schon.«
Bilal verzog angewidert sein Gesicht, fing trotzdem an zu erzählen. »Ich habe gesehen, wie der Kurier weggerannt ist. Dabei hat er die Diamanten fallen lassen. Die waren nicht in dem Koffer, sondern in einem Beutel in seiner Jackentasche.«
»Wir hätten fast einen leeren Aktenkoffer geraubt?«
»Ja.«
»Schöne Scheiße.«
»Ich renne hin und hebe den Beutel auf. Natürlich weiß ich nicht, dass die Diamanten da drin sind, aber ich habe so ein Gefühl. Ich nehm also den Beutel und lauf zum Wagen zurück. Dann sehe ich diese Irren und springe in den Audi.«
»Und der Fahrer?«
»Keine Ahnung. Weg.«
»Der hat sein Auto stehen lassen?«
Bilal zuckte mit den Schultern.
»Warum bist du nicht mit dem Wagen weggefahren?«
»Weil ich hinten eingestiegen bin?«
»Wieso hinten?«
»Nerv mich nicht. Keine Ahnung. Das ging alles so schnell. Ich bin rein. Hau die Tür zu.«
»Und dann?«
»Ich habe Schiss. Die sind überall. Ich denke, Gott sei Dank, die Kiste ist gepanzert. Dann fällt mir ein, dass die Türen nicht abgeschlossen sind.«
»Ach du Scheiße.«
»Genau. Ich lag da hinten drin und die beschissenen Türen sind nicht abgeschlossen.«
»Aber die Scheiben waren getönt.«
»Die haben mich nicht gesehen. Ich sie allerdings auch nicht. Die ganze Nacht höre ich Geräusche. Irgendwann traue ich mich zu gucken und sehe, dass der Schlüssel im Zündschloss steckt. Aber ich hatte zu viel Schiss, um nach vorne zu klettern. Man, ich war wie gelähmt. Die schlimmste Nacht meines Lebens.« Bilal machte eine kurze Pause. »Ich habe auch eine Frage an dich«, platzte es plötzlich aus ihm heraus.
»Was?«
»Ich habe stundenlang in dieses blöde Funkgerät geflüstert. Du scheinst davon nichts mitbekommen zu haben.«
Demir fühlte sich plötzlich unwohl. An die Funkgeräte hatte er überhaupt nicht mehr gedacht. Dabei war es seine grandiose Idee gewesen, sie zum Überfall mitzunehmen. »Ich habe meins auf der Flucht verloren.«
Bilal zeigte sich entspannt. »Kein Ding. Du hättest sowieso nicht viel für mich tun können.«
Das war nur bedingt richtig. Das Demirs Fluchtplan ein anderer gewesen war, das sollte Bilal besser nicht erfahren. Wären sie nämlich wie abgesprochen in die Tiefgarage gegangen, dann würde sein Kumpel noch immer im Audi hocken und dort auf bessere Zeiten warten.
Fieber kam herein. »Weckt eure Freundin auf. Wir müssen uns fertigmachen.«
Demir nickte. Fertig? Wofür? Dann fiel es ihm ein. Heute war Wandertag. Er wollte hier nicht raus. Sanft stupste er Katta an. »Katta. Du musst wach werden.« Keine Reaktion. Er tippte ihr auf die Schulter. »Aufwachen.«
Nichts. Er nahm beide Hände und rüttelte sie. Ihre Augen blieben geschlossen. »Hey, Leute«, rief Demir, »kommt mal her. Mit Katta stimmt was nicht.«
»Ihre Atmung und ihr Puls sind beschleunigt«, sagte Fliege, nachdem er ihr Handgelenk losgelassen hatte.
»Und was bedeutet das?«, fragte Steller.
»Keine Ahnung. Dass es ihr nicht gut geht?«, blaffte der SEK Mann. »Ich habe eine Sanitäterausbildung. Ich bin kein Neurologe oder so ein Mist.«
»Mir reicht es.« Ohne Zögern verpasste Fieber dem Mädchen drei kräftige Ohrfeigen.
Katta öffnete leicht die Augen, begann sich mit einer fahrigen Bewegung die Wangen zu reiben. »Was ist los?«, fragte sie.
»Du bist ohnmächtig gewesen«, sagte Fieber.
»Okay.«
»Was heißt okay? Was ist mit dir los? Bist du krank?«
»Ich habe meine Medikamente vergessen. Ich dachte, sie wären in meiner Handtasche.«
»Was für Medikamente?«
»Ich habe Anämie.«
»Was ist das?«
»Blutarmut.« Sie atmete schnell, als würde sie joggen. »Zu wenig Hämoglobin.«
»Wo sind deine Medikamente?«
»Bei meiner Freundin zu Hause.«
»Das ist schlecht. Was passiert, wenn du keine Medikamente bekommst?«
»Ich kann mich nicht konzentrieren. Ich kann mich kaum bewegen. Im schlimmsten Fall werde ich ohnmächtig.«
»Kannst du mithalten?«
»Ich werde es versuchen.« Überzeugung klang anders.
»Wir tragen sie«, sagte Demir.
»So wie Flu?«, fragte Schwede und erntete einen bösen Blick von Fieber.
»Also suchen wir das Zeug in einer Apotheke«, sagte Demir. Keine besonders schöne Vorstellung.
»Nein. Die haben das nicht vorrätig.« Katta massierte sich die Stirn.
»Na, prima. Dann müssen wir das wohl bestellen.« Fieber, der sich neben Katta gehockt hatte, stand auf. »Mal sehen, was deine Mutter dazu sagt.«