41. Wer sucht, der findet

 

Demir Kara

 

Demir befand sich mitten in der Apotheke. Jedenfalls, wenn er dem Schild an der Tür glauben durfte. Die Räumlichkeit hatte keine Ähnlichkeit mit den Apotheken, die Demir in seinem Leben bisher betreten hatte. Es erinnerte ihn eher an die Warenausgabe in einem Möbelhaus. Am Eingang hing ein Automat, an dem der Wartende eine Nummer ziehen musste. Vor einer der Längswände befand sich ein langer Tresen. Auf dem Tresen standen Geräte, die wie elektronische Kassen aussahen. Die Wand dahinter besaß in regelmäßigen Abständen Durchbrüche, aus denen die Enden kleiner Fließbänder ragten. Gemeinsam mit Bilal setzte er Katta auf einen Stuhl. Sie sah schrecklich aus. Die Strapazen des Laufens standen ihr ins Gesicht geschrieben. Er hätte sie gerne gefragt, wie sie sich fühlte. Aber er ließ es bleiben. Die Antwort war zu offensichtlich. »Das ist eine automatisierte Apotheke«, stellte Fieber fest. Er ging zu einer Tür am Ende der Fließbandreihe, gab Dallas und Fliege ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie öffneten die Tür und verschwanden kurz. Als sie zurückkamen, sah Fieber nachdenklich aus. »Da ist ein Lagerraum. Alles vollautomatisch. Bis wir da eine Packung Aspirin finden, vergehen Wochen.«

Demir kletterte über den Tresen und inspizierte die Terminals. »Hier gibt es noch Strom.«

»Das Krankenhaus besitzt eine Notstromversorgung für die wichtigsten Bereiche«, sagte Fieber. »Meinst du, du kannst das bedienen?«

Demir zuckte mit den Schultern. »Ich habe mal bei Burger King gearbeitet. Das sah ähnlich aus.«

Fieber grunzte.

»Wenn du da einen Burger herausholen kannst, bin ich für den Anfang zufrieden«, sagte Schwede.

Demir war nicht zu Späßen aufgelegt. Er betrachtete das Display, auf dem das Wort Eingabe aufblinkte. Möglicherweise war das Ganze einfacher als gedacht. Demir drückte die Enter-Taste. Es dauerte eine Sekunde, dann wechselte der Bildschirminhalt.

 

F1 Scannen der Bestellnummer (im Haus)

F2 Scannen der Bestellnummer (extern)

F3 Bestand

 

Auf den ersten Blick eine Enttäuschung. Man musste die Rezepte einscannen. Jetzt fielen ihm die Handscanner auf, die neben jedem Terminal lagen. Er hatte kein Rezept. Moment. Er drückte F3. Der Computer forderte ihn auf, einen Medikamentennamen einzugeben. Er tippte Ferrotramadol ein.

 

Anzahl Packungsgröße Lager

4 N30 G8B21

 

Fieber hatte ihm über die Schulter gesehen. »Damit können wir arbeiten. Fliege. G8B21. Sieh im Lager nach, ob du mit der Bezeichnung, etwas anfangen kannst.«

Der Polizist verschwand in der Tür.

»Mach weiter. Gib Morphium ein.«

Demir stutzte. »Willst du dich auf einen Trip schicken?«

»Wir sind auf einem Trip und wenn der richtig übel wird, wirst du mir auf Knien danken, dass wir Morphium haben.«

»Okay. Aber ich glaube das Ding verlangt den Produktnamen.«

»Vielleicht kannst du Wirkstoffgruppen oder mit irgendwelchen Schlagwörtern suchen.«

»Ich probiere es. Was brauchen wir?«

»Lass deine Fantasie spielen. Schmerzmittel, Reserveantibiotikum.« Fieber drehte sich um. »Schwede. Komm her und hilf ihm.«

»Haben die nicht Medikamente im Bunker?« Demir klickte sich durch die Menüs.

»Wir sind aber nicht im Bunker.«

Demir nickte. »Was ist mit Wasser?«

»Das wird unser nächstes Projekt.«

Bilal stand auf und kam an den Tresen. »Vielleicht findet ihr ja auch was gegen diese Seuche. Dann könne...«

Fieber zog seine Pistole und hielt sie Bilal vor das Gesicht. »Halte deine Fresse. Ich habe dich nicht vergessen.«

Bilal hob beide Arme und wich langsam zurück.

»Was hat er dir eigentlich getan?« Katta hauchte die Frage in den Raum.

»Wegen ihm musste ich meinen Kameraden erschießen.«

»Musstest du das?«

»Wir hätten es mit Flu nicht geschafft.«

»Aber das hat Bilal nicht gewollt.«

»Das kenne ich. Erst bauen sie Scheiße und dann haben sie es nicht gewollt. In meiner Welt ist das keine Entschuldigung.«

Fliege kam aus dem Lager und hob den Daumen. Fieber steckte die Waffe weg. »Sehr gut.« Er nahm Fliege die Packungen aus der Hand und ging zu Katta.

»Wie lange wird das reichen?«

Sie sah sich die Schachteln an. »Vier Monate.«

»Dir muss bewusst sein, dass das alles ist, was es gibt. Ich weiß nicht, wie du das in Zukunft machen willst, aber für das Erste bist du versorgt.« Katta nickte und wollte sich die Packungen aus Fiebers Hand nehmen. Er zog sie weg.

»Hör zu. Wie ich sagte, ist das alles, was du hast.«

»Ich verstehe.«

»Also. Du kannst die vier Packungen an dich nehmen. Aber wenn du deinen Rucksack verlierst, dann sind sie weg.«

»Oder?«

»Oder du nimmst zwei Packungen und ich nehme eine und dein Freund Demir nimmt eine. Verstehst du? Dann steigt zwar das Risiko, dass du etwas verlierst, aber es senkt die Wahrscheinlichkeit eines Totalausfalls. Es ist dein Leben. Deine Entscheidung.«

»Ich nehme zwei.«

Fieber nickte. Er gab ihr das Ferrotramadol, warf Demir eine Packung zu und verstaute selber eine. Demir steckte die Schachtel in eine Seitentasche an seinem Rucksack und prüfte dreimal, ob der Verschluss auch wirklich geschlossen war. Danach sah er Katta zu, wie sie eine Pille schluckte. »Wie lange dauert es, bis das Medikament wirkt?«

»Das geht ziemlich schnell«, sagte sie. »Danke, Demir.«

»Wofür?«

»Dafür, dass du da bist.«

Er lächelte. Schwede tippte ihm auf de Schulter. »Los. Wir haben noch zu tun.« Demir wandte sich dem Terminal zu. Gemeinsam mit Schwede gelang es ihm, einige brauchbare Medikamente zu finden. In wenigen Minuten hatten sie einen beachtlichen Haufen von Schachteln aus dem Lager geholt. Bilal räusperte sich. Nein, bitte nicht. Halte doch einfach deine blöde Klappe. »Auch wenn ich dafür erschossen werde.« Bilal hielt kurz inne. Alle sahen ihn an. »Wo ist eigentlich dieser Zivilbulle?«