50. Botschaft

 

Arthur Keim

 

Die Ebene Null besaß die Ausmaße eines Flugzeughangars. Im Gegensatz zur restlichen Anlage maß die Deckenhöhe beachtliche zwanzig Meter. Die spärlich beleuchtete Halle erinnerte an einen unheimlichen Baumarkt. Dutzende Regalwände schufen eine unüberschaubare Anzahl von Gängen. In den Regalen stapelten sich schwarze Kästen, die Geschirrspülmaschinen ähnelten. Ein monotones Summen schwang durch den Raum. Die Luft schmeckte nach Elektrizität. Menschen, die zum ersten Mal ZERBERUS betraten, fühlten sich unwohl. Die gigantischen elektrischen Felder, die der Computer erzeugte, machten sie nervös. Die Ebene Null zu besuchen, fühlte sich ein wenig an, als würde man durch einen überdimensionierten Mikrowellenofen laufen.

Das alles bemerkte Arthur Keim schon lange nicht mehr. Er war hier zu Hause. Mit schnellen Schritten lief er durch die Gänge und steuerte den gläsernen Überwachungsraum an, der sich auf einem Podest im Zentrum der Anlage befand. Keim war alleine. Auch daran hatte er sich gewöhnt. Das anfängliche Unbehagen, das er in den langen Gängen verspürt hatte, war mit der Zeit gewichen. Er hatte zu viel zu tun, als sich kindischen Ängsten hinzugeben. Außer ihm hatten nur wenige Mitarbeiter Zugang zu der Anlage. Auch wenn ZERBERUS gigantische Ausmaße besaß, so war er doch ein äußerst filigranes Gebilde, das auf Störungen aller Art fast menschlich reagierte. ZERBERUS war eine Diva. Seine Leistungsfähigkeit ließ andere Supercomputer wie Taschenrechner aus den späten Siebzigerjahren erscheinen. Aber die zeigte er nur, wenn man ihm ordentlich den Bauch pinselte. Keim wusste, wie er die Maschine zu nehmen hatte. Der Mathematiker betrat den Kontrollraum und setzte sich auf den Bürostuhl.

Achtzig Prozent seiner Rechenleistung verbrauchte ZERBERUS mit der Darstellung des MCHI-Zellclusters. Mit einem modifizierten Raster-Tunnel-Mikroskop war es in dreijähriger Arbeit gelungen, die 458 Zellen eines MCHI-Clusters bis auf die Molekularebene abzubilden und zu speichern. ZERBERUS war die erste von Menschen geschaffene Matrix, in der der Virus wie eine geisterhafte Erscheinung zwischen den atomaren Transistoren schwebte. Dabei war Speichern nicht der richtige Ausdruck. Es handelte sich nicht um ein starres Abbild des Clusters. In jeder Millisekunde berechnete der Computer die Wechselwirkungen der verschiedenen Moleküle untereinander. Sie vibrierten, zogen sich an und stießen sich ab. Man konnte diese kaum feststellbaren Bewegungen sogar hörbar machen. Es klang wie Walgesang. Die Matrix war so nah an der Wirklichkeit, dass Keim einmal spaßeshalber gesagt hatte, dass der Computer nur einmal husten müsste, um sie alle anzustecken.

Die restlichen zwanzig Prozent Rechenleistung verschoben und drehten immer neue Molekülmodelle und versuchten, diese an verschiedene Proteine des Virus andocken zu lassen. ZERBERUS suchte einen Ansatz, mit dem er die Verteidigung von MCHI aushebeln konnte. Bisher ohne Erfolg. Ob es jemals gelingen würde, stand in den Sternen. Aber das war nicht mehr wichtig. Die Zeit für Grundlagenforschung war vorbei. Das Programm, das Keim nun starten wollte, hatte er schon vor Monaten fertig geschrieben. Allerdings konnte er sich damals mit seiner Meinung nicht durchsetzen und es wurde ihm keine Rechenzeit für sein Projekt genehmigt. Die Suche nach dem molekularen Ausschalter hatte Priorität besessen.

Im Grunde war seine Idee einfach. Er war sich absolut sicher, dass MCHI künstlichen Ursprungs war. Warum andere sich dieser offensichtlichen Tatsache verschlossen, war ihm unbegreiflich. Vermutlich hatte das auch etwas mit Urängsten zu tun. Dass er kein Problem mit solchen Ideen hatte, lag daran, dass er den Zahlen vertraute. Die Mathematik hatte keine eigene Meinung und ließ sich nicht von menschlichen Vorstellungen beeinflussen. Sie war der Klebstoff, der das Universum zusammenhielt. Zahlen konnten nicht lügen.

Die von ihm postulierte Künstlichkeit musste nachweisbar sein. Durch Intelligenz geschaffene Dinge unterschieden sich von natürlichen. Intelligenz hinterließ einen Fingerabdruck. Das Design besaß eine eigene Handschrift. Sein Programm sollte in der Lage sein, dies zu erkennen. Aber darauf kam es ihm gar nicht an. Er musste niemandem mehr beweisen, dass er recht hatte. Das taten gerade die Landungsschiffe für ihn. Wichtiger war ein anderer Programmteil, der bei der Entwicklung zunächst den Charakter einer Spielerei besessen hatte. Das Programm sollte die Frage beantworten, ob in dem Virus eine Botschaft versteckt war. Möglicherweise ein Hinweis auf den Erschaffer. Die Idee hierzu war ihm gekommen, als er mit einem Kollegen über die Hintertüren in Computerprogrammen sprach, die Softwareentwickler in ihren Code einbauten. Teilweise taten sie dies aus Spaß oder um sich im Programmcode zu verewigen. Oft auch, um im Notfall in das System eindringen zu können. Während dieser Unterhaltung kam ihm der Gedanke, dass auch die Schöpfer von MCHI so etwas getan haben könnten. Vielleicht hatten sie sogar mehr als das getan. Möglicherweise verbarg sich im Virus-Cluster eine Botschaft. Natürlich war es fraglich, ob ihnen der Nachweis einer solchen Botschaft irgendetwas nutzen würde. Aber in Ermangelung an anderen Plänen erschien es Keim als letzter Strohhalm.

Er beendete ZERBERUS‘ Suche nach einem Wirkstoff und startete sein Programm. Der Computer quittierte den plötzlichen Kurswechsel mit einer Schweigeminute. Alle Bildschirme wurden schwarz. Einem Unbedarften konnte dabei angst und bange werden. »Stell dich nicht so an«, brummte Keim. Er wartete. Schließlich wurde er doch ein wenig nervös. »Lass mich bloß nicht hängen.« Dann flackerten die Monitore und ZERBERUS schleuderte ihm Zahlenkolonnen entgegen. Keim atmete auf und schaltete eine kleine Musikanlage ein. Mit zwanzig Prozent seiner Rechenleistung begann ZERBERUS nach Auffälligkeiten zu suchen. Die Rolling Stones spielten Sympathy for the Devil. Er drehte die Musik lauter, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Wie lange würde das dauern? Stunden? Jahre?

Es piepte. Keim öffnete die Augen und sah ungläubig auf den Bildschirm vor ihm. Buchstaben blinkten.

 

Geometrische Auffälligkeit

Wahrscheinlichkeit auf natürlichen Ursprung < 0,01

 

Mathematische Auffälligkeit

Wahrscheinlichkeit auf natürlichen Ursprung < 0,01

 

»Willst du mich verarschen?« So schnell konnte das nun wirklich nicht gehen. Keim sah sich das Ergebnis an. Es dauerte eine Weile, dann fing er an ungläubig zu lachen. Es war ein seltsames Gefühl recht zu behalten.

Jede Zelle besaß einen Ring aus radioaktiv markierten Molekülen. Sie waren in einem fast perfekten Kreis angeordnet. Die Kreise wurden durch eine Linie aus weiteren markierten Molekülen geteilt. Es war, als hätte jemand in jede Zelle mit einem Textmarker einen Kreis und den dazugehörigen Durchmesser eingezeichnet. Das musste eine Botschaft sein. Wenn man jemandem etwas mitteilen wollte, dann galt es sicherzustellen, dass der Empfänger der Botschaft diese auch verstehen konnte. Das konnte bereits zwischen Menschen mit ihren verschiedenen Sprachen und Kulturen kein leichtes Unterfangen sein. Aber eine Nachricht für eine fremde Intelligenz? Das war eine echte Herausforderung.

Zunächst war die Aufmerksamkeit des Empfängers zu erregen. Er musste erkennen können, dass sich dort etwas befand, das nicht natürlichen Ursprungs war und nicht durch Zufall entstehen konnte. Außerdem sollte die Botschaft einen universellen Charakter haben. Der Kreis als geometrisches Grundsymbol bot sich dafür an. Es war genau so, wie Keim es sich gedacht hatte. Unfassbar.

»Okay. Ihr wollt mir etwas zeigen. Das habe ich verstanden. Aber was?« Kreis und Durchmesser. Umfang und Durchmesser. Keim sah sich die von ZERBERUS erkannte mathematische Auffälligkeit an. In jeder Zelle hatte ZERBERUS drei DNA-Fragmente erkannt, in denen zwei Zahlen codiert waren. Sehr große Zahlen. Im ersten DNA-Strang waren die beiden Zahlen binär codiert. Sie waren mithilfe der Basen Adenin und Thymin dargestellt. Zwischen den beiden Zahlen existierte eine Trennung. Natürlich konnte man nicht alleine durch diese Binärcodierung auf Zahlen schließen. Der Code könnte etwas ganz anderes bedeuten oder auch gar nichts. Um Missverständnisse auszuschließen, waren die gleichen Zahlen im zweiten DNA-Strang durch drei Basen dargestellt. Adenin, Thymin und Guanin. Das ergab ein Zahlensystem auf der Basis drei. Im dritten DNA-Strang wurden alle vier Basen verwendet. Die Zahlen wurde mit einem Zahlensystem auf der Basis vier abgebildet. Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Somit waren die gleichen zwei Zahlen in drei verschiedenen Zahlensystemen dargestellt. Ein Zufall war damit praktisch ausgeschlossen. Die Frage war: Was sollte das alles?

Umfang. Durchmesser. Riesige Zahlen.

Keim konzentrierte sich. Zunächst musste er sich von dem Gedanken befreien, dass die Lösung kompliziert war. Sie durfte nicht kompliziert sein, sondern musste in ihrer Einfachheit klar zu erkennen sein. Nur auf diese Art konnten Spezies miteinander kommunizieren.

Durchmesser und Umfang.

Umfang und Durchmesser.

Umfang geteilt durch Durchmesser.

Die Kreiszahl Pi.

Natürlich. Das Verhältnis zwischen Umfang und Durchmesser. Wer den Kreis kennt, der kennt auch Pi. Das war einfach genug. Die Botschaft war simpel. Aber die Stelle, an der man sie lesen konnte, dafür umso schwieriger zu finden. Immerhin war sie auf molekularer Ebene in einer Zelle versteckt. Allerdings war Keim immer noch völlig unklar, was er damit anfangen sollte. Der Hinweis auf Pi ergab für sich alleine gesehen keinen Sinn. Oder aber der Sinn erschloss sich ihm nicht. Er besah sich die beiden Zahlen. Sie schienen endlos. ZERBERUS behauptete, dass beide Zahlen in Basis zehn umgerechnet exakt acht Trillionen Stellen besaßen. Nur die letzten sechs Stellen unterschieden sich. 234577 und 897678. Keim versuchte, das Ganze als Kommunikationsproblem zu betrachten. Das Problem einer Nachricht konnte sein, dass derjenige der sie hinterließ, gerne wüsste, ob ein anderer die Nachricht tatsächlich empfangen hatte. Keim hatte die Botschaft gefunden, aber das konnte der Nachrichtenschreiber nicht wissen. Dann sprang ihn die Lösung an. Die Botschaft lautete: Wenn du kannst, dann schicke mir den markierten Ausschnitt der Zahl Pi. Dann weiß ich, dass du sie gefunden hast und in der Lage bist, sie zu berechnen. Das Verstehen der Nachricht war einfach. Die Schwierigkeit lag darin, sie zu finden und ihre Anweisung zu befolgen. Keim wusste nicht genau, wie weit Pi bis zum heutigen Tage berechnet war. Aber soweit wie es hier gefordert war, bestimmt nicht. Wie lange würde eine Berechnung dauern? ZERBERUS war schnell. Aber die Zahlen waren gewaltig. Er musste es versuchen und dafür brauchte er nicht zwanzig Prozent Rechenleistung, sondern die vollen einhundert. Das bedeutete, die Cluster-Matrix musste abgeschaltet werden. Das wiederum bedeutete, dass die Daten von MCHI unwiederbringlich verloren gingen. Das würde Danielsen niemals zulassen. Keim nahm an, dass Torbeck die Notwendigkeit verstehen würde. Aber ganz sicher konnte er sich nicht sein. Was, wenn sie vor einem solchen Schritt zurückschreckte? Konnte er es riskieren, das Überleben der Menschheit einem Haufen verstockter Laien zu überlassen? Er würde nicht um Erlaubnis fragen. Während er noch mit sich selber rang, tippten seine Finger einen kleinen Codeschnipsel. Um die Zahl Pi zu berechnen, bedurfte es keiner großen Programme. Jetzt musste er nur noch ZERBERUS neu starten. Das war nicht mit einem Knopfdruck getan. Zunächst stoppte er die laufenden Berechnungen. ZERBERUS war noch immer damit beschäftigt, nach Auffälligkeiten im Virusmodell zu suchen. Es war nicht ausgeschlossen, dass es noch weitere gab. Aber daran glaubte Keim nicht. Er gab weiter Befehle in den Terminal ein und wurde mehrfach gefragt, ob er das auch wirklich wolle und ob er sich über die Konsequenzen seines Tun im Klaren sei. Er fing an zu schwitzen. Wenn er das jetzt durchzog, dann war das Virusmodell unwiederbringlich gelöscht. Danielsen würde ihn aufhängen. Das Model war das, woran sie alle die letzten Jahre gearbeitet hatten. Es war der eigentliche Grund, warum diese Anlage überhaupt existierte. Und nun stand er davor, dies alles mit einem letzten Druck auf die Return-Taste ins Datennirwana zu schicken.

Was war, wenn er sich irrte? Vielleicht interpretierte er alles falsch. Möglicherweise gab es noch mehr zu entdecken, aber ZERBERUS würde das erst in Tagen herausfinden. Wenn er das Modell löschte, würde er das nie erfahren. Es war eine dieser Entscheidungen, die man im Leben lieber nicht treffen wollte und Keim hätte einiges dafür gegeben, sich vor ihr zu drücken. Nein, es musste stimmen. Eine simple Botschaft an einem unzugänglichen Ort versteckt. Eine Botschaft mit einer Handlungsanweisung, der schwer nachzukommen war. Das war ein Intelligenztest und sie mussten darauf antworten. Der Computer musste die Zahlenfolge berechnen. Danach würden sie die Zahlen senden. Auf irgendeine Art. Ganz egal. Am Ende blieb dann nur die Hoffnung, dass diese Botschaft den Sinn verfolgte, den Keim ihr unterstellte. Seit er die absurde Nachrichtensendung gesehen hatte, fragte er sich, was zur Hölle das sollte. Eine Superintelligenz machte so etwas nicht ohne Grund. Tatsächlich konnte es sein, dass ihre Besucher befürchteten, dass die Menschen die Welt mit ihren Atomwaffen zerstörten. Aber wenn die Menschen das wollten, warum sollte sie eine Botschaft, die keine Hoffnung versprach, davon abhalten? Möglicherweise hatte die Nachricht einen tieferen Sinn. Vielleicht wollten die Fremden kommunizieren. Aber nur zu ihren Bedingungen. Wer eine Nachricht sendete, der sollte auch in der Lage sein, eine zu empfangen. Habt ihr noch irgendetwas zu sagen? Ein paar letzte Worte vielleicht?

Er konnte nur hoffen, dass ZERBERUS das in angemessener Zeit schaffen würde. Die Zahl war wirklich groß. Andere Supercomputer würden vermutlich Hunderte von Jahren dafür benötigen. Bei ZERBERUS konnte man da keine verlässigen Vermutungen anstellen. ZERBERUS war bis zu einem gewissen Grad lernfähig. Selbstverständlich hatte dies nichts mit Intelligenz zu tun. Der Computer analysierte mathematische Probleme, um sich selber einen besseren und schnelleren Rechenweg zu suchen. Durchaus möglich, dass ZERBERUS eine neue Methode fand, um Pi zu berechnen.

Keim schloss die Augen und drückte die Return-Taste. Nachdem er bei jedem seiner letzten Arbeitsschritte gewarnt wurde, überraschte es ihn, dass dies nun nicht mehr geschah. Er hatte die finale Aktion gesetzt. Völlig unspektakulär wurde der Monitor vor ihm schwarz und zeigte dann nur noch einen blinkenden Cursor in der linken oberen Ecke. Ende. Alles weg. Die würden ihn umbringen. Er legte die Hand über den Mund, schien über sich selbst erschrocken. Es gab nichts mehr rückgängig zu machen. Er startete die Berechnung von Pi. Keim stand von seinem Stuhl auf. Noch immer plärrten die Rolling Stones aus dem Lautsprecher. Er sah durch die Verglasung. Die Regalreihen, in denen sich die Spülmaschinen stapelten, erschienen unverändert. Der Computer rechnete ab jetzt mit mindestens zwanzig Exaflops an der Zahl Pi. Tendenz steigend. Er wusste nicht, was ZERBERUS gekostet hatte, aber es mussten zig Milliarden gewesen sein. Ein fußballfeldgroßer Computer, der nur einer einzigen Zahl hinterherjagte.

Da war ein Geräusch. Keim drehte sich um und zuckte zusammen. Durch das Sichtfenster der Tür sah er ein Gesicht. Als er Danielsen erkannte, hörte sein Herz langsam auf zu klopfen. Dann fiel ihm ein, was er getan hatte und es begann erneut zu rasen. Scheiße. Er ging zur Tür und öffnete sie. »Was zum Teufel machen Sie hier?«, fragte er.

Danielsen sah ihn nur an.

»Was wollen Sie?«

»Sie dürfen das nicht tun. Wenn Sie die Berechnung der Molekulardynamik unterbrechen, dann wirft uns das in der Entwicklung eines potenten antiviralen Medikamentes um Monate zurück.«

Keim schluckte. Er durfte das nicht tun? Er hatte viel mehr als das getan. »Hören Sie. Ich habe etwas gefunden.« Keim hielt inne. Mit Danielsen stimmte etwas nicht. Der Professor sah blass aus und schwitzte stark. »Was ist mit Ihnen?« Danielsen schwankte, hielt sich am Türrahmen fest. »Geht es Ihnen nicht gut?« Keim drehte sich um, ging zum Schreibtisch und schaltete die Musik aus.

»Haben Sie den Alarm nicht mitbekommen?« Danielsen hielt sich die linke Schulter.

»Was für einen Alarm? Sind Sie verletzt?«

»Ich glaube, ich wurde gebissen.«

»Gebissen? Was zur Hölle...« Alarm. Gebissen. Das konnte nur eins bedeuten. »Sagen Sie nicht, dass wir einen Ausbruch in der Anlage haben.«

Danielsen nickte. »Fenris ist kontaminiert. Ich war gerade auf dem Weg hierher.« Er stockte. »Sie müssen sich schützen.«

»Wieso? Vor was?«

Der Professor schrie ihn an. »Sind Sie so blöd?«

Keim sah ihn fassungslos an. Danielsen beugte sich nach vorne, als hätte er Magenkrämpfe. »Du sollst dich schützen.«

»Beruhigen Sie sich.«

Der Professor erstarrte. Er stand da wie ein in die Ecke gestellter Klappspaten. Immer noch nach vorne gebeugt.

»Danielsen. Ist Ihnen schlecht?«

Der Professor antwortete nicht, gab keine Geräusche von sich.

Als Keim noch Student gewesen war, hatte ein Professor einmal zu ihm gesagt, dass das größte Gehirn sinnlos sei, wenn der Besitzer es nicht benutzte. Aber mit dem Benutzen alleine war es nicht getan. Denn, wenn man es einschaltete, dann würde es einem eine Erkenntnis liefern. Handelte man aber nicht nach dieser Erkenntnis, dann hätte man sich das Einschalten auch sparen können. Denken und Handeln gingen Hand in Hand. Gedankenloses Handeln war genauso schlimm wie folgenloses Denken.

Der Professor hatte gesagt, dass die Seuche ausgebrochen sei. Weiterhin hatte er ihm erklärt, dass er gebissen wurde. Dann forderte er ihn auf, sich zu schützen. Die Schlussfolgerung war simpel. Danielsen war infiziert. Das zum Thema wieder einsetzender kognitiver Fähigkeiten.

Keim glotzte den zusammengekrümmten Menschen vor sich an. Diese Erkenntnis verlangte nach einer gezielten Handlung. Zeitnah.

Er löste sich aus seiner Starre, machte einen Schritt nach vorne und stieß Danielsen durch den Türrahmen. Ohne sich um den Mann zu kümmern, schlug er die Tür zu und verriegelte sie. Langsam ging er rückwärts, blieb stehen und fixierte gebannt die rechteckige Glasscheibe, die sich im oberen Drittel der Tür befand. Nichts geschah. Zögernd näherte er sich wieder der Tür. Vielleicht hatte er überreagiert. Hoffentlich hatte der alte Mann sich nicht verletzt.

Es knallte, als der Professor mit seiner Stirn gegen die Scheibe schlug. Ein Sprung lief durch das Glas. Keim sprang nach hinten, stolperte und setzte sich auf den Hintern. Er ignorierte die Schmerzen und robbte panisch unter den Schreibtisch. Wieder knallte es. Glassplitter regneten auf den Boden. Der Kontrollraum, in dem er sich befand, war im Wesentlichen ein großer Glaskasten. Sicherheitsglas. Kein Panzerglas. Durch die Tür würde Danielsen nicht kommen. Aber was, wenn ihm einfiel, seinen Schädel gegen die Panoramascheiben einzusetzen?

Keim machte sich so klein wie möglich. Seine Zeit lief ab.